Plötzlich schien Jonas Reckermann aus seinem Tunnel herauszublicken. Eine Stunde etwa dauerte dieses spektakuläre, begeisternde Beachvolleyballspiel vor den inzwischen zumeist schreienden und klatschenden 15.000 Zuschauern im Stadion an der Londoner Horse Guards Parade, da wirkte der 33-jährige aus Köln leicht verwirrt. Gerade hatte ihm Alison Cerutti mit einem brachialen Schmetterball Mütze und Brille vom Kopf geballert, dann ging eine Annahme von Kollege Julius Brink daneben und nun ließen die beiden auch noch einen Aufschlag in den Sand fallen, weil sich einer auf den anderen verließ. Die drei Matchbälle, die Goldmedaillen-Bälle, waren verflogen wie eine Schwalbe im Herbst, es stand 14:14 im dritten und entscheidenden Satz. Jonas Reckermann blickte ganz kurz mit einem leicht hängenden Kopf in den Sand.
"Da denkt man kurz: scheiße!" gab Reckermann ein paar Minuten später zu, "aber wir haben auch einen Sportpsychologen, der mit uns gearbeitet hat. Genau für solche Momente, um da einen kühlen Kopf zu bewahren." Psychologe Lothar Linz hat offenbar gute Arbeit geleistet. Denn Reckermann und Brink verkrafteten den Rückschlag, drei Matchbälle nicht verwertet zu haben. Trotz des infernalischen Lärms der brasilianischen Fans fanden sie gegen das Duo Alison Cerutti und Emanuel Rego zurück in den Konzentrations-Tunnel, gewannen die beiden folgenden Punkte zum 16:14 und sind nun Olympiasieger. Zum fünften Mal war Beachvolleyball bei den Spielen in London olympische Disziplin, zum ersten Mal gewinnt ein Paar aus Europa die Goldmedaille.
"Seit Beginn des Turniers sind wir in einem Tunnel. Ich denke immer nur an den nächsten Punkt. Mir ist ganz egal, was da draußen passiert", beschrieb Reckermann die Mission Olympische Spiele. Seit 2009 hat sich das Paar auf dieses Turnier vorbereitet, es sollte der Höhepunkt ihrer Karriere werden. Der 33-jährige Reckermann und der 30-jährige Brink wollten unbedingt eine olympische Medaille gewinnen. 2008 war Brink in Peking mit seinem damaligen Partner Christoph Dieckmann völlig enttäuschend in der Gruppenphase gescheitert. Für Reckermann war mit Dieckmanns Zwillingsbruder Markus 2004 in Athen im Achtelfinale Schluss gewesen.
Schnell zeigte sich, dass sich hier zwei kongeniale Partner gefunden hatten. 2009 wurden die beiden als erstes europäisches Paar Weltmeister. Es folgten zwei Europameister-Titel, doch auf der Welttour taten sich die beiden schwer. Dann verletzte sich Reckermann im April auch noch an der Schulter. In London kühlte er das Gelenk nach jedem Spiel mit einem Eisbeutel und auch im Finale leuchteten diese auffallend blauen Tape-Streifen von der Schulter. "Zweifel gab es im Mai, Juni, aber dieses Turnier, mit Spielen nur alle zwei Tage, kam meinem alten Körper entgegen", erklärte Reckermann.
In der Horse Guards Parade behinderte Reckermann die Verletzung nicht, zumindest ließ sich der 2,01 Meter große Athlet nichts anmerken. Nur im zweiten Vorrundenspiel gegen die Chinesen Xu und Wu hatten sie vor diesem Finale einen Satz verloren. Reckermann und Brink zeigten ein bemerkenswertes Turnier. Doch in diesem Endspiel übertrafen sie sich noch einmal selbst.
Alison Cerutti und Emanuel Rego sind die Nummer eins der Welt, amtierende Weltmeister, der 39-jährige Rego war mit wechselnden Partnern bereits dreimal Weltmeister und einmal Olympiasieger. Die Deutschen konnten gegen die Brasilianer seit zwei Jahren kein Spiel mehr gewinnen.