Heidenheim in der Bundesliga:Nur 75 Minuten lang wetterfest

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Ein Traumtor reicht nicht: Jan-Niklas Beste erzielte das erste Heidenheimer Bundesliga-Tor, hätte sich aber lieber über einen Sieg gefreut. (Foto: Michael Weber /Imago)

Der 1. FC Heidenheim schafft es 75 Minuten lang, der 1. FC Heidenheim zu sein. Dann verliert der Aufsteiger kurz den Überblick - und gegen Hoffenheim das erste Bundesliga-Heimspiel der Vereinsgeschichte.

Von Christof Kneer

Die Ostalb ist keine Region, in der man zu viel verspricht. Man kündigt hier nichts an, was man nicht halten kann, die großen Töne überlässt man denen, die's nötig haben. Insofern war es doch bemerkenswert, dass der Aufsteiger von der Ostalb bereits vor dem ersten Bundesliga-Heimspiel seiner Geschichte einer PR-Schwindelei überführt wurde. Die Ostalb sei da, wo es donnert und hagelt und man im Mai noch Winterreifen brauche: So sagen die Verantwortlichen des 1. FC Heidenheim das gern, und jeder versteht, was sie damit ausdrücken wollen. Sie halten sich - zurecht - für einigermaßen wetterfest.

Statt der angekündigten Apokalypse kam an diesem Samstag aber doch nur ein enttäuschender Dauerregen, der erstaunlich konventionell vom Himmel fiel. Es war ein Regen, den sie an den anderen 17 Bundesliga-Standorten wahrscheinlich auch hinbekommen hätten, vielleicht hätte das die Heidenheimer schon vor dem Anpfiff stutzig machen sollen. Nach dem Abpfiff saßen oder lagen sie jedenfalls auf dem vollgeregneten Rasen und verstanden die Welt ebenso wenig wie ihr Trainer Frank Schmidt, der später im trockenen Presseraum sagte, er wäre an diesem Tag "nicht mal mit einem Punkt zufrieden gewesen". Er sagte das im Angesicht einer 2:3-Niederlage, für die es nach einer 2:0-Führung null Punkte gab. Stattdessen tanzten die Spieler der TSG Hoffenheim im Ostalbregen, und auch sie wussten nicht genau, warum.

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Für den Aufsteiger war das Spiel auch deshalb so schwer zu verstehen, weil er sich ansonsten an jedes seiner Versprechen gehalten hatte. Seit Wochen geloben die Heidenheimer, dass sie sich auch für die Bundesliga nicht verändern werden, dass sie nichts grundlegend anders machen werden als in der zweiten Liga. Sie haben ihren Weg auch tatsächlich keinen Millimeter verlassen, sie haben keine Experimente auf dem Transfermarkt veranstaltet und nicht versucht, einen anderen Fußball zu spielen als den, den sie können. Auf der Ostalb sind sie es gewohnt, dass man einen Ertrag bekommt, wenn man nicht spinnt und fleißig schafft - und das galt auch bei diesem Heimspiel, allerdings nur 75 Minuten lang. Die restlichen 15 Minuten reichten aus, um aus einem verdienten Heimsieg eine irritierende Heim-Niederlage zu machen.

Die Bundesliga hat über den 1. FC Heidenheim an diesem Tag nur gelernt, was sie ohnehin schon ahnte: Dass hier eine kampf- und laufstarke Mannschaft tapferen Fußball spielt, dass sie Ecken und Freistöße vom Himmel regnen lässt und darüber sogar, wie das eine Floskel richtig besagt, zu ihrem Spiel findet. In neun Zweitligajahren ist Heidenheim bei aller Bodenständigkeit auch zu einem speziellen Milieu geworden, in dem nicht nur Renner, Kämpfer und kopfballstarke Mittelstürmer wachsen, sondern immer auch ein, zwei interessante Figuren. So hat der legendäre Marc Schnatterer - rotblonder Flügelspieler mit irrer Schusstechnik - offenkundig im rotblonden Flügelspieler Jan-Niklas Beste, 24, einen würdigen Nachfolger gefunden, der der Bundesliga noch einige sehenswerte Momente bescheren dürfte - wie jenes um die Ecke geschossene Freistoßtor zum 1:0 (26.), in dem sich außerdem die Heidenheimer Wetterfestigkeit manifestierte. Beste schien es in diesem Moment jedenfalls überaus wurscht zu sein, dass er kurz zuvor noch einen Elfmeter vergeben hatte (16.).

Matarazzos Wechsel irritieren Heidenheim

Bis weit in die zweite Halbzeit hinein wirkte es so, als habe der Spielplan den Heidenheimern einen idealen Gegner für ihr erstes Heimspiel zugelost. Die durchaus begabte Gäste-Elf ignorierte zunächst ihre Begabung, indem sie ihren typisch Hoffenheimer Wenn-wir-gewinnen-dann-freuen-wir-uns-und-wenn-nicht-na-gut-dann-halt-nicht-Fußball vorführte. Als Heidenheims Marvin Pieringer in der 58. Minute mit einem klassischen Heidenheim-Tor (Ecke von Beste, Kopfball, drin) das 2:0 erzielte, schien das allemal ausreichend zu sein für die ersten drei Punkte - bis Hoffenheims Trainer Pellegrino Matarazzo ein paar der wenig wetterfesten Künstler vom Heidenheimer Regen erlöste.

"Definitiv ja", antwortete Matarazzo später auf die schmeichelhafte Frage, ob der Hoffenheimer Sieg von der Bank gekommen sei. In drei Zeitfenstern (54., 64., 74.) wechselte der TSG-Coach insgesamt fünfmal und brachte dabei unter anderem die Talente Maximilian Beier und Finn Ole Becker, die sich ein Tor (Beier, 2:1) sowie die Assists zum 2:2 (Kaderabek nach Pfostenschuss von Becker) und 2:3 (Kramaric per Elfmeter nach Foul an Beier) gutschreiben lassen konnten - vor allem aber brachte Matarazzo mit den Wechseln die Heidenheimer durcheinander.

Nächste Woche geht es für Heidenheim nach Dortmund

Seine Mannschaft habe etwas Zeit gebraucht, um sich auf die ständigen Positions- und Systemwechsel des Gegners einzustellen, sagte Frank Schmidt anschließend. Er musste mit ansehen, wie seine Heidenheimer kurz mal nicht mehr Heidenheim waren, wie sie zurückwichen, erst ihren Mut und dann vorübergehend den Überblick verloren. Vor einer Woche, beim 0:2 in Wolfsburg, haben die Heidenheimer ein paar gemeine Lektionen über das Tempo in dieser neuen Liga erhalten, und nun, eine Woche später, hatten sie das Tempo im Griff. Dafür lernten sie etwas über Konzentration und Effizienz im richtigen Moment.

Das sind Inhalte, die nicht messbar und schwer trainierbar, sondern einfach nur erfahrbar sind - und so wird Frank Schmidt und seinen weit unter Wert geschlagenen Heidenheimern nichts anderes übrig bleiben, als sich jetzt auf den kommenden Freitag zu freuen. Da spielen sie zum ersten Mal im Leben vor der schwarz-gelben Wand in Dortmund.

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