Serienmeister SG BBM Bietigheim:Sie retten den deutschen Frauen-Handball - und sind Teil des Problems

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Noch Teil seines Doppeljobs: Markus Gaugisch, der die Handballerinnen von Bietigheim von einem Titel zum nächsten führt, will auch mit dem deutschen Frauenteam wieder Erfolge feiern. (Foto: Marco Wolf/Imago)

Die Handballerinnen der SG BBM Bietigheim sind national kaum zu bezwingen und international konkurrenzfähig, anders als die deutsche Nationalmannschaft der Frauen. Markus Gaugisch, der gerade beide Teams trainiert, will das ändern.

Von Ulrich Hartmann

Beim Gipfeltreffen des deutschen Frauenhandballs ist dem Bundestrainer Markus Gaugisch am Montagabend heiß und kalt geworden. Als Klubtrainer des Meisters und Tabellenführers SG BBM Bietigheim, der er parallel noch bis zum nächsten Sommer ist, hat ihm der haushohe 35:22-Sieg gegen den Verfolger Borussia Dortmund das Herz erwärmt. Doch als Bundestrainer lässt den 48-Jährigen das Qualitätsgefälle in der Bundesliga vermutlich frösteln.

Bietigheim wird wohl wieder ungestört Meister und Pokalsieger und träumt in der Champions League vom erstmaligen Einzug einer deutschen Mannschaft ins Budapester Final-Four-Turnier. Doch auf die Nationalmannschaft kann der Klub als Aushängeschild des deutschen Frauenhandballs kaum abstrahlen. Bietigheim glänzt als internationales Star-Ensemble, während dem Nationalteam die qualitative Breite fehlt. Bei der Europameisterschaft gab es jüngst einen mauen siebten Platz.

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Die WM steht an - und schon wieder fehlen einige der besten Spieler im Nationalteam. Offenbar genießt die deutsche Auswahl nicht bei allen Profis oberste Priorität. Doch dafür gibt es Gründe.

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Die EM im November, wegen der Fußball-WM um einen Monat vorgezogen, war für den Bundestrainer Gaugisch die ersehnte Premiere, doch als Klubtrainer kam sie ihm höchst ungelegen. Es erwies sich nämlich, dass die fünfwöchige Unterbrechung die Bietigheimerinnen in der Champions League aus dem erfolgreichen Rhythmus gerissen hat. Vor der EM mit vier Siegen in sechs Spielen gestartet, setzte es nach der EM drei Niederlagen und ein Remis. "Da waren die Abläufe nicht mehr hundertprozentig", erklärt Gaugisch, "und verletzungsbedingte Ausfälle von Inger Smits, Antje Döll, Veronika Mala und Danick Snelder haben uns Energie und Sicherheit gekostet." Jetzt wird der Weg in die europäische Spitze umso härter.

Gaugisch war in Dußlingen Teilzeitlehrer am Gymnasium. Dort ließ er sich im Sommer beurlauben

"Ums Ziel Meister und Pokalsieger lassen wir keine Diskussion zu", sagt Gaugisch. Aber in der Champions League versammeln sich die besten Handballerinnen der Welt und ob Bietigheim dort ins Viertel- oder gar ins Halbfinale vordringen kann, ist völlig offen. "Ich wünsche mir, am Final Four zu kratzen", sagt Gaugisch. Das wäre ein würdiger Abschied aus Bietigheim und aus der Doppeltrainerbelastung.

Die duale Karriere aus Handball und Zweitberuf ist für die meisten deutschen Handballerinnen Standard. Doch auch der Trainer Gaugisch meistert seit Jahren Doppelbelastungen. Bis zum Sommer war er nicht nur in Bietigheim Klubtrainer, sondern zusätzlich im 80 Autobahnkilometer entfernten Dußlingen Teilzeitlehrer am Gymnasium. Dort ließ er sich im Sommer beurlauben, um neben dem Klubtrainerjob für ein Jahr zusätzlich den Posten des Bundestrainers zu übernehmen. Sein Motto: "Ich lass nichts liegen, ich hau alles rein, so bin ich." Die Chance, Bundestrainer zu werden, konnte er sich nicht entgehen lassen. "Europameisterschaft, Weltmeisterschaft, vielleicht sogar Olympia" nennt er schwärmerisch als Anreize.

