Eiskunstlauf:Satellitenstart in die Weltspitze

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Minerva Fabienne Hase und Nikita Wolodin beim Grand-Prix-Finale in Peking. (Foto: Raniero Corbelletti/Aflosport/Imago)

Obwohl sie erst seit einem Jahr ein Paar bilden, sind Minerva Hase und Nikita Wolodin das beste Eiskunstlauf-Duo des Winters. Wie die Berlinerin und der Sankt Petersburger Show-Läufer trotz des russischen Angriffskrieges zusammenfanden.

Von Barbara Klimke, Berlin

Der Eiskunstlauftrainer Knut Schubert ist ein toleranter Zeitgenosse, aber bei einem Thema kennt er keine Kompromisse: Wer Fieber hat, dreht keine Todesspirale. Wer Fieber hat, gehört ins Bett! Er hat den Paarläufer Nikita Wolodin kürzlich vom Eis beordert, auch wenn der ihm versicherte, dass er zu Hause in Sankt Petersburg noch mit weit höherer Temperatur Pirouetten zu drehen pflegte. Und so lässt sich im Nachhinein darüber spekulieren, was verblüffender an dem phänomenalen Auftritt des Eislauf-Duos Minerva Hase und Nikita Wolodin vergangene Woche in Peking gewesen ist: ihr Sieg im Grand-Prix-Finale - oder der Umstand, dass ihnen der Triumph ohne Kür-Training gelang, direkt aus dem Krankenstand.

Knut Schubert hat die Episode von seinem entschlossenen Einschreiten als oberster Gesundheitspolizist an der Bande am Donnerstagabend erzählt, im Sportforum in Berlin-Hohenschönhausen, wo an diesem Wochenende die deutschen Meister ermittelt werden. Denn Minerva Hase und Nikita Wolodin, beide 24 Jahre alt, haben sich gewissermaßen selbst überholt und den zweiten Schritt vor dem ersten platziert: Sie wurden international zum besten Eis-Paar des Winters gekürt, ohne dass sie jemals bei einem nationalen Wettkampf einen Kringel auf dem Eis drehten.

Erst im Mai erhielt Wolodin vom Weltverband ISU die Startfreigabe für die Deutsche Eislauf-Union (DEU), im Anschluss hat das deutsch-russische Duo etwas vorgeführt, was man am Eislaufhimmel einen Satellitenstart nennt: einen rasanten Aufstieg in die höchste Umlaufbahn. Im September, zu Saisonbeginn, gewann das neu formierte Paar die Nebelhorn Trophy in Oberstdorf. Seitdem dominiert es die Konkurrenz: Es folgten Siege in Budapest, bei den Grand-Prix-Turnieren in Finnland und in Japan und schließlich in Peking das krönende Finale.

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Ein Winterwundermärchen? Nikita Wolodin lächelt. Ein wenig erstaunt sei er schon, sagt er am Vorabend der Meisterschaft in Berlin, andererseits: "Wir waren ja keine Anfänger mehr." Schon beim Kennenlernen im Juni 2022, am Tag fünf ihres Probetrainings, landete Minerva Hase einen Dreifachwurf, eine riskante Luftnummer, perfekt auf einer Kufe. Seitdem haben sie mit Pausen, die auch den politischen Entwicklungen geschuldet waren, anderthalb Jahre gemeinsam trainiert.

Minerva Hase hatte die Zusammenarbeit mit ihrem früheren Partner Nolan Seegert im Frühjahr 2022 nach acht Jahren beendet. Kurz zuvor waren die beiden Berliner, die bei dem Russen Dmitrij Sawin trainierten, bei der Weltmeisterschaft Fünfte geworden. Seegert, so erzählte es Hase, wollte die Zusammenarbeit gern noch ein Jahr fortsetzen - aber ihr lief im Hinblick auf die nächsten Winterspiele die Zeit davon: "Ich habe gesagt, ich brauche die maximale Zeitspanne von vier Jahren, um einen neuen Partner zu suchen, weil ich schon wusste, in Deutschland würde ich den nicht finden." Ein potenzielles langwieriges Einbürgerungsverfahren, die formal-juristische Bedingung für einen Olympiastart, kalkulierte sie schon damals mit ein.

Nikita Wolodin tourte durch Russland, als der Anruf des Trainers kam

Nikita Wolodin, ausgebildeter Diplomtrainer, war zu diesem Zeitpunkt Show-Läufer. Vermeintlich ein Athlet aus der zweiten Reihe, der mit einer früheren Partnerin, Alina Ustimkina, beim Junioren-Grand-Prix überzeugte, es in Russland mit seinem riesigen Reservoir an technisch hervorragenden Kufenkünstlern aber nicht mehr in die Wettkampfklasse geschafft hatte. So tourte er mit einer Revue durchs Land, von Tscheljabinsk bis Krasnojarsk, "mit der Absicht, in Form zu bleiben", wie er sagt.

Athleten des russischen Verbandes sind bis heute von internationalen Wettkämpfen verbannt, und es gehört zu den Kuriositäten des Falls, dass ausgerechnet ein Show-Läufer einen Aus- und Umweg fand. Es ist ein Thema, welches das Duo öffentlich ungern anspricht. "Wenn Fragen zur Politik kommen", sagt Minerva Hase, "versuchen wir, eher nicht darüber zu reden."

Hases gut vernetzter Trainer Sawin erhielt einen Tipp zu dem hoch veranlagten Läufer auf Partnersuche, angeblich am Rande der Winterspiele von Peking. Er sah sich Videos an und griff zum Handy. Aber die Voraussetzungen für einen Verbandswechsel, wie er im Paarlauf nicht unüblich ist, hatten sich wegen Russlands Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 deutlich verschlechtert. Ein Direktflug von Sankt Petersburg nach Berlin war nicht mehr möglich. Wolodin sagt, dass er mehrere Anläufe unternahm, um über Zwischenstopps schließlich in Deutschland zu landen.

Die DEU hat einen Aufenthaltstitel für ihn beantragt, sagt Sportdirektorin Claudia Pfeifer. Die Startfreigabe verkomplizierte sich anfangs, weil Wolodin Mitglied eines russischen Junioren- Eiskaders gewesen war. Mittlerweile aber hat das Duo in Berlin zu einer neuen Routine gefunden: Denn Sawin, der fünf weitere internationale Paare trainiert, betreut das Duo nur per Videoschalte. Er steht dafür bei den Wettkämpfen rund um den Globus an der Bande.

Die tägliche Arbeit im Sportforum leitet der Paarlauf-Spezialist Knut Schubert, 65, gemeinsam mit den Berliner Trainern Rico Rex und Paul Boll. Zum Team gehören noch ein Tanz- und ein Athletik-Coach. Schubert überlässt es den Athleten eigenverantwortlich, per Facetime Trainingspläne mit dem abwesenden Cheftrainer zu verabreden; er setzt sie in die Praxis um. "Sawin ist der Kapitän, wir sind die Matrosen", sagt er gut gelaunt. Mit dieser Rollenverteilung sind Hase/Wolodin Grand-Prix-Sieger geworden. Nur wenn es um Fieber geht, spricht Schubert ein Machtwort.

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