Verteidiger wechselt nach England:Guardiola holt Gvardiol

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21 Jahre alt, 21 Länderspiele für Kroatien: Verteidiger Josko Gvardiol wechselt nach zwei Jahren in Leipzig in die Premier League zu Manchester City. (Foto: Simon Stacpoole/Offside Sports Photography/Imago)

Für die Rekordablöse für einen Abwehrspieler von 90 Millionen Euro wechselt der kroatische Nationalspieler von Leipzig zu Champions-League-Sieger Manchester City. Trainer Pep Guardiola setzt damit seine neue Abwehrstrategie fort.

Von Sven Haist, London

Nach dem erstmaligen Champions-League-Triumph mit Manchester City im Juni überraschte Pep Guardiola mit einer erstaunlichen Selbsterkenntnis. Im Interview mit dem TV-Sender CBS Sports gab der Trainer zu, der Grund für den Königsklassenerfolg bestehe im Vergleich zu den früheren sechs vergeblichen Anläufen darin, dass seine Mannschaft nun mit "vier richtigen Innenverteidigern das eigene Tor diszipliniert" verteidigt habe. Um zu verdeutlichen, mit welcher Aggressivität seine Spieler in den Zweikämpfen vorgingen, machte Guardiola eine furchteinflößende Handbewegung und biss die Zähne zusammen - so als bestreite er selbst einen Zweikampf.

In gewisser Weise tat er das auch, und zwar mit sich selbst. Denn während der Saison habe er, Guardiola, der Ballbesitzliebhaber mit dem eigentlich ausgeprägten Faible für Mittelfeldspieler, "gelernt", dass sich Eins-gegen-eins-Situationen gegen die besten Angreifer nur mit "ausgebildeten Abwehrspielern" gewinnen ließen. Zuvor vertraute er bei City (wie auf seinen Stationen beim FC Bayern und beim FC Barcelona) oft auf spielstarke Mittelfeldprofis als Außenverteidiger. Doch der Ansatz, die ganze Zeit ein Spiel dominieren zu wollen und "bei Ballverlusten ein Gegentor" zu kassieren, sei ein "dämlicher Plan", resümierte Guardiola.

Robuste Bewerbung: Josko Gvardiol trifft im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League gegen Manchester City per Kopf zum 1:1-Zwischenstand. (Foto: Ronny Hartmann/AFP)

Als Auslöser dieses durchaus plötzlichen Sinneswandels gilt insbesondere jenes 1:1 bei RB Leipzig im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League im Februar 2023, bei dem sich das dominante Manchester ein Eckballgegentor (Josko Gvardiol!) einfing und anschließend beinahe verloren hätte. Erneut drohte ein frühes Aus in Europas Premiumwettbewerb. Daraufhin testete Guardiola in der Premier League erfolgreich eine neue Abwehrformation aus. Citys Abwehrkette beinhaltete keine gelernten Außenverteidiger mehr, sondern bestand ausschließlich aus vier robusten Zentralverteidigern. Mit diesem Viertonner überrollte City Leipzig im Rückspiel (7:0) und kassierte auf dem Weg zum Henkelpott in den fünf weiteren Matches nur noch zwei Gegentreffer. Nach dem Endspiel jubelte Guardiola: "Wir sind alle Verteidiger - und genießen das Verteidigen!"

Das soll offenbar auch in der Saison 2023/24 so bleiben. Wie diversen Berichten zu entnehmen ist, verstärkt sich City direkt mit einem weiteren Innenverteidiger. Der Klub hat sich, ausgerechnet, mit RB Leipzig soeben auf einen Transfer des Abwehrrecken Josko Gvardiol nach Manchester geeinigt. Die Ablöse für den 21-jährigen Kroaten soll 90 Millionen Euro betragen, womit er Harry Maguire als teuersten Abwehrspieler der Welt ablösen würde. Englands Nationalverteidiger wechselte im August 2019 für umgerechnet 87 Millionen Euro von Leicester City zu Manchester United. In der Bundesliga kosteten bisher lediglich die ehemaligen Dortmunder Spieler Ousmane Dembélé und Jude Bellingham mehr Geld. 20 Prozent der Ablöse muss Leipzig allerdings bei diesem eigenen Rekordtransfer wohl an Gvardiols Ausbildungsklub Dinamo Zagreb entrichten. Dort hatte ihn Leipzig im Sommer 2021 für knapp 19 Millionen ausgelöst.

