DHB:Handball: Reibereien stärken das deutsche Team

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Partner in Berlin und bei der Nationalmannschaft: Bob Hanning (re.) und Dagur Sigurðsson.

(Foto: imago/Heuberger)
  • DHB-Vizepräsident Bob Hanning hat einen großen Anteil am Halbfinaleinzug der deutschen Nationalmannschaft.
  • Er sorgte für viele Reibereien im Verband und machte sich viele Feinde, um den Erfolg zurückzubringen - loben wird ihn dafür niemand.
  • Hier geht es zu allen Ergebnissen der Handball-EM in Polen.

Von Joachim Mölter, Breslau

Die B-Jugend-Handballer der Füchse Berlin hätten am vorigen Samstag in der Oberliga Ostsee-Spree wahrscheinlich auch ohne ihren Trainer bei der SG Narva Berlin gewonnen, die Partie endete 35:14. Aber Bob Hanning hat es sich nicht nehmen lassen, die Jungs zu coachen, obwohl es für ihn aufwendiger war als sonst.

Er kam aus Breslau eingeflogen, zwischen zwei EM-Spielen der deutschen Nationalmannschaft, um die er sich ja auch kümmern muss als Vizepräsident des Deutschen Handballbundes (DHB). Und weil Hanning schon mal in der Flatow-Sporthalle war, hat er danach auch die A-Jugend der SG Narva gegen den TSV Rudow angeschaut: Könnte ja sein, dass ihm ein Talent auffällt. Es wäre nicht das erste, das er bei einem Klub aus der Region entdeckt.

Fabian Wiede zum Beispiel hat er vor sechs Jahren vom VfL Potsdam zu den Füchsen nach Berlin geholt, da war der gerade 15. Am Mittwochabend schoss Wiede fünf Tore beim 25:23 (12:13) der deutschen Handballer über Dänemark im letzten Hauptrundenspiel der Europameisterschaft; der überraschende Sieg gegen einen der Titelkandidaten brachte die DHB-Auswahl nach Krakau ins Halbfinale gegen Norwegen am Freitag (18.30 Uhr/ZDF).

Dass deutsche Handballer erstmals seit acht Jahren wieder um eine Medaille bei einem internationalen Turnier kämpfen, seit dem vierten Platz bei der EM in Norwegen, hat viel mit Bob Hanning zu tun, dem hauptberuflichen Manager des Bundesligisten Füchse Berlin und ehrenamtlichen B-Jugendtrainer des Klubs. Als Hanning im Herbst 2013 zum Verbandsvize für Leistungssport gewählt wurde, hatten die DHB-Männer gerade die Qualifikation für Olympia 2012 und die EM 2014 verpasst, wenig später folgte das sportliche Aus für die WM 2015 (bei der sie dank einer Wildcard dann doch mitmachen durften).

Hanning rüttelt an alten Strukturen

Hanning krempelte einiges um im DHB, kappte alte Seilschaften, schob Neues an - und machte sich dabei mehr Feinde als Freunde. Heiner Brand, die Ikone des deutschen Handballs als Trainer der Europameister von 2004 und Weltmeister von 2007, spricht nicht mehr mit seinem früheren Assistenten. Und der DHB-Präsident Bernhard Bauer, der zusammen mit Hanning die Männer-WM 2019 nach Deutschland und Dänemark geholt und damit ein Signal des Aufbruchs gegeben hatte, trat vor einem Jahr zurück, weil er die ständigen Auseinandersetzungen und Reibereien mit seinem Vize leid war.

Dass Hanning für den glücklosen Brand-Nachfolger Martin Heuberger den Isländer Dagur Sigurðsson als Bundestrainer engagierte, hat ihm auch Kritik eingebracht: Der 42-Jährige war damals Klubcoach bei den Füchsen - Vetternwirtschaft, so lautete der Vorwurf. Jetzt wird Sigurðsson gefeiert dafür, wie unaufgeregt er mit den verletzungsbedingten Ausfällen vor und während der EM umgeht (insgesamt fehlen sechs Stammspieler); wie souverän er das mit 24,6 Jahren im Durchschnitt jüngste Team aller 16 EM-Teilnehmer durch Vor- und Hauptrunde führte; welche taktischen Varianten er sich für jeden Gegner ausdenkt. Die Dänen zermürbte er mit einer Abwehrformation, die zwischen vorgezogener Manndeckung und am eigenen Kreis zurückgezogener Verteidigung variierte.

