Eiskunstlauf:In der Not helfen Spenden von Fremden

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Stärkere Konkurrenz, besseres Eis: Die EM-Dritten Annika Hocke und Robert Kunkel trainieren in Bergamo. (Foto: Badd/Aflosport/Imago)

Die Paarläufer Annika Hocke und Robert Kunkel sind derzeit die besten deutschen Eiskunstläufer - doch sie haben Mühe, ihren Sport zu finanzieren. Der Deutschen Eislauf-Union fehlt es an Geld.

Von Barbara Klimke

Manchmal ist es im Eiskunstlauf die Kufenkante, die über den Erfolg entscheidet. Und manchmal hängt alles an einem Stück Zwirn. Die Paarläufer Annika Hocke und Robert Kunkel haben vergangene Saison fast nach jedem Wettkampf ihr Kostüm flicken müssen; mal war hier ein kleines Loch, mal dort eine offene Naht. Weil der Glitzerstoff bei der Akrobatik extremen Belastungen ausgesetzt ist, war ein neues Kür-Outfit fällig. Und zusätzlich, sagt Robert Kunkel, standen auch noch Schneiderarbeiten am zweiten Kostüm für das Kurzprogramm an; die Preisrichter hätten angedeutet, so ganz gefalle ihnen das nicht - "und die bewerten uns ja". Kostspielig sei das Ganze. Da kämen bei zwei Personen und zwei Programmen schnell 3000 bis 6000 Euro zusammen.

Und wer zahlt das? "Na, wir!", sagen Annika Hocke und Robert Kunkel. Gibt es keine Zuschüsse für die Kostüme? "Nicht einen Euro."

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Es ist vieles auf Kante genäht in diesem Sport, der Schwerarbeit hinter der Illusion tänzerischer Leichtigkeit verbirgt. Die Berliner Annika Hocke, 23, und Robert Kunkel, 24, die im Winter als beste deutsche Eiskunstläufer bei der Europameisterschaft in Finnland Platz drei belegten, haben schon vor Monaten öffentlich auf finanzielle Engpässe aufmerksam gemacht: Die Unterstützung der Deutschen Eislauf Union (DEU), so rechneten sie vor, decke ihre Kosten bei weitem nicht. Im April rätselten sie, ob sie über die Runden kommen würden bis Oktober. Zwischenzeitlich dachten sie über einen Verbandswechsel nach.

DEU-Präsident Andreas Wagner verweist auf den Sparzwang des Verbands: "Es fehlen fast 250 000 Euro."

Am Donnerstag nun treten sie bei der Nebelhorn-Trophy in Oberstdorf auf, ihrem zweiten Wettkampf der Saison, und Robert Kunkel sagt, die Situation ist "zum Glück besser geworden, so dass wir hoffentlich das Jahr über durchkommen". Aber, fügt er an: "Das liegt nicht am Verband." Zwar erhielten sie noch einmal einen Betrag von der DEU, um die Überseereisen ihres Trainers zu den Grand-Prix-Wettbewerben zu bezahlen. Aber als sie besonders knapp bei Kasse waren, halfen Spenden - von Fremden.

Sie trainieren seit einem Jahr in Bergamo, in Italien, bei dem renommierten Team von Ondrej Hotarek. Und weil sie, wie sie sagen, "nach jedem Strohhalm" greifen mussten, um ihren Sport dort zu finanzieren, baten sie im Mai auch den früheren deutschen Meister und ARD-Eiskunstlaufexperten Daniel Weiss um Rat. Weiss schrieb ein paar Zeilen auf seiner Facebook-Seite, samt Hinweis auf das Spendenkonto, das der SCC Berlin, der Verein von Hocke/Kunkel, für das Duo verwaltet. Es sei einiges zusammengekommen, sagt das Paar: "Das Engagement von Daniel Weiss und die Unterstützung des SCC Berlin, das hat uns die Angst genommen."

Weiss findet die Situation traurig: "Der Verband wurde aus meiner Sicht jahrelang nur verwaltet und weniger innovativ in die Zukunft geführt." Hinzu kommt der Umstand, dass die DEU im Ranking der Potenzialanalyse, die für die Mittelvergabe des Bundes ausschlaggebend ist, weit hinten eingeordnet wurde. Der neue DEU-Präsident Andreas Wagner, seit Oktober 2022 im Amt, verweist deshalb auf den Sparzwang des Verbands: "Es fehlen fast 250 000 Euro."