"Ich lass nichts liegen, ich hau alles rein, so bin ich": Markus Gaugisch beim Training. (Foto: Patrick Suephke/Imago)

Platz sieben bei der EM war zum Auftakt noch nicht der große Wurf. Gleichwohl hat sich Gaugisch das Ziel gesetzt, deutsche Handballerinnen erstmals seit 2008 wieder zu Olympia zu führen. 2024 sind Sommerspiele in Paris, 2025 findet eine Heim-WM in Deutschland (und den Niederlanden) statt. "Ich will helfen, die Gesamtentwicklung des deutschen Frauenhandballs zu gestalten", sagt der ehemalige Bundesliga-Handballer des VfL Pfullingen. Bis spätestens 2025 wird sich zeigen, ob er dafür der Richtige ist.

Deutsche Handballerinnen haben seit 15 Jahren keine Medaille mehr gewonnen

Um Bietigheim und das Nationalteam parallel in die europäische Spitze zu führen, hat 2022 nicht gereicht. Das Jahr war aufreibend. "Das ist noch mal was anderes, als nur Lehrer zu sein", witzelt Gaugisch. Aber auch die künftig singuläre Aufgabe als Bundestrainer wird enorm. An ihr war zuletzt der neue Dortmunder Klubtrainer Henk Groener gescheitert. Deutsche Handballerinnen haben seit 15 Jahren keine Medaille mehr gewonnen.

Dass Bietigheim im internationalen Frauenhandball momentan die deutsche Ehrenrettung darstellt, liegt zugegebenermaßen an internationaler Unterstützung. Als eine Art EM-All-Star-Team treten hier die drei deutschen Nationalspielerinnen Xenia Smits, Julia Maidhof und Jenny Behrend gemeinsam mit den Niederländerinnen Kelly Dulfer und Inger Smits, der Ungarin Melinda Szikora, der Spanierin Kaba Gassama und der dänischen EM-Silbermedaillengewinnerin Trine Östergaard auf. Bietigheim hat binnen eineinhalb Jahren sechs Titel gewonnen und machte im Sommer im europäischen Klubhandball mit dem Triumph in der European League Furore.

Dass der führende deutsche Klub positiv aufs Nationalteam abstrahlt, hat sich bei der EM aber als falsche Annahme entpuppt. Hilfreich wäre vielmehr, wenn möglichst viele Nationalspielerinnen bei internationalen Champions-League-Vereinen spielten. Die jüngsten vier EM-Halbfinalisten machen das vor: Der Dritte Montenegro hat 15 Nationalspielerinnen bei internationalen Champions-League-Klubs, der Europameister Norwegen 14, der Vierte Frankreich 13 und der Zweite Dänemark zwölf. Deutschland hat derzeit fünf Nationalspielerinnen in der Champions League: die Bietigheimerinnen Smits, Maidhof und Behrend sowie Emily Bölk in Budapest und Mia Zschocke im norwegischen Storhamar.

Gaugischs Trainerjob in Bietigheim übernimmt im Sommer der Däne Jakob Vestergaard. Auch er war schon einmal deutscher Bundestrainer

In Bietigheim hat Gaugisch sogar noch bessere Bedingungen als beim Deutschen Handballbund. Als er im Klub kürzlich der Ansicht war, sein Team benötige zusätzliche Alternativen, verpflichtete Bietigheim für die Linksaußenposition kurzerhand die niederländische Jugendnationalspielerin Roos Daleman und für den Rückraum die Schweizerin Kerstin Kündig. Wenn der Nationaltrainer Gaugisch Ergänzungen benötigt, ist er auf den Kreis deutscher Spielerinnen begrenzt, und die Bedingungen für junge deutsche Handballerinnen zu verbessern, ist langwierig und mühsam. Zu viele müssen nebenher arbeiten oder studieren.

Auch aus diesem Grund hat der Verband eine Reform verabschiedet. In Hannover, Leipzig, Dortmund und Stuttgart werden regionale Leistungszentren eingerichtet, und die Bundesliga wird zwecks Qualitätsdichte von 14 auf zwölf Klubs verkleinert. Nicht nur Gaugisch hofft, dass Gipfeltreffen im deutschen Frauenhandball künftig spannender werden und dass von einer breiteren Qualität in der Bundesliga dann auch die Nationalmannschaft profitiert.

Gaugischs Trainerjob in Bietigheim übernimmt im Sommer der Däne Jakob Vestergaard. Auch er war schon einmal deutscher Bundestrainer, 2016 aber trennte man sich nach nur einem Jahr bereits wieder. Frauen-Bundestrainer ist im deutschen Handball momentan vielleicht der schwierigste Job überhaupt.

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