Handballer Juri Knorr:Ein Hochbegabter, der teure Fehler macht

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Juri Knorr ist auch für die Siebenmeter zuständig. (Foto: Oliver Baumgart/foto2press/Imago)

Juri Knorr ist erst 22 Jahre alt und der deutsche Handballer mit dem größten Potenzial. Mal ruft er es ab - mal zeigt er das Gegenteil. Den Bundestrainer macht das kurz vor dem WM-Start wahnsinnig.

Von Carsten Scheele, Hannover

Der Handballer Juri Knorr hat die Fähigkeit, seinen Bundestrainer im einen Moment in absolut positivem Maße zu überraschen - und im nächsten Moment komplett wahnsinnig zu machen. Das war am Wochenende bei den beiden finalen Testspielen vor dem Beginn der Weltmeisterschaft (ab 11. Januar in Polen und Schweden) zu bestaunen, insbesondere beim ersten Kräftemessen mit Island am Samstag in Bremen.

Da spielte Knorr eine erste Halbzeit, in der jeder sehen konnte, was für ein gewaltiges Potenzial diesem Hochbegabten innewohnt - und dass er tatsächlich derjenige Handballer sein könnte, der das deutsche Team im kommenden Jahrzehnt anführen wird. Knorr agierte wie ein schwer erfahrener Mittelmann, der schon viele Handball-Schlachten geschlagen hat - und nicht ein 22-Jähriger, der bei nicht mal 30 Länderspielen steht. Der Sohn des 83-maligen deutschen Nationalspielers Thomas Knorr riss das Spiel an sich; es war für die Isländer kaum auszumachen, ob er im Angriff selbst den Abschluss sucht oder im letzten Moment zum besser positionierten Teamkollegen durchsteckt.

Test vor der Handball-WM
:"Wir verschenken ein eigentlich gewonnenes Spiel"

Die DHB-Auswahl hat den ersten von zwei Tests vor der Handball-WM trotz eines phasenweise starken Auftritts gegen Island verloren. Bundestrainer Gislason hadert mit dem Ergebnis, findet aber auch lobende Worte.

Er spielte mit so viel Esprit und Witz, dass der Gedanke, die deutschen Handballer könnten mit diesem Juri Knorr bei großen Turnieren endlich wieder um die Medaillen mitspielen, die ganze Halle in Verzückung versetzte. "Er macht ein Riesenspiel", sagte auch Bundestrainer Alfred Gislason, "aber nur 40 Minuten lang".

Gislason setzt jetzt auf Knorr - und nicht erst bei der EM 2024

Denn es gab auch den anderen Knorr, den fahrigen und unkonzentrierten, der in Richtung Spielende immer schlechtere Entscheidungen traf, dem einfachste Pässe misslangen, der Gislason an den Rand des Wahnsinns trieb. Der Isländer fand überraschend deutliche Worte für den Leistungseinbruch seines jungen Spiellenkers. Knorr mache "sehr, sehr viele technische Fehler", tadelte Gislason. "Unglaublich teure Fehler" seien das. Mit sechs Toren führte das DHB-Team zwischendurch und steuerte einem sicheren Testspielsieg gegen einen WM-Geheimfavoriten entgegen. Am Ende gewann Island 31:30 (14:18). Eine arg unnötige Niederlage, nicht nur, aber auch wegen Knorr.

Gislasons Entscheidung, seine Kritik nach dem Spiel öffentlich im Fernsehen zu formulieren, ließ mehrere Schlüsse zu, insbesondere wohl, dass es keine Schonfrist mehr für Knorr unter dem Isländer gibt. Der Bundestrainer will den Spielmacher der Rhein-Neckar Löwen nicht etwa, seinem Alter entsprechend, noch ein Jahr lang aufbauen, um Knorr bei der Heim-EM 2024 auf die große Bühne zu lassen. Nein, Gislason braucht Knorr bereits jetzt, weil er ein Spieler ist, der das deutsche Spiel in guten Momenten auf ein ganz anderes Niveau hebt. Er braucht ihn jetzt, um bei der WM den Abstand auf die Topnationen zu verringern. Deshalb die vielen Spielminuten für Knorr, deshalb die deutlich formulierte Kritik.

Gislasons Plan ist klar: Knorr soll bei dieser WM der Mittelmann des deutschen Teams sein - und kein Backup. Der Bundestrainer findet, Knorr ist bereit dazu.

Die gute Nachricht ist: Auch Knorr fühlt sich bereit. Mit Kritik weiß er generell gut umzugehen; auch die schwierige Phase im vergangenen Winter, als Knorr - nicht geimpft - die Europameisterschaft in Ungarn und der Slowakei verpasste und dafür viel Gegenwind vernahm, hat ihn stärker gemacht. Knorr ist seit dieser Saison kein Nachwuchsspielmacher mehr: Seine Lehrjahre beim FC Barcelona und bei den Rhein-Neckar Löwen unter Andy Schmid sind vorbei, jetzt führt Knorr sein Team an, in der Bundesliga steht er gar auf Rang drei der Torschützenliste. Menschen, die ihn täglich im Training sehen, attestieren ihm einen gewaltigen Schritt.

Im zweiten Spiel trifft Knorr gleich vier Mal in den ersten zehn Minuten

Auch beim zweiten Spiel der Deutschen gegen Island, am Sonntag in Hannover, ließ Knorr seine Klasse aufleuchten. Als hätte es die öffentliche Gislason-Kritik vom Vortag nicht gegeben, legte er extrem selbstbewusst los. Vier Treffer in den ersten zehn Minuten, davon drei Siebenmeter. Einmal flog er an seinem Gegenspieler vorbei, der ihn ordentlich malträtierte; kurz vor dem Boden ließ er aus äußerster Bedrängnis noch einen Wurf los, der aus schwierigem Winkel ins Tor zischte. Gislason wirkte ziemlich zufrieden. "Es war sehr gut, wie er nach der Kritik zurückgekommen ist", sagte der Bundestrainer.

Und der große Einbruch blieb diesmal aus. Knorr war mit 13 Toren treffsicherster deutscher Spieler, das DHB-Team gewann den letzten Test vor dem WM-Start 33:31 (19:14), wenn auch gegen personell leicht dezimierte Isländer. Das sah schon nach einer Leistung aus, mit der sich das deutsche Team bei der WM blicken lassen kann.

In Polen und Schweden will Knorr zeigen, dass der Bundestrainer zu Recht auf ihn setzt. Er wolle eine "größere Rolle spielen", sagte Knorr: "Und es ist auch schön, dass etwas von mir erwartet wird." Kritik aushalten und mit Druck umgehen zu können, das sind schon gute Voraussetzungen, um es im Handball weit zu bringen.

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