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Kommentar von Barbara Klimke

"Wichtig ist zu wissen", teilt Wagner mit, "dass die staatlichen Fördermittel zum 1.1.2023 drastisch gekürzt wurden." Das betreffe nicht die Personalkosten, aber den Direktmittel-Etat, aus dem etwa die Reisekosten für die Athleten bestritten werden: Dieser wurde halbiert. "Es war also nicht die DEU, die Mittel gekürzt hat. Die Mittel wurden uns gestrichen", sagt der Verbandschef.

Was das für die Budgetplanung an der Basis, in Bergamo, bedeutet, erläutern die Paarläufer Hocke/Kunkel. Die Jahresausgaben nur für den Sport beziffern sie auf rund 70 000 Euro - ohne Miete, Heizung, Essen. "Wir bekommen vor Saisonbeginn die aktuellen Finanzierungsrichtlinien von der DEU. Wir wissen, womit wir rechnen können, und das ist wenig. Bevor jetzt der Reisekostenzuschuss für den Trainer kam, waren es circa zehn Prozent dessen, was wir ausgeben."

Die Finanzierungslücke müssen sie aus anderen Mitteln füllen: Zusätzlich zu den DEU-Mitteln erhalten sie Sporthilfe, eine kleine Unterstützung vom Olympiastützpunkt Berlin, von der Sportförderung sowie ihre Bundeswehrgehälter, die "eigentlich für die Lebenshaltungskosten und soziale Absicherung" gedacht sind, sagt Kunkel. Dazu kommen Spenden und Eigenmittel: Bis jetzt, sagen beide, kämen sie über die Runden, weil sie ihr Erspartes nutzen.

Die Kosten wären geringer, würden sie statt im teuren Bergamo, wo sie für Eiszeiten, Trainer und Physiotherapie zahlen müssen, in Berlin trainieren. Darauf verweist die DEU, und das sagen Hocke/Kunkel auch selbst. Aber eine Rückkehr kommt vorerst nicht in Betracht. Sie hatten den Stützpunkt verlassen, weil sie unter anderem fehlende Konkurrenz und schlechte Eisqualität beklagten.

Zehn Prozent der Preisgelder für Athleten gehen an den Verband

Die Bronzemedaille, die Hocke/Kunkel bei der EM eroberten, war die erste der DEU seit den glorreichen Zeiten des Goldpaars Savchenko/Massot 2018. Sie bezweifeln nicht, dass der Verband sich freute, aber ein bisschen mehr Entgegenkommen, etwa bei den Preisgeldern, hätten sie sich schon gewünscht: Denn zehn Prozent aller Prämien, die sie bei Wettkämpfen gewinnen, sind an die DEU abzuführen. Diese Abgabe, dieser Zehnte, summierte sich bei EM, WM, Grand Prix und Challenger Serie laut Hocke/Kunkel zu einem Betrag, mit dem sie anderthalb bis zwei Monate Training mehr hätten zahlen können. Unverständlich, nennen sie diese Praxis.

Die DEU dagegen verweist auf einen "vorgegebenen Standardsatz" des Weltverbands ISU. "Natürlich", sagt Präsident Wagner auf Anfrage, "steht es einem Verband frei, darauf zu verzichten. Wir würden das auch gerne tun. Aber auch das würde wieder ein Loch in die Kasse reißen." De facto, so der DEU-Chef, unterstützen die besseren Athleten, die Preisgelder generieren, mit diesen zehn Prozent die anderen: "Das halten wir für zumutbar."

Angesichts der Etatkürzungen habe die DEU genau überlegen müssen, was noch finanzierbar sei und was nicht, sagt Wagner. Soweit das die Sportlerinnen und Sportler betreffe, habe man es gemeinsam "in Angriff genommen und einen Weg gefunden, der gangbar ist".

Annika Hocke und Robert Kunkel wollen nun einen Sponsor finden: "Auf unserer Jacke haben wir noch einen Platz frei. Wir können ja schlecht hinten auf dem Kostüm für Autoteile werben." Die DEU hat, kaum verwunderlich, ähnliche Pläne, wie Präsident Wagner sagt: "Wir müssen Gelder generieren."

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