Zweite Liga:Naht wieder das große HSV-Drama zum Saisonende?

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Konsterniert: HSV-Stürmer Robert Glatzel. (Foto: MIS/Imago)

Die Hamburger erleiden beim 2:3 in Magdeburg einen weiteren Dämpfer - Trainer Tim Walter gibt sich daraufhin sogar demütig und sagt zu den Aufstiegschancen: "So wird es schwer."

Von Thomas Hürner, Hamburg

Der Hamburger SV, das lässt sich nicht leugnen, liefert seinen Fans die volle Palette an Gefühlen. Nostalgiker dürfen sich an der gloriosen Vergangenheit erfreuen, Fußballromantiker sind fasziniert von der gewaltigen Unterstützung des eigenen Anhangs, und auch Masochisten können sich wohl keinen besseren Fußballklub vorstellen als den HSV.

Wo bekommt man sonst ein derartiges Chaos an Emotionen geboten? In der Vorwoche, nach dem spektakulären 4:3-Derbysieg gegen den Stadtrivalen St. Pauli, hatte die Szenerie im Hamburger Volkspark noch ausgesehen, als würden die anwesenden Feiergäste schon mal für die große Aufstiegsparty üben, die dann zum Saisonende folgen sollte. Eindruck aus erster Hand: So eine Aufstiegsparty in Hamburg wäre sogar riesengroß.

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Der HSV hat am Samstag 2:3 beim 1. FC Magdeburg verloren und damit zwar seinen Anspruch untermauert, in der bundesweiten Masochisten-Rangliste weiterhin einen der vorderen Plätze einzunehmen. Doch in der realen Zweitliga-Tabelle dürfte diese Niederlage aus HSV-Sicht eher eine sedierende Wirkung entfalten: Der aktuell drittplatzierte Traditionsklub ist vier Punkte hinter dem 1. FC Heidenheim zurückgefallen, der den letzten direkten Aufstiegsplatz belegt. Und da es in der nächsten Woche für den HSV gegen den auf sechs Punkte distanzierten SC Paderborn geht, könnte nun sogar die Aufstiegsrelegation in akute Gefahr geraten - das absolute Minimalziel des einstigen Europapokalsiegers.

HSV-Coach Tim Walter steht für offensiven Fußball - die Ergebnisse hinken aktuell allerdings hinterher

Mit Frühjahrstiefs kennt man sich aus in der Hansestadt, sie waren zumeist der Grund, dass der HSV nun schon das fünfte Jahr im Unterhaus festhängt. In dieser Spielzeit ist aber etwas anders: Die Mannschaft wirkt nicht paralysiert von Versagensängsten, die sich ausbreiten, sobald sich Fußballspieler in wichtigen Saisonphasen das Trikot mit dem Rautenlogo überziehen. Sie wirken auch nicht erdrückt vom medialen Druck, der in Hamburg traditionell immens ist. Nein, es ist womöglich viel banaler: Der HSV scheitert aktuell an dem Fußball, den er spielt.

Tim Walter, der Hamburger Trainer, ist ein radikaler Offensivdenker, der an seinen Spielstil glaubt wie Katholiken an die zehn Gebote. Pässe, Pässe, Pässe will er sehen, auch gegen die ebenfalls passfreudigen Magdeburger konnte der HSV mal wieder einen deutlichen Vorsprung beim Besitzanteil des Balles ausweisen. So eine durchkomponierte Idee ist prinzipiell eine tolle Sache für einen Verein, zumal für den HSV, der ein Jahrzehnt lang zumeist komplett ohne Spielidee im deutschen Profifußball unterwegs war. Nur: Ein schöner, vermeintlich edler Fußball bringt nichts, wenn es das Team nicht schafft, vorne verlässlich ein Tor mehr zu schießen, als es sich hinten einfängt. Und der HSV liefert - im Gegensatz zu den fast schon beängstigenden Ergebnismaschinen aus Heidenheim und vom Tabellenführer Darmstadt 98 - in den vergangenen Wochen alles andere als zuverlässig in dieser Disziplin.

