Kaderumbruch bei Borussia Mönchengladbach:Gefährliche Tendenz zur Bedeutungslosigkeit

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Die Führungsspieler wandern weiter: Jonas Hofmann (li.) und Lars Stindl sind nicht mehr bei Borussia Mönchengladbach. (Foto: Anke Waelischmiller/Sven Simon/Imago)

Gladbach bricht auseinander: Jonas Hofmann ist der nächste wichtige Spieler, der geht. Eigene Transfererfolge? Überschaubar. Immerhin, auf Führungsebene gelingen bedeutsame Akquisen.

Von Ulrich Hartmann, Düsseldorf

Am Sonntag ist Trainingsauftakt bei Borussia Mönchengladbach. Neue Saison, neuer Trainer, neues Glück, könnte man meinen - doch die Aufbruchstimmung dürfte sich in Grenzen halten. Soeben hat auch Nationalspieler Jonas Hofmann den Verein verlassen, per Ausstiegsklausel geht er für geschätzte zehn Millionen Euro Ablöse zu Bayer Leverkusen. Eigentlich war der 30-Jährige als Kapitänsanwärter und Integrationsbeauftragter für den großen Kaderumbruch vorgesehen. Jetzt flüchtet sogar er aus dem Borussia-Park - Gladbach bricht auseinander.

Hofmann ist nach Marcus Thuram (Inter Mailand), Ramy Bensebaini (Borussia Dortmund) und Lars Stindl (Karlsruher SC) der vierte wichtige Spieler, der sich nach der enttäuschenden Vorsaison verabschiedet. Gleichwertigen Ersatz haben die Borussen bislang für keinen der Vier gefunden, dabei geht schon in sechs Wochen die neue Saison los. Es wird also ein heißer Sommer für den neuen Trainer Gerardo Seoane, vormals Leverkusen.

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39 der 52 Gladbacher Tore aus der abgelaufenen Spielzeit, also exakt 75 Prozent aller Treffer, hatten just Thuram (13), Hofmann (12), Stindl (8) und Bensebaini (6), erzielt. Als offensive Zugänge stehen bislang fest: der Flügelstürmer Robin Hack, 24, der mit Arminia Bielefeld in die dritte Liga abgestiegen ist - und der Mittelstürmer Grant-Leon Ranos, 19, der für den FC Bayern II 45 Spiele in der Regionalliga absolviert und keinerlei Bundesligaerfahrung hat. Für die Abwehr verpflichtete Gladbach bislang von Hertha BSC II den Linksverteidiger Lukas Ullrich, 19 (ebenfalls ohne Bundesligaerfahrung), sowie von Werder Bremen den Innenverteidiger Fabio Chiarodia, 18, (drei Erstligaeinsätze). "Der Borussia-Weg mit jungen Spielern passt zu mir", hatte Seoane bei seiner Präsentation vor einem Monat euphorisch betont. Aber da war ihm womöglich nicht in vollem Umfang bewusst, wie massiv der Umbruch ausfällt, wie viele erfahrene Spieler gehen und wie jung und unerfahren die Zugänge sein würden.

Jonas Hofmann sagte am Mittwoch: "Ich möchte vorangehen." Da stand er bereits 50 Kilometer südöstlich von Mönchengladbach im Stadion von Bayer 04. Diesen Satz hätten sie sich in Gladbach von ihm gewünscht, doch während Leverkusen für die Europa League qualifiziert ist, wird die Borussia nun schon im dritten Jahr in Serie nicht international spielen. In den vergangenen zweieinhalb Jahren hatte sie auch aus diesem Grund Leistungsträger wie Yann Sommer, Matthias Ginter, Breel Embolo und Denis Zakaria verloren.

Bedeutsamere Personalakquisen als im Spielerkader verbuchen die Borussen in diesem Sommer bislang auf der Funktionärsebene. Zusätzlich zum Cheftrainer Seoane verpflichtete man als dessen Assistenten vom Deutschen Fußball-Bund den U19-Nationaltrainer Guido Streichsbier - und als Sportdirektor Nils Schmadtke, den Sohn des Managers Jörg Schmadtke, der neuerdings beim FC Liverpool beschäftigt ist. Nils Schmadtke soll künftig neben Seoane am Spielfeldrand auf der Bank sitzen, Sportvorstand Roland Virkus nimmt sich damit öffentlich ein bisschen zurück.

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Bei der Borussia sind sie halb gewillt, halb gezwungen, mit entsprechend geschultem Führungspersonal fußballerisch aus der Not eine Tugend zu machen: eine Tugend mit viel Jugend. "Unser Weg ist der richtige", betonte Virkus kürzlich, das klang aber ein bisschen wie ein Mantra, denn er dürfte da schon eine Vorahnung gehabt haben. Gladbachs enttäuschende Leistung der Vorjahre dürfte entscheidend dazu beigetragen haben, dass der Kader seines Zusammenseins immer müder wurde. Adi Hütter, der Trainer der vorletzten Saison, hat soeben bei AS Monaco angeheuert, und Daniel Farke, der entlassene Trainer der vergangenen Saison, bekam ebenfalls einen attraktiven neuen Job bei Leeds United. Ihr Image in der Branche hat offenbar nicht gelitten. Gelitten hingegen haben die Gladbacher - unter ihrer zunehmenden Bedeutungslosigkeit.

Hofmann, dessen Vertrag erst im vergangenen Jahr verlängert worden war, sagte über seinen Wechsel nach Leverkusen: "Zuletzt hatte ich verstärkt das Gefühl, etwas Neues machen zu wollen." Gut für ihn, dass er sich bei der Vertragsverlängerung eine Ausstiegsklausel hatte gewähren lassen. Als er damit nun Ernst machte, bot ihm die Borussia sogleich verbesserte Konditionen, doch Hofmann sah in Gladbach offenbar kaum sportliche Perspektiven. Sportvorstand Virkus klingt konsterniert, wenn er sagt: "Wir haben um Jonas gekämpft und ihm ein Angebot vorgelegt, das alle seine Bedingungen erfüllt hat - dass er dennoch die Ausstiegsklausel aktiviert hat, hinterlässt kein gutes Gefühl."

Noch bleiben den Gladbachern ein paar Führungsspieler mit solidem Bundesliganiveau: die Innenverteidiger Ko Itakura und Nico Elvedi, die Mittelfeldspieler Kouadio Koné, Julian Weigl und Florian Neuhaus sowie der Angreifer Alassane Pléa. Doch noch ist nicht ausgeschlossen, dass es auch den einen oder anderen von ihnen kurzfristig wegzieht. Und im Sturm klafft ein gewaltiges Loch. Der Rechtsaußen Franck Honorat von Stade Brest gilt ebenso als Kandidat wie der offensive Mittelfeldspieler Fabian Rieder von Seoanes früherem Klub Young Boys Bern.

Als der neue Trainer neulich seine fußballerischen Visionen für Gladbach umschrieb, sagte er prägnant: "Man wünscht sich schlicht mehr Dynamik nach vorne." Dieses Leitthema wird die Transferaktivitäten der nächsten Wochen bestimmen. Für Seoanes pädagogisches Ziel - "wichtig wird sein, ein Team zu formen" - könnte die Zeit bis zum Saisonstart jedoch knapp werden. Schon am zweiten Spieltag empfangen die Gladbacher Leverkusen - mit Jonas Hofmann.

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