Handball:Synonym für Physis

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Vor dem Topspiel gegen Essen führt der HSC Coburg die Tabelle der zweiten Bundesliga mit 17:1 Punkten an - das liegt auch an Rückraumspieler Christoph Neuhold.

Von Sebastian Leisgang

Es wäre natürlich nicht die Wahrheit, wenn man behaupten würde, dass alleine der Kaffee Christoph Neuhold nach Coburg gelockt hat, die Wahrheit ist aber: Neuhold mag Kaffee, und in Coburg gibt es ausgesprochen guten Kaffee. Deshalb zieht es Neuhold an freien Tagen immer wieder in die Cafés der Innenstadt. Auch jetzt schlendert er Richtung Marktplatz und sagt im Rückblick auf das jüngste 35:21 in Emsdetten: "Wir haben damit gerechnet, dass es ein schwieriges Spiel wird, dann haben wir uns aber in einen Rausch gespielt."

Manchmal erzählt ein einziges Spiel mehr, als in 60 Minuten eigentlich unterzubringen ist, und der Coburger Auftritt in Emsdetten war ein solches Spiel. Eine anspruchsvolle Aufgabe, die die Mannschaft von Trainer Jan Gorr dann doch höchst souverän, ja, gar auf mitreißende Art und Weise löst: Damit steht die Partie sinnbildlich für die gesamte Saison.

Im Sommer hat Coburg einen Umbruch vollzogen. Gorr musste sich an einem Puzzle versuchen, er musste die einzelnen Teile zu einem stimmigen Bild zusammenfügen, und er musste sämtliche Neuerungen rund um den Klub moderieren. Da all das Probleme mit sich bringen kann, gestand das Umfeld der Mannschaft ein wenig Zeit zu. Beim HSC haben sie inzwischen aber erkannt, dass sie diese Zeit gar nicht in Anspruch nehmen müssen. Nach nunmehr neun Spielen führen die Oberfranken vor dem Spitzenspiel gegen den Zweiten TuSEM Essen an diesem Samstag (19.30 Uhr) die Tabelle mit 17:1 Punkten an, und wenn man nach den Ursachen forscht, dann stößt man bald auf den Namen Christoph Neuhold. Der Rückraumspieler ist Teil des Coburger Umbruchs - und damit Teil des Problems, des Puzzles, der Neuerungen. Doch inzwischen hat er sich als Lösung entpuppt.

Neuhold, 24, ist vom ASV Hamm-Westfalen zum HSC gekommen und auf Anhieb zu einem der federführenden Spieler aufgestiegen. Wenn man Gorr auf den Österreicher anspricht, dann leuchten seine Augen. Coburgs Trainer redet dann etwas schneller als sonst, fast so, als stehe er unter Zeitdruck, um all die Vorzüge, die Neuhold mitbringt, aufzählen zu können. "Er ist unglaublich explosiv, ein wahnsinnig athletischer Spieler", sagt Gorr also und führt weiter aus: "Er hat noch einiges an Potenzial, das man rauskitzeln kann. Er ist aber schon sehr beständig und tut unserem Spiel unglaublich gut, weil er mit wahnsinnig viel Dampf in diese Kreuzbewegungen geht."

Im Sommer hat sich Neuhold zweimal mit Gorr getroffen. Beim ersten Mal zum Kaffeetrinken in der Coburger Innenstadt. Beim zweiten Mal zur Unterschrift. Jetzt wirft er seine Tore für den HSC. Neuhold ist kein freischaffender Künstler wie etwa Florian Billek, der den gegnerischen Torwart gerne mal überlistet, indem er den Ball über ihn lupft, wenn er von rechts außen in den Kreis springt. Neuhold lupft nie - selbst wenn er mal an den Kreis durchbricht und nicht aus dem Hinterhalt wirft. Neuhold ist das Gegenstück zu Billek, ein Synonym für Physis und Durchschlagskraft in Reinform.

Während Billek die Situationen auf dem Spielfeld mit dem kleinen Finger löst, gebraucht Neuhold die Faust - und verleiht dem Coburger Rückraum damit eine Facette, die das Spiel des HSC noch unberechenbarer werden lässt.

So gradlinig wie sein Spiel ist Neuhold auch im Gespräch. Die ersten Saisonwochen? "Eine Ansage an die Konkurrenz." Die Auftritte der Mannschaft? "Bemerkenswert." Sein persönlicher Einstand in Coburg? "Sehr gut gelaufen." Dann sagt er mit einem unverkennbar österreichischen Zungenschlag: "Mir ham a schon in de Vorbereitung richtig guad gspielt." Deshalb ist er sich sicher, dass die Erfolgssträhne keine Laune der Natur ist.

Tatsächlich scheint es Coburg gelungen zu sein, sich vor dieser Saison in Windeseile selbst zu erneuern. Gorr betreut den HSC inzwischen seit mehr als fünf Jahren. In einer derart langen Amtszeit bleibt Verschleiß kaum aus, auch wenn sich Trainer nur selten zu einem solchen Geständnis durchringen können. Dem natürlichen Verfall sind die Oberfranken aber längst mit Spielern wie Neuhold entgegengetreten - und legen derzeit die Basis für eine Rückkehr in die Bundesliga.

Fragt man Neuhold nach der Substanz der Mannschaft, nach der Nachhaltigkeit des derzeitigen Erfolgs, dann sagt er: "Man kann einen Aufstieg nicht planen." Doch Neuhold wäre nicht Neuhold, wenn er nicht noch eine forsche Aussage folgen lassen würde. Er betont also: "Aber es ist unser Ziel, den Aufstieg zu schaffen." Ein Satz, so schnörkellos wie ein Wurf aus dem Rückraum.

© SZ vom 19.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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