Handball:Gestatten: Zeiler, 70, Handballtorwart

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Und hoch das Bein: Horst Großmann beim Warmwerfen vor dem Spiel. Der jüngste Mannschaftskamerad ist 19, er könnte sein Enkel sein. (Foto: Robert Haas)
  • Horst Großmann verdreht sich auch mit 70 Jahren noch athletisch für den SV 1880 München im Tor.
  • In seiner langen Sportkarriere war er ebenfalls lange als Fußballtorwart unterwegs - erst mit 60 beschränkte er sich auf den Handball-Sport.

Von Thomas Becker, München

Dass Torhüter einen an der Waffel haben, weiß man nicht erst seit Sepp Maier, Wolfgang Kleff, Toni Schumacher oder Uli Stein. Aber Sportsfreunde, die sich freiwillig in ein Handballtor stellen und sich aus kürzester Entfernung von Zwei-Zentner-Typen mit einem harten Lederball bearbeiten lassen? Klingt nach einer masochistisch veranlagten Spezies. Allein das sogenannte Warmwerfen: Ein Dutzend Feldspieler reiht sich hintereinander auf, um den Keeper im 0,5-Sekunden-Takt mit Würfen einzudenken, zuerst auf die Hände, dann oben in die Ecken, auf die Füße und dann noch halbhoch, was den Torwart endgültig zum Hampelmann macht. Ein seltsames Schauspiel - erst recht, wenn ein 70-Jähriger im Tor steht.

Richtig gelesen: 70. Horst Großmann vom SV 1880 München steht auch im achten Lebensjahrzehnt noch im Kasten. Obwohl man an einem Samstagabend um acht durchaus etwas anderes vorhaben könnte. Aber nein, der Zeiler - so lautet sein Spitzname - ist da, wenn er gebraucht wird. Er sagt: "Ich kann halt schlecht Nein sagen." Sagt's und geht ab in den Bällehagel der Mannschaftskameraden. Der Jüngste im Team ist 19, er könnte Großmanns Enkel sein. In ein paar Minuten wird in der Arnulfhalle die Partie gegen den ESV Laim III angepfiffen, Bezirksklasse, unterste Liga. Kurz vor Anpfiff herrscht Irritation: "Spielen wir in Schwarz oder Grün?"

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Seit dieser Saison hat sich 1880 mit Großhadern zu einer Spielgemeinschaft zusammengeschlossen, so spielt man nun mal in den schwarzen 80er-Trikots, mal in den grünen von Hadern. "Erst mal sehen, ob das mit der Spielgemeinschaft klappt, anstatt gleich neue Trikots für alle zu kaufen", sagt Großmann, der nicht nur im Tor steht, sondern seit vier Jahren auch den Abteilungsleiter gibt. Der Klub aus dem Westend hat schon bessere Tage gesehen, sogar Landesliga gespielt, doch zuletzt ging es bergab. Der Nachwuchs muss mit Schwabing eine Spielgemeinschaft bilden, ein Frauen-Team kam erst jetzt wieder zustande. Nur noch 90 Mitglieder zählt die Handballabteilung, da reißt sich keiner um den undankbaren Job des Abteilungsleiters. Aber der Zeiler kann halt nicht Nein sagen.

Zuerst kam für Großmann der Fußball

Der Spitzname geht auf ein Missgeschick zurück. In einem Abstiegsduell ging es einst gegen München-Süd - mit den beiden Zeiler-Brüdern. Die produzierten in der letzten Minute eine Art Eigentor, was 1880 den Klassenerhalt sicherte. Als Großmann mit einem Mitspieler wenig später ein ähnlicher Fauxpas unterlief, hatte er seinen Spitznamen weg. Und zwar so gründlich, dass manche im Klub gar nicht wissen, dass der Zeiler eigentlich Großmann heißt. Dem Schlaks mit den kurzen weißen Haaren macht das nichts aus. Er ist keiner, der viel Aufhebens um sich macht. Dass er mit 70 immer noch im Tor steht? "Reine Gewohnheit", sagt er und winkt ab. Zeit für die nächste Runde Hampelmann.

Als das Spiel beginnt, sitzt er auf der Bank, Ersatzmann für Michi, die Nummer eins. Zeit für einen Plausch darüber, wie alles begann. Großmann stammt aus Frankfurt, stand seit der B-Jugend bei der SpVgg Oberrad 05 im Tor - im Fußball. Handball hat er in der Schule gespielt, später an der Uni Aachen im Hochschulsport, als mal wieder ein Freiwilliger fürs Tor gesucht wurde. Der Job als elektronischer Nachrichtentechniker spült ihn nach München, zunächst zur ESG, dann zu MBB nach Ottobrunn. Auf der Suche nach einem Klub, der sowohl Hand- als auch Fußball anbietet, landet er 1981 bei 1880 München. "Und da ich den Fußball-Abteilungsleiter zuerst ans Telefon bekommen habe, habe ich eben mit Fußball angefangen", erzählt er.

Lange dauert es nicht, bis auch im Handball ein Keeper gebraucht wird - und so spielte der Zeiler viele Jahre lang eben beides: "In meiner besten Zeit war ich im Fußball in der AH und der zweiten Mannschaft Stammtorwart und bei der Ersten Ersatz - plus Handball, klar." Erst mit 60 beschränkte er sich auf den Job bei den Bällewerfern. "Im Fußball ging's irgendwann nur noch darum, gescheit aufzukommen, ohne sich weh zu tun", erzählt der Senior, der in all den Jahren von gröberen Verletzungen verschont blieb. Erst zwei Knie-Operationen brachten ihn zuletzt ins Grübeln. Doch dann wurde ein Keeper für die zweite Mannschaft gebraucht...

Nach 23 Minuten ist es soweit: Trainer Wolfgang Pangratz wechselt beim Stand von 10:6 den Torwart, Michi raus, Zeiler rein. Der Mann im orangefarbenen Dress erlebt eine üble Phase seines Teams: Zur Pause liegt man 11:12 hinten. Nach der Halbzeit sitzt er wieder auf der Bank. Pongratz meint: "Wir haben ein Abwehrproblem, kein Torwartproblem. Der Horst ist einer, der nicht aufhören will, kann und muss. Er will sich nicht aufs Altenteil zurückziehen, sucht den Kontakt zu den Jungen, müht sich, den Verein wieder in Schwung zu kriegen und hilft uns immer wieder aus."

Auch Zeilers Kollege Michi, im richtigen Leben Professor für Bauwesen an der Hochschule in Rosenheim, ist schon 53 und seit 45 Jahren Handballtorwart - und voll des Lobes: "Wenn ich in dem Alter noch halb so fit bin wie der Horst, hab' ich viel richtig gemacht. So was wie Golf ist nichts für den. Das ist was für alte Männer, und das ist der Horst halt nicht."

Der (nicht) alte Mann und der Ball: eine unendliche Geschichte. 21:23 heißt es am Ende gegen Laim, ein bitterer Abend, mal wieder: Schon das erste Spiel hatte man mit nur einem Tor Unterschied verloren. Egal, Mund abputzen, weiter. Am Montag ist wieder Training, bei den Damen. "Für die mache ich ein bisschen Torwarttraining", sagt Horst Großmann, der 70er beim 80er. Man kann sich schon vorstellen, wie er zu dem Job kam: Sie werden ihn einfach gefragt haben. Ein Nein gibt es halt nicht, beim Zeiler.

© SZ vom 19.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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