Hamburger SV:Ein fast normaler Zweitligist

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Der erste Aufstiegscoach in der Geschichte des HSV? Trainer Tim Walter versucht es jedenfalls im dritten Anlauf. (Foto: Christian Charisius/dpa)

Der Traditionsklub geht gegen Schalke in sein sechstes Jahr im Unterhaus. Im Vergleich mit den meisten Konkurrenten befindet sich der HSV dennoch in privilegierter Position - nur das mit dem Aufstieg sollte langsam mal klappen.

Von Thomas Hürner, Hamburg

Bevor der Hamburger Sport-Verein an diesem Freitag gegen den FC Schalke 04 (20.30 Uhr, Sat 1/Sky) in die neue Zweitliga-Saison startet, gilt es eine spannende und höchst relevante Frage zu klären: Was ist ein normaler Zweitligist? Und: Wenn es so etwas wie normale Zweitligisten überhaupt gibt - gehört der HSV dann auch in diese Kategorie?

Nun, die Beantwortung der Frage erscheint gar nicht so schwierig. Der HSV hat sich in den vergangenen Jahren zwar größte Mühe gegeben, sich auf eine Hierarchieebene mit den Paderborns und Rostocks dieser Welt zu begeben, aber gelungen ist es nicht. Klar, fünf Nichtaufstiege sind eine ganze Menge, zumal für einen einstigen Meister und Europapokalsieger, der lange davon zehrte, vor seinem kometenhaften Absturz der letzte überlebende Erstliga-Dino gewesen zu sein. Fünf Nichtaufstiege reichen allerdings nicht ganz aus, um als Zweitliga-Fossil bis zur nächsten Eiszeit zu überdauern.

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Der HSV bleibt im sechsten Jahr zweitklassig, dennoch feiern die Fans das Team und sich selbst. Eine kuriose Solidaritätswelle erfasst gerade kriselnde Traditionsklubs - aber Linientreue führt selten zu einer Kultur des Gewinnens.

Kommentar von Thomas Hürner

Sie sind auch nicht genug, um Hamburg - die einzige Millionenmetropole aus den europäischen Spitzenligen, die keinen Erstligisten hat - in einen Standort zu verwandeln, an dem es an wirtschaftlichem Wohlstand und Fußballbegeisterung fehlt. Branchen- und Marketinganalysten gehen zwar nicht so weit, den HSV als too big to fail einzustufen, was angesichts der fünf (in Zahlen: 5) Nichtaufstiege ohnehin kein seriöses Lagebild gewesen wäre. Für zu groß, um noch weiter abzustürzen, halten dieselben Analysten den Traditionsklub aber sehr wohl - natürlich immer gesetzt den Fall, dass in der Hamburger Geschäftsstelle keine Doppelagenten aus Bremen eingeschleust wurden oder dort massivste Korruption grassiert.

Der HSV hat finanziell zugelegt - dank Investor Kühne

Nur: Wie kam HSV-Coach Tim Walter unmittelbar nach dem erneuten Nichtaufstieg darauf, die Rahmenbedingungen eines "ganz normalen Zweitligisten" zu attestieren? Womöglich, so ticken Menschen und sogar polarisierende Fußballtrainer nun mal, handelte es sich dabei um eine Art Schutzbehauptung, durch die sich ein Moment größtmöglicher Enttäuschung ein bisschen erträglicher gestalten ließ. Das wäre eine seriöse Erklärung für Walters kühne Behauptung, und er hat sie am Mittwoch auf der Spieltagspressekonferenz zumindest indirekt bestätigt. In einer "sehr sexy" Liga, sagte Walter, sei der HSV mit Blick auf die Wirtschaftskraft im "obersten Regal" anzusiedeln. Aus guten Gründen hat die Pressestelle des Klubs bislang keine Gegendarstellung zu dieser Aussage herausgegeben.

Denn kurz nach der verlorenen Aufstiegsrelegation gegen Stuttgart, die bei einem Gesamtergebnis von 1:6 so deutlich ausfiel wie seit einer Dekade nicht, wurden einige Meldungen publik, die die Hamburger Sonderstellung im Unterhaus belegen: Der Mannschaftsetat wurde auf angeblich 28 Millionen Euro angehoben, womit sich die Hamburger auf Augenhöhe mit den namhaften Absteigern Schalke und Hertha BSC befinden dürften. Was Schalke nicht hat und Hertha schon länger nicht mehr, ist ein Investor bzw. Gönner, der die Klubkassen mit frischen Finanzmitteln versorgt. 30 Millionen Euro hat der Logistikmilliardär und HSV-Fan Klaus-Michael Kühne im Sommer zugeschossen - und er will sie nicht mal wiederhaben, sofern die HSV-Mitglieder eine Rechtsformänderung von einer AG zur KGaA beschließen sollten. Das Geld würde dann einfach in einen Zukauf von Klubanteilen umgewandelt.

