Gay Games:Kurztrip in die Freiheit

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Die Gay Games in Köln sind für viele Sportler ein Ort der Ablenkung - bei den Olympischen Spielen der Homosexuellen können sie der Homophobie in ihren Heimatländern entfliehen und ihre Sportart ungehindert ausüben.

Ronny Blaschke

Tumi Mkhuma öffnet ihre Schuhe, schließt sie, öffnet sie wieder, vier, fünf Mal geht das so. Von hinten tippt ihr eine Freundin auf die Schulter. Tumi Mkhuma schreckt auf, wie aus einem Traum. Sie läuft aufs Feld und tritt mit Wucht gegen einen Ball. Später wird sie sagen, dass sie sich nur beim Fußball richtig sicher fühlt. Vor dem Tor bleibt ihr keine Zeit, um an Diskriminierung zu denken - und an den Mann, der sie vergewaltigt und fast umgebracht hat.

Zahlenspiele: Bei den Gay Games treten 10.000 Sportler aus 70 Ländern in 35 Disziplinen an. (Foto: APN)

Alle vier Jahre finden die Gay Games statt, die Olympischen Spiele der Homosexuellen. In dieser Woche sind sie erstmals in Deutschland zu Gast, in Köln. 10.000 Lesben und Schwule aus 70 Ländern treten in 35 Sportarten an. Die meisten von ihnen bekennen sich in ihrer Heimat zu ihrer Sexualität. Doch einige Teilnehmer würden schon mit Händchenhalten ihr Leben riskieren, sie stammen aus Afghanistan, Sri Lanka oder aus Südafrika, wie Tumi Mkhuma und ihre 15 Mitspielerinnen aus dem lesbischen Fußballteam Chosen Few. Tumi Mkhuma, 23, stammt aus Katlehong, einem Township in Johannesburg. Schon mit elf, zwölf Jahren hat sie akzeptiert, dass sie auf Mädchen steht, geheim halten konnte sie es nicht.

Händchenhalten als Lebensrisiko

Die Geschichte des homosexuellen Sports ist auch eine Geschichte von Isolation und Entmündigung. Der amerikanische Zehnkämpfer Tom Waddell rief die Gay Games 1982 in San Francisco ins Leben. Ursprünglich hatten sie Gay Olympics heißen sollen, doch das Olympische Komitee der USA ließ die Nutzung des Namens verbieten. Langsam wuchsen die Gay Games zu einem Fanal für Menschenrechte. Jeder ist willkommen, unabhängig von Alter, Herkunft, Religion, Gesundheitszustand, Talent und vor allem: Sexualität.

Was das bedeutet, kann man an der Körpersprache von Tumi Mkhuma erkennen. Am Spielfeldrand simuliert sie Bewegungen ihrer Mitspielerinnen auf dem Feld, als wolle sie beim Dribbling helfen. "Ohne sie hätte ich mich vielleicht umgebracht", sagt sie. 15 Monate sind vergangen, seit sie von einem Mann bewusstlos geschlagen und vergewaltigt wurde. Viele Südafrikaner glauben an "corrective rapes", an korrigierende Vergewaltigungen. Gewalt, die Lesben davon "heilen" soll, lesbisch zu sein. Köln ist für Tumi Mkhuma ein Kurztrip in die Freiheit. Schießen ihre Freundinnen ein Tor, stürmen alle aufeinander zu, singen und lassen synchron ihre Hüften kreisen.

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Bis ins 20. Jahrhundert galt Sport auch in Europa als Erziehungshilfe, um den Sexualtrieb zu zügeln. Dokumentiert wird das im Deutschen Sportmuseum am Kölner Zollhafen. Die eindrucksvolle Ausstellung "Gegen die Regeln" zeichnet die Lebenswege von Athleten nach, für die Homosexualität zum Abgrund wurde. Zum Beispiel von Gottfried von Cramm, einem deutschen Tennisspieler, der 1938 von der Gestapo verhaftet und zu einem Jahr Gefängnis verurteilt wurde. Oder von Peter Karlsson, einem schwedischen Eishockeyspieler, der 1995 in einer Disco ermordet wurde, mit 64 Messerstichen. Die Chronik der Tragödien scheint endlos zu sein.

Auch die Cheerleader dürfen bei den Gay Games nicht fehlen. (Foto: REUTERS)

Wer sich abends vom Sportmuseum Richtung Innenstadt aufmacht, den Neumarkt oder den Rudolfplatz passiert, der glaubt, Todesgefahr für homosexuelle Sportler habe es letztmals im Mittelalter gegeben. Die Teilnehmer der Gay Games genießen ihre Partys, Festivals und Konzerte. Es geht um Sport und Spaß, gewiss nicht um Bedrohung. Bis man wieder auf Tumi Mkhuma trifft und von ihrem Vorbild spricht: Eudy Simelane, einstige Nationalspielerin Südafrikas. Im April 2008 wurde sie von einer Gruppe verschleppt, vergewaltigt und ermordet. Seither organisieren Chosen Few eine Parade zu ihrem Todestag.

Verschleppt und vergewaltigt

Die Spielerinnen sind neugierig, einige von ihnen konnten es nicht glauben, dass es auch in Europa Homophobie im Sport geben soll. Auch in Köln treten Teilnehmer unter falschem Namen an. Aus Angst, ihre Existenz zu verlieren. Die Organisatoren unternehmen viel, um den Status als politisches Forum zu erhalten, zum Beispiel gibt es ein Stipendiaten-Programm. Für die Gay Games 2002 in Sydney richtete es sich an die australischen Ureinwohner. Für 100 Aborigines wurden Unterkünfte, Anreise und Kleidung bezahlt. Die Kölner unterstützen nun Athleten aus Osteuropa. Auch die südafrikanischen Fußballerinnen hätten sich ihre Reise ohne Spenden nicht leisten können. Für Tumi Mkhuma war die Eröffnungsfeier am Samstag eine Sensation. Vor 25.000 Zuschauern sprach Guido Westerwelle, der deutsche Außenminister, der Vizekanzler, der zweitwichtigste Mann der Regierung, über seine homosexuelle Beziehung.

Tumi Mkhuma hat andere Erfahrungen mit Offiziellen gemacht. Bei einem Frauenturnier in Johannesburg hatten Funktionäre fünf Frauen mit zierlicher Statur und langen Haaren für die Medaillenvergabe ausgewählt, sie sollten die Vorstellung des Mannweibes zerstreuen, dazu der Spruch des Turnierchefs: "So stellen wir uns unsere Spielerinnen vor - schön und erfolgreich." Für Lesben, ergänzte er, könne er Kontakt zu Psychologen herstellen. Solche Erlebnisse führen dazu, dass Homosexuelle ihre eigenen Vereine und Ligen gründen. Tumi Mkhuma sagt dazu: "Hier können wir sein, wie wir sind."

© SZ vom 05.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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