Handball-WM: Deutschland - Ägypten:Der Löwe und der Fuchs

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Beim 30:25 zum WM-Auftakt gegen Ägypten offenbaren die deutschen Handballer große Angriffsstärken - jedoch auch Abwehrschwächen. Vor allem ein Linksaußen deutet sein riesiges Potential an.

Christian Zaschke, Lund

Johannes Bitter bot vorzügliche Pausenunterhaltung. Wobei natürlich nicht jedermann unter "vorzüglicher Unterhaltung" einen Mann im hellgrünen Schlabbertrikot versteht, der Bälle schlägt, boxt, abklatscht, über die Fingerspitzen streichen lässt und sich bisweilen auf dem Boden vor einem Handballtor kugelt.

Musste zwischenzeitlich mal raus: Kapitän Pascal Hens. (Foto: dpa)

Aber wer ein wenig Gespür für diesen oft seltsamen, manchmal groben, immer schnellen, bisweilen schönen Sport hat, wer zudem einen Sinn für die Ästhetik des Ernsten im Unernsten hat, der konnte sich vom hampelnden und haltenden Tormann Bitter prächtig unterhalten fühlen. Allerdings hatte Bitter sich das alles ganz anders vorgestellt.

Am Freitagabend erlebte er das 30:25 (15:12) der deutschen Handballer zum WM-Auftakt gegen Ägypten von der Bank aus. Erst in der Halbzeit durfte er ein paar Proben seines Könnens geben, als die meisten Zuschauer die Tribünen vorübergehend verlassen hatten, um sich mit selbstverständlich alkoholfreien Getränken zu versorgen (zum Beispiel mit dem leckeren Wasser, das den schönen, nach Hustensaft klingenden Namen Ramlösa trägt).

Später durfte er noch bei einigen Siebenmetern und am Schluss sogar ein paar Minuten am Stück ins Tor, doch der Auftritt des vormaligen Stammtorwarts Bitter war das deutlichste Zeichen dafür, dass sich im deutschen Team ein paar Hierarchien verschoben haben: im Tor, wo Silvio Heinevetter spielte; in der Abwehr, wo der vormalige Chef der Defensive, Oliver Roggisch, nicht eine Minute aufs Feld durfte, und im Angriff, wo der überragende Linksaußen Uwe Gensheimer mit mehr Freude zu Werke ging als eine Kindergartengruppe beim Plantschen im Spaßbad.

"Das war ein guter Auftakt", sagte Bundestrainer Heiner Brand, "besonders die Art und Weise, wie wir das Spiel geführt haben, war erfreulich. Das hatte ich so noch nicht erwartet." Für ihn bedeutete das auch, dass er mit seinen Wechseln vorerst alles richtig gemacht hat.

Bereits am Donnerstag hatte Brand gesagt, dass aus seiner Sicht Heinevetter von den Füchsen Berlin und Gensheimer von den Rhein-Neckar Löwen diejenigen deutschen Bundesliga-Spieler sind, die bisher in dieser Saison herausragen. Diese Ansicht übersetzte er in die Aufstellung der Partie gegen Ägypten. Manche Beobachter waren überrascht darüber, dass Brand erst den erfahrenen Linksaußen Torsten Jansen zu Hause gelassen hatte und nun den erfahrenen Torwart Bitter auf die Bank setzte. Doch Brand sagt: "Zuerst steht immer die Leistung."

Handball-WM: Deutsches Team
:17 Wiedergutmacher

Ein Verrückter im Tor, ein Übertalentierter auf Linksaußen und ein Trainer, der seltsame Wege geht: Diese Männer sollen bei der WM in Schweden die Handballwelt überraschen. Der deutsche Kader in Kurzporträts.

Carsten Eberts

Die war bei Heinevetter gut, bei Gensheimer war sie zunächst überragend. Phasenweise lieferten sich die gesamte ägyptische Mannschaft und Gensheimer ein Wettwerfen, und eine Zeit lang sah es so aus, als könnte Gensheimer gewinnen. Nach 20 Minuten stand es 10:7 für die Deutschen, Gensheimer hatte zu diesem Spielstand sieben Treffer beigesteuert. Dann jedoch steigerten sich die Ägypter etwas, und Gensheimers Mitspieler hatten vielleicht eingesehen, dass es ein wenig unfair ist, lediglich einen Spieler mit der Last des permanenten Torewerfens zu betrauen. Immerhin kam Gensheimer auf insgesamt neun Treffer.

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Sein Eindruck von Heinevetter und Gensheimer hatte Brand also nicht getäuscht, das Spiel brachte ihm aber noch weitere Erkenntnisse. Die Ägypter hatten sich ziemlich oft die Seite zum entscheidenden Angriff ausgesucht, auf der Pascal Hens neben Gensheimer verteidigte.

Die Defensive war noch nie die Stärke des Mannschaftskapitäns Hens. Er wolle vorweggehen, hatte er nach der Ankunft in Schweden gesagt, aber nach rund 40 Minuten befand Brand, dass Hens ein Päuschen beim Vorweggehen ganz gut tun könnte. Er beorderte ihn auf die Bank, wo Hens neben Bitter Platz nahm. Eine knappe Viertelstunde später, als das Spiel entschieden war, durfte Hens wieder aufs Feld, aber über seine linke Abwehrseite wird sich Brand wohl noch den einen oder anderen Gedanken machen. Insgesamt zeigte er sich jedoch mit der Leistung der Abwehr zufrieden. "Da wurde gut gearbeitet", befand Brand.

Was die linke Abwehrseite angeht, hat er ohnehin keine Alternative. Hens ist nicht nur Kapitän; endlich einmal geht er verletzungsfrei in ein großes Turnier, er ist nun 30 Jahre alt, er soll der Mann sein, der die Auswahl führt und ihr mit seinen Toren auch gegen große Gegner Chancen eröffnet. Immerhin: Das Spiel am Sonntag gegen Bahrain kann Brand als Trainingseinheit nutzen, um die Abwehrarbeit insgesamt noch einmal zu verbessern. Bereits am Montag steht die Partie gegen Spanien an, den wieder erstarkten Weltmeister von 2005, dann muss die Abwehr funktionieren.

Deshalb wird Brand wie stets bei großen Turnieren des Nachts viel Zeit mit der Videoanalyse verbringen. Er ist da sehr genau, jede Aktion studiert er. Wenn er die DVD mit der Partie gegen Ägypten einlegt, wird er durchaus vieles sehen, was noch nicht so gut läuft, aber ebenso oft wird er zu seiner Freude einen jungen Mann namens Uwe Gensheimer durchs Bild rennen sehen, und wann immer der im Bild ist, fällt bald schon wieder ein Tor.

© SZ vom 15.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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