Eiskunstlauf:Illusion von Leichtigkeit

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Fast schwerelos: Annika Hocke und Robert Kunkel mit einer wagemutigen Hebefigur auf dem Eis in Saitama. (Foto: Laci Perenyi/Imago)

Bei der Weltmeisterschaft in Japan werden die EM-Dritten Annika Hocke und Robert Kunkel Neunte. Welche Last und Bürde manchmal auf die Kufen drückt, bleibt dem Publikum verborgen - auch darin liegt die Kunst.

Von Barbara Klimke

Paarlauf ist mehr als Kringeldrehen, der Kern der Kufenkunst besteht darin, das Schwere leicht aussehen zu lassen. Und manchmal erweist sich das Federgewicht, das der Partner hoch überm Kopf durch die Luft wirbelt, während er sich selbst auf schmaler Kante übers Glatteis bewegt, dabei sogar noch als die geringste Last.

Die US-Meister Alexa Knierim und Brandon Frazier beispielsweise sind bei der Weltmeisterschaft in Saitama in dieser Woche nicht für sich, sondern für ihren Coach gelaufen. Der Trainer hat Anfang des Monats einen schweren Herzinfarkt erlitten. Allein die Entscheidung anzureisen, bekannten Knierim und Frazier anschließend, habe ihnen einiges abverlangt. Trotz der Umstände haben sie in der Kür am Donnerstag die führenden, nicht ganz fehlerfreien Japaner Riku Miura/Ryuichi Kihara nach Punkten fast noch eingeholt; am Ende sicherten sich die Weltmeister des vergangenen Jahrs die Silbermedaille.

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So manche Bürde lastet Eiskunstläufern auf den Schultern oder drückt aufs Gemüt, die niemand sieht, wenn die Musik beginnt. Und bisweilen quält sie ganz profan auch nur der Rücken.

Die Konkurrenz aus Russland ist verbannt - die stärkste Paarlauf-Nation fehlt also

Die deutschen Meister Annika Hocke, 22, und Robert Kunkel, 23, haben sich ebenfalls nicht anmerken lassen, dass die vergangenen Wochen auf dem Eis bisweilen eine Plackerei gewesen sind. Vor allem für Robert Kunkel, der "fortlaufend Rückenschmerzen" hatte, wie er nach der WM-Kür erzählte. Er hatte sich beizeiten untersuchen lassen, "nichts Kritisches", wie er sagte. Aber die Muskelstrukturen benötigen Reha und Therapie, "das braucht Zeit, ist sehr schmerzhaft und kann leider nicht kurz behoben werden". In den Wochen nach der Europameisterschaft trainierten sie nur eingeschränkt und legten sich Schonung bei den Elementen auf, die den Rücken intensiv beanspruchen - "und das", fügte Kunkel zur Erklärung an, "ist ja im Paarlaufen fast alles".

In Saitama waren sie nach einem fehlerhaften Kurzprogramm zwischenzeitlich nur Fünfzehnte; ein Rang, der nach EM-Bronze im Januar ihren eigenen Ansprüchen nicht genügen konnte, zumal die Konkurrenz aus Russland von der WM verbannt ist als Reaktion auf den Angriffskrieg des Kremls auf die Ukraine. Die stärkste Paarlauf-Nation also fehlte. Ihre Kür, das eher elegisch komponierte Programm "Without you", gab ihnen dann Gelegenheit, das Bild wieder zurechtzurücken: Sie machten sechs Plätze gut und erhielten für den Dreifach-Twist - ein Element, bei dem Kunkel seine Partnerin wirft und fängt - höhere Wertungslevel zugesprochen als noch bei der EM, wie Annika Hocke erleichtert konstatierte.

Jetzt sind Hocke/Kunkel, die in diesem Winter auch Dritte des Grand Prix von Frankreich waren, als Neunte wieder da, wo sie statistisch und künstlerisch international hingehören: in den Top Ten der Eis-Elite. Auch dem zweiten Duo der Deutschen Eislauf-Union (DEU), Alisa Efimova und Ruben Blommaert aus Oberstdorf, ist mit WM-Platz zehn samt persönlicher Bestleistung ein achtbarer Abschluss der internationalen Debütsaison gelungen. Und weil sie gemeinsame Elemente wie die Todesspirale routiniert meistern, haben sie sich für nächstes Jahr die Verbesserung ihrer Einzelsprünge vorgenommen. Denn da, finden sie beide, ist noch Luft nach oben.

Vor Zukunftsfragen etwas anderer Art stehen die Berliner Kollegen Hocke und Kunkel, die seit vergangenem Sommer in Bergamo trainieren und dort bleiben wollen. "Es gibt auf der Welt kein besseres Trainingszentrum für uns", erklärte Kunkel. Das Problem sei eher finanzieller Art. In der privaten Akademie in Italien messen sie sich täglich mit einigen der besten Paarläufer Europas, darunter den WM-Dritten Sara Conti/Niccolo Macii, aber der Aufenthalt samt Unterkunft, Eiszeiten, Trainerstunden und Physiotherapie sei kostenintensiv. "Die Finanzierungsfrage mit der DEU ist dieses Jahr noch nicht abgeschlossen. Und es sieht zunächst nicht so rosig aus", sagte Kunkel. Aber sie haben Preisgeld gewonnen bei den Wettkämpfen, das sie nun ins Training investieren wollen. Und sie hoffen, noch einige Sponsoren zu finden.

Auch das finanzielle Auskommen kann in diesem schönen, aber wenig einträglichen Metier eine Last sein, die auf die Kufen drückt. Es bleibt eine Sportart, in der es grundsätzlich immer um die Überwindung der Schwerkraft geht.

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