Trainer entpuppt sich als Glücksgriff

Dass Hanning seinen Klubcoach dem DHB zugeführt hat, wird nun auf einmal als Glücksgriff gerühmt. Kritik an Sigurðssons Verpflichtung gibt es nicht mehr, Anerkennung für Hannings Opferbereitschaft gibt es aber trotzdem nicht.

Der 47-Jährige scheut keine Konfrontation, wenn er von einer Sache überzeugt ist. Auch dafür ist Fabian Wiede ein Beispiel: kein einfacher Typ als Teenager, "nicht immer maximal dem Sport oder der Schule zugewendet", sagt Hanning; "ganz normale Pubertät", findet Wiede. In Berlin erzählt man, dass die damalige B-Jugend einst geschlossen zu ihrem Trainer kam und ihn vor die Wahl stellte: "Wiede oder wir". Hanning fand einen Kompromiss, von dem alle profitierten - die Mannschaft wurde deutscher Meister, natürlich mit Wiede.

Hanning unterscheidet gern zwischen Führungsspielern, Teamspielern und Individualisten. "Paul Drux ist zum Beispiel ein Führungsspieler", sagt er über den derzeit verletzten 20-Jährigen, den er vor fünf Jahren zur Füchse-Jugend holte und dort zum Nationalspieler ausbildete, zum besten Nachwuchsspieler der Männer-WM 2015 sogar. Drux' langjähriger Weggefährte Wiede hingegen sei eher ein Individualist, "aber er war immer da, wenn es darum ging, gewinnen zu müssen".

Das war Wiede auch am Mittwochabend gegen Dänemark, als er für den verletzten Kapitän Steffen Weinhold in die Anfangsformation rückte, in den rechten Rückraum. "Ich habe mich natürlich gefreut, dass ich eine tragende Rolle spielen durfte", sagt der Linkshänder. Er setzte auch die entsprechenden Zeichen: Nahm sich die ersten Würfe und probierte es immer weiter, selbst als Dänemarks Weltklassetorwart Niklas Landin einige Male spektakulär abwehrte.

Damit steht Wiede beispielhaft für die deutsche Auswahl bei dieser EM: Sie kommt immer wieder zurück, lässt sich von keinem Rückschlag und keinem Rückstand entmutigen, auch nicht vom EM-Zweiten Dänemark - 3:5 (9. Minute), 11:13 (28.), 16:18 (42.), 21:23 (53.) lauteten die Zwischenergebnisse, ehe Fabian Wiede den Triumph mit seinem Treffer zum 25:23 besiegelte. "Er liebt es, eine Entscheidung zu treffen, wenn es 30:30 steht und nur noch zehn Sekunden zu spielen sind", sagt Bob Hanning.

Zwei Achsen entwickeln sich

Zur kommenden Bundesliga-Saison kommt nun noch der Rückraumspieler Steffen Fäth von der HSG Wetzlar zu den Füchsen Berlin, der sechsfache Torschütze gegen Dänemark. Hanning hat den 25-Jährigen natürlich im Interesse des Klubs engagiert, um wieder zu den Bundesliga-Rivalen Kiel, Flensburg und Mannheim aufzuschließen. Aber auch das Nationalteam wird profitieren: Mit Fäth, Wiede und dem gesundeten Drux können die Füchse der DHB-Auswahl einen kompletten Rückraum zur Verfügung stellen. "Das schadet auf keinen Fall, wenn man die Laufwege der Kollegen aus dem Verein kennt", sagt Wiede, "da ist man besser eingespielt."

Wenn nun zu der aus deutschen Profis bestehenden Längsachse zwischen Torwart und Kreisläufer, an der gerade beim THW Kiel gebastelt wird, die Rückraum-Querachse aus Berlin dazukommt: Dann könnte die DHB-Auswahl richtig rund laufen bei Heim-WM 2019 und Olympia 2020.

In Tokio um Gold zu kämpfen, hat Bob Hanning als großes Ziel ausgegeben; danach will er sein DHB-Amt räumen. So lange müssen ihn seine Gegner im Verband wohl noch ertragen. Die Berliner Jung-Füchse wird er vermutlich darüber hinaus coachen. "Er lebt für die Jugendarbeit, dafür, junge Spieler nach oben zu bringen", sagt Fabian Wiede, der es aus eigener Erfahrung ja wissen muss: "Das lässt er sich nicht nehmen."

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