Gvardiol könnte bereits am Sonntag im Supercup gegen Arsenal debütieren

Schon am Mittwoch stand Gvardiol bei einem Testmatch nicht mehr im RB-Kader. Der Nationalspieler, der zuletzt WM-Dritter mit Kroatien wurde, soll nach Bestehen des Medizinchecks einen langfristigen Vertrag in Manchester unterschreiben. Sein Debüt könnte er eventuell schon am Sonntag im Wembley-Stadion geben: Als aktueller Meister und FA-Pokalsieger eröffnet Manchester City im englischen Supercup gegen den Meisterschaftszweiten FC Arsenal die Pflichtspielsaison.

Mit Gvardiols Verpflichtung setzt City die zuletzt bewährte Strategie auf dem Transfermarkt fort, zu Beginn jeder Saison mindestens einen äußerst hochpreisigen Profi zu akquirieren. Im Vorjahr kam Angreifer Erling Haaland (angeblich 60 Millionen Euro), 2021 Spielmacher Jack Grealish (117,5 Millionen), 2020 Abwehrchef Rúben Dias (61 Millionen), 2019 waren es Defensivabräumer Rodri (70 Millionen) und Außenverteidiger João Cancelo (65 Millionen). Wie bei Rekordtransfer Grealish war City ebenso für Gvardiol bereit, einen Preis deutlich über dem eigenen, streng eingehaltenen Ablöselimit von rund 75 Millionen Euro zu bezahlen. Aus welchem Grund?

Trotz seiner gerade einmal 21 Jahre zählt Gvardiol schon jetzt zu den besten Abwehrspielern der Welt. Im Vergleich zu seinen Konkurrenten gehört er als vorzeigbarer Passspieler der raren Spezies Linksfuß an. Dadurch ergeben sich für Guardiola in der Spieleröffnung neue taktische Varianten. Bislang besetzte die für Gvardiol vorgesehene halblinke Innenverteidigerposition der Rechtsfuß Dias. Dazu verbindet der Kroate sein gutes Stellungsspiel und Spielverständnis mit jenen Verteidiger-Tugenden, auf die Guardiola momentan besonderen Wert legt: Beweglichkeit, Zweikampfstärke, Robustheit und ein gutes defensives wie offensives Kopfballspiel (was City beim Gvardiol-Kopfballtor gegen RB Leipzig selbst zu spüren bekam). Seine athletische Statur lässt ihn wesentlich imposanter erscheinen, als das seine Körpergröße, 1,85 Meter, andeutet. Auch wenn Gvardiol nicht unbedingt zu den dynamischen Verteidigern gehört, kann er grundsätzlich als Linksverteidiger einspringen - eine Position, auf der City tendenziell nicht ausreichend besetzt ist.

Wegen dieses Gesamtpakets erhöht Gvardiol den ohnehin enormen Konkurrenzdruck in der City-Defensive, die nun insgesamt sechs Innenverteidiger umfasst. Daher könnten sich zeitnah zusätzliche Personalwechsel ergeben. Angeblich steht der bereits in der Vorsaison ins Hintertreffen geratene Spanier Aymeric Laporte kurz vor dem Absprung. Auch der vom FC Bayern heftig umworbene Rechtsverteidiger Kyle Walker, 33, muss stark um Einsatzzeiten bangen, weil die flexiblen Abwehrspieler Manuel Akanji und John Stones zukünftig vermehrt als Außenverteidiger auflaufen könnten. Bisher weigert sich City, den schnellen Walker abzugeben, dessen Vertrag im Juni 2024 ausläuft. Diese Haltung könnte sich durch den Gvardiol-Zugang zugunsten der Münchner ändern.

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