Ob es ein Fortschritt für den Hamburger SV ist, erstmals seit drei Jahren ohne Relegationsspiele in der Bundesliga zu bleiben, wird derzeit in Hamburg kontrovers diskutiert. Die Bilanz, die Klubchef Dietmar Beiersdorfer am Dienstag gezogen hat, lautete einerseits "Ja": Man habe, seit er im Sommer 2014 Vorsitzender der neuen "HSV Fußball AG" wurde, die verloren gegangene "Bundesliga-Wettbewerbsfähigkeit" wiederhergestellt, mit dem Bau des Nachwuchsleistungszentrums "Campus" begonnen und trotz Verbindlichkeiten von 90 Millionen Euro eine "vernünftige Finanzierungsstruktur" geschaffen.
Andererseits hatte er die Medien eingeladen, um mitzuteilen, was weniger gut gelaufen ist. Beiersdorfer erklärte, weshalb er am Montagabend den Direktor Profifußball, Peter Knäbel, entlassen hat.
Wer hat den besseren Job als Einkäufer gemacht?
Selten hat man den HSV-Vorsitzenden dabei so energisch erlebt. Gegen die Enttäuschung im Umfeld wehrte er sich, indem er fast die Hand zur Faust ballte und entgegnete: "Das sehe ich nicht so." Die Entscheidung, sich vom Sportmanager zu trennen, habe er "mit Blick auf die Zukunft getroffen". Dinge zu hinterfragen und gegebenenfalls zu korrigieren, sei sein Job.
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Es habe sich in den vergangenen Monaten gezeigt, dass die sportliche Entwicklung stagniere und man unterschiedliche Auffassungen darüber habe, mit welchen Spielern man die Mannschaft verbessern könne. Das betreffe nicht nur Kaderplanung, sondern auch Scouting und Teammanagement. Deshalb sei die Personalie vor der beginnenden Transferperiode "konsequent".
Noch überraschender war indes, dass Beiersdorfer sich selbst als Knäbels Nachfolger ausgesucht hat, womit er jetzt also eine Art Alleinherrscher beim HSV ist. Das vom NDR in Umlauf gesetzte Gerücht, Schalkes scheidender Manager Horst Heldt werde das Amt übernehmen, dementierte der HSV-Chef: Er möge Heldt zwar, aber es habe keine Gespräche mit anderen Sportdirektoren gegeben. Und als nachgefragt wurde, ob seine Rückkehr auf den Posten als Sportchef (den er beim HSV schon von 2003 bis 2009 innehatte) und seine Funktion als Vorsitzender eine Dauerlösung sei, antwortete er: "Ja." Vielleicht ist diese Lösung auch Beiersdorfers "letzte Patrone", wie die Morgenpost glaubt.
Im Hintergrund nörgelte Haupt-Geldgeber Klaus-Michael Kühne schon seit Langem über den mühseligen Prozess der Erneuerung. Zwar sagt Beiersdorfer, er habe mit Kühne zuletzt vor einigen Wochen im Zuge des regelmäßigen Austauschs gesprochen und ihn vor dieser Personalie nicht konsultiert. Doch auch der Aufsichtsrat mit dem Kühne-Vertrauten Karl Gernandt an der Spitze hat die Saison und die Kaderplanung trotz des Klassenverbleibs als "nicht zufriedenstellend" empfunden. Das Gremium macht seit Längerem Stimmung gegen Knäbel. Das war ja auch nicht schwierig.
Knäbels Auftritt als Zwei-Spiele-Interimstrainer zwischen dem beurlaubten Joe Zinnbauer und Bruno Labbadia im Frühjahr 2015 war ein Desaster mit null Punkten, das ihn damals schon fast den Job gekostet hätte. Dann kam im Sommer die sogenannte Rucksack-Affäre, bei der Gehaltslisten der Profis durch einen Park flatterten.
Schließlich folgte Anfang Februar die gescheiterte Verpflichtung von Sékou Sanogo von Young Boys Bern, weil die Unterlagen vier Minuten zu spät gefaxt wurden. Das alles hatte laut Beiersdorfer mit der Kündigung des "loyalen, engagierten Partners" Knäbel aber nichts zu tun.
Womöglich hat Beiersdorfer bei Knäbel jetzt nur die Maßstäbe angelegt, die ihn 2009 selbst den Job beim HSV kosteten: Da warf ihm der damalige Klubchef Bernd Hoffmann vor, er sei zu zögerlich. Dabei hatte Knäbel viel weniger Geld zur Verfügung als seinerzeit Beiersdorfer und immerhin gelang es ihm, Anfang 2015 den HSV-Relegations-Retter Marcelo Diaz für relativ wenig Ablöse zu verpflichten. Wenn man die vergangenen Jahre vergleicht, ist durchaus strittig, wer zuletzt den besseren Job als Einkäufer gemacht hat.
Als sich Beiersdorfer auf Tuchel verließ
Bevor Knäbel im Oktober 2014 seinen Dienst antrat, musste Beiersdorfer ja noch mal als Sportchef einspringen: Er verpflichtete den teuren Flop Valon Behrami, stattete den Brasilianer Cléber und Lewis Holtby mit prächtigen Verträgen aus, ebenso Stürmer Pierre-Michel Lasogga, für den er 8,5 Millionen Euro an Hertha BSC zahlte. Und auf den Wunschtrainer Thomas Tuchel verließ er sich so lange, bis dieser das lukrativere Angebot aus Dortmund annahm.
Jetzt muss Beiersdorfer Spieler verkaufen wie etwa Lasogga, um Geld für den weiteren Umbau des Teams zu haben. Auch die Trennung vom gut bezahlten Ersatzkeeper Jaroslav Drobny, 36, soll vor allem die Kasse entlasten.