Ein ganz normaler Zweitligist also? Eine kurze Recherche in den Tiefen des Unterhauses ergibt, dass derlei Vorgänge weder aus Paderborn, Rostock, Nürnberg oder Elversberg vermeldet wurden.

Vor zwei Jahren wurde der "Weg der Entwicklung" beschritten - jetzt muss der HSV ins Ziel kommen

Die Kühne-Millionen werden zwar mit Maß und Mitte ausgegeben, da der Hamburger Sportvorstand Jonas Boldt eine andere Programmatik im Klub etabliert hat als viele seiner Vorgänger, denen solche Sondervermögen gerne mal die (Weit-)Sicht vernebelt haben. Die daraus resultierenden Privilegien machen es allerdings noch schwieriger, ein erneutes Verpassen des Saisonziels wenigstens als Teilerfolg zu verkaufen. Boldt ist nun seit 2019 im Amt, gemeinsam mit dem Trainer Walter hat er vor zwei Jahren einen "Weg der Entwicklung" ausgerufen, der von den Beteiligten auch deshalb so glaubhaft beschritten wurde, weil auf diesem Weg auch eine Menge entwicklungsfähiger Fußballer mitgenommen wurden. Doch auch Boldt weiß, dass ein Weg beim HSV niemals das Ziel sein kann. Gemessen wird der Zwei-Meter-Manager an der Rückkehr in die Erstklassigkeit.

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Damit es diesmal klappt, wurde die kurze Sommerpause mit einer langen Analysereihe über die Gründe fürs abermalige Scheitern zugebracht. An der Walter'schen Spielstrategie, die auf Totaldominanz und Positionsrochaden beruht, wird auch in der neuen Saison festgehalten - ansonsten hätte man mit dem bisweilen radikalen Offensivlehrer Walter ja erst gar nicht weitermachen brauchen. Wenn erforderlich, soll die Mannschaft nun aber auch mal konservativer agieren, sogar die bei Walter verpönten Befreiungsschläge sind jetzt ab und zu erlaubt. Der klubinterne Plan sieht vor, dass sich so ein Reifeprozess vollzieht: Insbesondere Stürmer Robert Glatzel und Mittelfeldmotor Ludovit Reis, die am Anfang des Entwicklungsweges dabei waren, sollen nun ein Team anführen, das nicht nur Spektakel, sondern auch seriösen Ergebnisfußball kann. In diesem Bestreben haben die beiden Spieler - trotz Angeboten aus der ersten Liga - ihren Verbleib in der nächsten Saison zugesagt.

Leihgabe aus Salzburg: Rechtsverteidiger Ignace Van der Brempt (rechts im Testspiel gegen Glasgow Rangers). (Foto: Colorsport/Imago)

Als Ergänzung zu den etablierten Säulen, zu denen auch Torwart Daniel Heuer Fernandes und Mittelfeldstratege Jonas Meffert gehören, wurde im Transfersommer vor allem auf bislang hinderlichen Schwachstellen nachgebessert. Für die Innenverteidigung wurde Dennis Hadzikadunic vom russischen Erstligisten FK Rostow ausgeliehen, dasselbe Modell wurde beim Rechtsverteidiger Ignace Van der Brempt von RB Salzburg angewandt. Für beide Akteure gibt es keine Kaufoption, weshalb aus diesen Geschäften auch eine klare Botschaft abzulesen ist: Die herangeschaffte Qualität soll die kurzfristigen Erfolgsaussichten erhöhen. Eine Langzeitperspektive war dagegen maßgebend für den 22-jährigen Spielmacher Immanuel Pherai, der vom Ligarivalen Eintracht Braunschweig kam und den wankelmütigen Sonny Kittel ersetzen soll. Der wendige Niederländer, der lieber zum HSV als in die erste Liga wollte, gehörte in der vergangenen Spielzeit zu den auffälligsten Zweitliga-Akteuren und bringt allerlei mit, was der Trainer Walter toll findet: Pherai startet gern in Tiefenläufe und hat einen ständigen Drang ins Gegenpressing.

Blöd aus HSV-Sicht jedoch ist, dass sich pünktlich zum Saisonstart eine besorgniserregende Anzahl von Spielern im Krankenstand befindet. Dabei wären die einstudierten Abläufe der Walter-Elf ein Vorteil im Direktvergleich mit den Absteigern Schalke und Hertha gewesen. Das Unterhaus ist auch so eine große Aufgabe in dieser Saison. Dank eines ambitionierten Teilnehmerfelds mit Klubs wie Fortuna Düsseldorf, Hannover 96, St. Pauli oder Paderborn gilt die zweite Liga als so ausgeglichen wie lange nicht. Den stets siegesgewissen HSV-Coach Walter scheint diese Konkurrenzsituation jedenfalls nicht zu verunsichern. "Die Frustration von gestern", sagte Walter jüngst, "ist die Motivation von morgen." Na dann: auf ein Neues.

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