Handball-EM:Der deutsche Handball-Wahnsinn geht weiter

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Freude pur: die deutschen Handballer um Kai Häfner (Mitte) feiern den Sieg im Halbfinale gegen Norwegen. (Foto: AP)
  • Die deutsche Mannschaft besiegt Norwegen in der Verlängerung und erreicht bei der Handball-EM das Endspiel.
  • Die Skandinavier legen gegen die Wertung Protest ein.
  • Hier geht es zu den Ergebnissen der Handball-EM.

Von Joachim Mölter, Krakau

Hüpfen, hüpfen, hüpfen, immer wild im Kreis herum - so feierten die Auswahlspieler des Deutschen Handballbundes (DHB) am Freitagabend in der Tauron Arena von Krakau, nachdem es zuvor hin und her gegangen war, her und hin im Halbfinale der Europameisterschaft gegen Norwegen. Erst die üblichen 60 Minuten und dann noch mal zehn obendrauf. "Wer mehr Spannung braucht, ist krank", sagte Bundestrainer Dagur Sigurdsson über das 34:33 (31:30, 27:27, 13:13) nach Verlängerung. Und das war noch nicht einmal das Ende eines nervenaufreibenden Abends: Als das sportliche Geschehen vorüber war, kündigten die Norweger einen Protest gegen die Wertung an.

In den turbulenten Schlusssekunden sollen zwei DHB-Akteure mit gelbem Leibchen im Spielfeld gestanden haben, ein Wechselfehler, der aber nicht geahndet wurde. Bis Samstagmittag um 12 Uhr muss der europäische Verband EHF entscheiden, wie er mit dem Einspruch umgeht. "Wir sehen der Verhandlung gelassen entgegen und freuen uns auf das Finale", sagte Bob Hanning, der DHB-Vizepräsident für Leistungssport, in Krakau demonstrativ. In diesem EM-Finale am Sonntag (17.30 Uhr/ARD) stünden die deutschen Handballer erstmals seit dem bislang einzigen Titelgewinn 2004. Als Gegner wartet Spanien, das im anderen Halbfinale Kroatien 33:29 bezwang. Den deutschen Spielern war das egal: "Es kann kommen, wer will", hatte der fünfmalige Torschütze Julius Kühn vor der Rückfahrt ins Team-Hotel gesagt: "Wir haben jetzt so viel Selbstvertrauen getankt."

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Das deutsche Handball-Märchen bei der EM geht weiter: Erst kurz vor Ende der Verlängerung trifft Kai Häfner gegen Norwegen zum Sieg.

Es gibt eine Sorte von Mannschaft, der man in K.o.-Runden gar nicht gern begegnet - der Bundestrainer Sigurdsson hatte sie vor dem Halbfinale so beschrieben: jung, hungrig, gut gecoacht von einem jungen Trainer, nach einer Auftaktniederlage von Spiel zu Spiel besser geworden, von Sieg zu Sieg selbstbewusster, zuletzt noch einen der Titelkandidaten aus dem Wettbewerb geworfen. Sigurdsson hätte damit seine vor und während dem Turnier von Verletzungen gebeutelte Auswahl beschreiben können, aber er meinte die norwegische: "Die hat genau wie wir eine Welle erwischt."

Die Welle der Norweger hatte sich sogar etwas höher aufgebaut, denn die hatten im Viertelfinale nicht bloß den EM-Zweiten von 2014 aus dem Weg geräumt, wie die Deutschen mit ihrem 25:23 gegen Dänemark am Mittwoch: Sie waren über Titelverteidiger Frankreich hinweggerauscht (29:24), nachdem sie zuvor den gastgebenden WM-Dritten Polen davongespült hatten (30:28). Bei den Wettanbietern waren die Norweger leichter Favorit gewesen; wer auf die Deutschen als Europameister setzte, bekam hingegen die besten Quoten. Sigurdsson ist dieser Außenseiterstatus ganz recht. "Ich war oft bei einem Final Four als Underdog", sagte er: "Das ist nicht schlimm." Als Coach der Füchse Berlin hat er aus dieser Position 2014 den DHB-Pokal und 2015 den EHF-Cup geholt.

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Allen Vorzeichen nach war dieses Halbfinale also das Duell zweier ähnlich veranlagter Mannschaften - und die neutralisierten sich auf dem Parkett entsprechend, bis zum 27:27 durch Linksaußen Rune Dahmke, 19 Sekunden vor Ablauf der regulären Spielzeit. "Geplant war das nicht", gab der 22-Jährige zu, "die Chance war auch nicht so richtig da. Ich habe nur gedacht, wenn ich jetzt zurückziehe, kriegen wir vielleicht keine bessere mehr." Aber im Grunde, so fügte er hinzu, "ist es bei uns egal, wer den Wurf nimmt."

So ist es. War bislang meist auf die Rückraumschützen Steffen Fäth und Fabian Wiede Verlass, sprangen diesmal Julius Kühn und Kai Häfner ein. Beide waren erst am Montag zum Team gestoßen, als Ersatz für die verletzten Steffen Weinhold und Christian Dissinger. Am Freitagabend hielt Kühn das Team mit seinen fünf Treffern in der zweiten Halbzeit in Reichweite. Und der ebenfalls fünfmal erfolgreiche Häfner sorgte in der Verlängerung für die Entscheidung- fünf Sekunden vor Schluss. "Irgendwie hatte ich zuletzt den Ball und habe nur versucht, ihn reinzumachen", beschrieb Häfner die Szene, nach der es in der Halle drunter und drüber ging - und offensichtlich auch Schiedsrichter und Kampfgericht den Überblick verloren.

"Was der Häfner spielt, ist Wahnsinn", sagte Rune Dahmke. Zu den Spielern des Abends gehörte neben Kühn und Häfner aber auch Tobias Reichmann, der Rechtsaußen, der beim polnischen Meister Vive Kielce unter Vertrag steht. Er erzielte zehn Tore, darunter alle sieben Siebenmeter, die seiner Mannschaft zugesprochen worden waren. Typisch für den Geist, der in dieser Auswahl weht, interpretierte es der 27-Jährige als "Ergebnis der gesamten Mannschaft, dass es die Siebenmeter gegeben hat". Er habe quasi nur vollendet, was andere erarbeitet hatten: "Man hat wieder gesehen, dass jeder Spieler wichtig ist." Es darf nur nicht jeder aufs Feld.

© SZ vom 30.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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