"Wir wollen Spiele gewinnen, das haben wir heute verpasst, weil wir offensiv und defensiv nicht konsequent genug waren", sagt HSV-Trainer Tim Walter. (Foto: Christian Schroedter/Imago)

"Hinten kann nicht alles funktionieren", lautete auch die Erkenntnis des HSV-Kapitäns Sebastian Schonlau, als er auf die drei Gegentore in Magdeburg angesprochen wurde. Sie waren so oder so ähnlich bereits in den Vorwochen zu besichtigen: Die Gegner orientieren sich mit Tempo hinter die weit aufgerückte HSV-Defensive, nur um danach im Rückraum der nach hinten geeilten Abwehr zum Abschluss zu kommen. Auf diese Weise erzielte der 1. FCM seine ersten beiden Treffer. Dass unter den drei Torschützen in Moritz Kwarteng und Tatsuya Ito zwei ehemalige Hamburger waren, das war nur eine von zwei bitterbösen Pointen. Die andere: Magdeburg wird trainiert vom inzwischen gemäßigten Offensivlehrer Christian Titz, der mit dem HSV abstieg und in der zweiten Liga nach nur zehn Spielen entlassen wurde. Es gibt nicht wenige HSV-Kenner, die glauben, dass der Klub ohne die Dimission von Titz längst in die Erstklassigkeit zurückgekehrt wäre.

Ein Trainertausch in der Endphase der Saison ist dem Vernehmen nach ausgeschlossen

Am Samstag war nicht alles schlecht aus Hamburger Sicht, aber die erneut über 90 Minuten zu besichtigende Unstetigkeit des Teams war mal wieder nicht gut genug. Der HSV schaffte es in Magdeburg nicht, in Führung zu gehen, weshalb die Treffer von Sonny Kittel (zum 1:1 in der 42. Minute) und Ludovit Reis (zum 2:3 in der Nachspielzeit) lediglich den Start eines möglichen Comebacks markierten, das dann doch nicht stattfand.

Optische Überlegenheit ist im modernen Fußball nun mal kein brauchbares Indiz für echte Torgefahr. Die Hamburger haben zwar, gemessen an der Liga, exquisite Offensivspieler wie den Stürmer Robert Glatzel oder den Flügelflitzer Jean-Luc Dompé. Im Walter'schen Spielsystem müssen sie sich allerdings unheimlich quälen, um in Schusspositionen zu kommen, weil die Gegner sehr effiziente Raumverdichtung am eigenen Strafraum betreiben. Symptomatisch: In den Spielen gegen die Aufsteiger Magdeburg und Kaiserslautern hat der HSV nur einen von zwölf Punkten geholt.

"Wir wollen Spiele gewinnen, das haben wir heute verpasst, weil wir offensiv und defensiv nicht konsequent genug waren", sagte Walter und lieferte eine Einschätzung mit Blick auf die Aufstiegstauglichkeit des HSV: "So wird es schwer." Fast schon demütig klang das. Dabei hatte sich der sehr selbstbewusste Coach zuletzt häufig den Vorwurf der Hochnäsigkeit gefallen lassen müssen, weil er auf Nachfrage immer wieder betonte, dass er und sein Team am Saisonende aufsteigen würden.

Arrogant war das bei genauer Betrachtung allerdings nicht, sondern die Anwendung einfachster Mathematik. Walter, der findet, dass Ballbesitz die Siegeswahrscheinlichkeit deutlich erhöht, hat nämlich das Privileg, bei seinem Arbeitgeber den wichtigsten aller Erfolgsfaktoren vorzufinden: Geld. Nicht unermesslich viel davon, aber genug, um einen vom HSV-Sportvorstand Jonas Boldt verantworteten Kader zur Verfügung zu haben, der mitunter fast doppelt so viel kostet wie der der direkten Aufstiegskonkurrenten.

Boldt und Walter haben ein inniges Verhältnis, ein Trainertausch in der Endphase der Saison ist dem Vernehmen nach ausgeschlossen. Sie wissen aber, dass potenziell spaltende Fragen auf sie zukommen, wenn es nichts werden sollte mit der Hamburger Aufstiegsparty: War der Kader nicht so gut, wie er teuer war? Und wenn doch: Lag's dann womöglich am Ertrag des Trainers?

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