Gold für deutsche Biathlon-Staffel:"Brutal geiles Gefühl"

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Die deutschen Staffelsiegerinnen: Franziska Hildebrand, Franziska Preuss, Vanessa Hinz und Laura Dahlmeier (von links) jubilieren. (Foto: dpa)

Ein Witz wird Wirklichkeit: Ein Jahr nach dem Debakel von Sotschi gewinnen die deutschen Biathlon-Frauen WM-Gold mit der Staffel. Ausgerechnet Vanessa Hinz, die zuvor als Risikofaktor galt, überzeugt alle.

Von Joachim Mölter, Kontiolahti

Fünf noch. Dann vier. Drei. Zwei. Eine. Als auch die letzte Scheibe anstandslos umgekippt war, die Laura Dahlmeier umlegen musste, fielen sich im Zielraum drei andere deutsche Biathletinnen in die Arme - Franziska Hildebrand, Franziska Preuß, Vanessa Hinz. Sie wussten, dass sie jetzt nicht mehr einzuholen waren im Staffel-Rennen über 4 x 6 Kilometer bei den Weltmeisterschaften in Kontiolahti, zu groß war der Vorsprung, den Dahlmeier mitnahm auf ihre letzte Runde, die letzten zwei Kilometer. Es war nur noch Formsache, ein befreites Schaulaufen bis ins Ziel, dann war die Biathlon-Staffel des Deutschen Skiverbandes Weltmeister.

Von einem "brutal geilen Gefühl", sprach danach die Schlussläuferin Dahlmeier, die als einzige der vier deutschen Biathletinnen nicht hatte nachladen müssen am Schießstand. "Echt cool", fand Preuß: "Das haben uns nur ganz wenige zugetraut." Eine Medaille immerhin war zu erwarten gewesen nach dem bisherigen Saisonverlauf. In dem hatten die deutschen Biathletinnen zwei von fünf Staffel-Rennen im Weltcup gewonnen.

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Es ist das ganz große Ding: Die deutschen Biathlon-Frauen zeigen beim WM-Staffelrennen eine herausragende Leistung und gewinnen Gold vor Frankreich und Italien. Der Vorsprung im Ziel ist gewaltig.

Aber der WM-Titel schien reserviert zu sein für das Quartett aus Tschechien. Die Frauen um Gabriela Soukalova und Veronika Vitkova hatten in den übrigen drei Weltcup-Bewerben gesiegt, sie waren immer auf dem Podium gewesen - nur an diesem Freitagabend nicht: Da wurden sie Achte; elf Nachlader und trotzdem drei Strafrunden waren zu viel. Hinter der DSV-Staffel sicherte sich Frankreich trotz einer Strafrunde Silber, Dritte wurden die Italienerinnen, alle schon mehr als eine Minute zurück.

Ein Jahr nach dem Staffel-Debakel bei den Olympischen Spielen von Sotschi (Platz elf), dem Tiefpunkt in der ansonsten glorreichen Geschichte deutscher Skijägerinnen, feierte also eine neue Generation ihren ersten großen Erfolg. Und wie abgeklärt sie das tat, mit welch großem Vorsprung, das war schon beeindruckend. Man darf ja nicht vergessen, wie jung die Läuferinnen noch sind: Preuß ist 21, Hinz 22, Dahlmeier 21. In dieser Reihenfolge hatten sie vor zwei Jahren die Staffel bei der Junioren-WM in Obertilliach (Österreich) gewonnen.

In dieser Reihenfolge schickte sie Bundestrainer Hönig nun erneut ins Rennen, vorausgeschickt hatte er Franziska Hildebrand, mit 27 Jahren die Routinierteste im Aufgebot. "Am Start brauchen wir jemanden, der mit dem ganzen Kitzel zurechtkommt, dem Brimborium vor dem Start, dem Stadionsprecher", hatte Hönigs Assistent Tobias Reiter erklärt.

Hildebrand erfüllte die ihr zugedachte Aufgabe mit der ihr eigenen Zuverlässigkeit. Sie musste zwar zweimal nachladen im Stehendanschlag, aber sie übergab als Sechste noch in Sichtweite der Führenden an Preuß. Die brauchte dann sogar drei Extra-Patronen, brachte ihre Mannschaft aber trotzdem mit einem beherzten Finish näher heran. So nah, dass Hinz beruhigt auf Rang drei übernehmen konnte. Sie brachte ihre Mannschaft in Führung und schickte Laura Dahlmeier schließlich mit einer halben Minute Vorsprung auf die letzte Etappe.

Vanessa Hinz, die Frau vom SC Schliersee, war der Risikofaktor bei der Staffel-Nominierung gewesen, auch wenn das keiner so direkt gesagt hätte. Sie war bloß 44. geworden im Einzelrennen über 15 Kilometer am Mittwoch, mit fünf Fehlern am Schießstand. "Ich kann mich nicht konzentrieren, ich schaue nach links und rechts", hatte sie danach geklagt und zugegeben: "Vielleicht ist das die Aufregung wegen meiner ersten WM." Trainer Reiter hatte daran erinnert, dass Hinz ihre erste komplette Saison im Weltcup bestreitet: "Da ist es normal, dass hinten raus die Körner fehlen", dass also am Ende der Saison die Kraft nachlässt.

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Von Rang zehn zum Weltmeistertitel: Franziska Hildebrand hat Problem beim Start, Vanessa Hinz bezwingt ihren WM-Fluch und Laura Dahlmeier läuft allen davon. Die deutsche Gold-Staffel in der Einzelkritik.

Von Saskia Aleythe

Die junge Frau aus Oberbayern ist ja auch noch nicht so lange Biathletin: Sie hat einst mit dem Langlauf angefangen und war eher zwangsweise zum Winter-Zweikampf gekommen: Als vor ein paar Jahren die Not in der Biathlon-Abteilung des DSV groß zu werden schien, beorderte Generalsekretär Pfüller einige Langläuferinnen zum Biathlon-Casting - Hinz ist die Einzige, die übrig geblieben ist. Sie zögerte vor dem Wechsel, bereut hat sie ihn nicht. "Ich bin super-happy beim Biathlon, ich denke nicht mehr zurück", versicherte sie.

Die vermeintlich schwächste Läuferin sorgt für die Führung

Vanessa Hinz hatte trotzdem mächtig Bammel gehabt vor diesem Staffeleinsatz, das gab sie später zu: "Man kann den anderen ja so viel vermiesen." Aber die anderen hatten sie aufgemuntert, hatten sie an die Junioren-WM von vor zwei Jahren erinnert, als das DSV-Trio (beim Nachwuchs besteht eine Staffel nur aus drei Läufern statt aus vier) insgesamt nur einmal nachladen musste und mit mehr als zwei Minuten Vorsprung ins Ziel gelaufen war. "Wir haben vorher noch darüber gewitzelt, dass wir das heute wieder so machen", erzählte Hinz, die nur eine Extrapatrone brauchte.

Aus dem Witz ist dann also Wirklichkeit geworden, und Vanessa Hinz hatte den vielleicht größten Anteil daran gehabt. Auch wenn sie es in aller Bescheidenheit herunterspielte. "Ich denke, wir gewinnen zusammen, und wir verlieren zusammen. Wenn wir nicht als Mannschaft stark wären, stünden wir jetzt nicht hier." Hier, das war in diesem Fall das Siegerpodium. Und sie standen nicht auf der dritten Stufe. Nicht auf der zweiten. Sondern auf der ersten.

© SZ vom 14.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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