Fußball-WM:Und Infantino schwärmt von tollen Stadien

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Fifa-Präsident Infantino, Russlands Staatschef Putin und Frankreichs Präsident Macron bei der Siegerehrung nach dem WM-Finale. (Foto: REUTERS)

Staatsdoping, Menschenrechtsverletzungen, unfaire Wahlen: Keines dieser Probleme hat der Fifa-Präsident in Russland angesprochen. Kann sein, dass die WM 2022 in Katar endgültig unerträglich wird.

Kommentar von Claudio Catuogno, Moskau

"Russland hat sich verändert", jubelte der Fußballpräsident Gianni Infantino zum Abschluss der Weltmeisterschaft, "Russland ist jetzt ein Fußballland." Als sei das die ideale Staatsform: die Fußballrepublik. Etwas Wahrheit steckt aber doch in dem Satz: Zwar sind die meisten Gäste schon wieder heimgeflogen, die Mexikaner mit ihren karussellgroßen Sombreros, die Schweden mit ihren Wikingerhelmen, die musizierenden Senegalesen - aber irgendwas bleibt ja immer zurück. Und sei es die Erkenntnis, dass Russland womöglich doch nicht von lauter Feinden umzingelt ist, wie es die Staatsmedien immer behaupten. Haben die lustigen Fans, selbst wenn man sie selten verstanden hat, nicht wenigstens eine ungewohnte Offenheit vorgelebt? Das schwule russische Pärchen in Wolgograd, das sich das erste Mal händchenhaltend vor die Tür getraut hat, wird der WM lange dankbar sein - für diesen einen Moment.

Nachhaltig wäre all das aber nur, wenn Wladimir Putin es für geboten hielte. Und das Frustrierende ist: Es hat den russischen Präsidenten noch nicht mal jemand darum gebeten. Die Bühne war da, keiner hat das Mikrofon ergriffen. Nicht die hofierten "Fifa-Legenden" wie Lothar Matthäus, die beim Fototermin im Kreml bloß Ehrfurchtsfloskeln stammelten. Und schon gar nicht derjenige, dessen Weltverband doch angeblich für universelle Werte eintritt, für Fairplay, für Vielfalt, gegen Diskriminierung: Gianni Infantino.

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"Probleme gibt es überall"

Das Bild, das die Verlogenheit des Betriebs auf den Punkt brachte, war der Fifa-Präsident, wie er am Freitag im roten Volunteer-Kapuzenpulli seine WM- Bilanz zog. Als Signal sollte das rüberkommen an die 15 000 Freiwilligen, die vor und in den Stadien, an den Bahnhöfen und in den Pressezentren gearbeitet hatten. Der Fifa-Präsident im Volunteer- Hoodie - ist das nicht eine sympathische Geste? Doch, schon. Noch sympathischer wäre aber gewesen, für die Helfer wenigstens ein kleines Gehalt abzuzwacken von dem erwarteten Milliardengewinn. Das war nicht drin. Infantino, der formal ebenfalls ehrenamtliche Fifa-Chef, kriegt aber durchaus eine Aufwandsentschädigung: mehr als eine Million Euro im Jahr.

Der Fußball hat die Strahlkraft, Tausende Volunteers in die Selbstausbeutung zu treiben, nur um des Gefühls willen, Teil einer großen Sache zu sein. Aber was macht der Fußball aus dieser Strahlkraft? Nichts. Sag Ja zu Vielfalt, sag Nein zu Rassismus - das ist bloß die Soße, die er über seine Werbespots gießt, um den Betrieb mit gesellschaftlicher Bedeutung aufzuladen.

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Der letzte globale Sportführer, bei dem noch moralische Integrität durchschien im Angesicht eines Sportevents in diktatorischem Umfeld, war der belgische IOC-Präsident Jacques Rogge bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking. Inwieweit lässt man sich von einem Staatsapparat die Kontrolle aus der Hand nehmen? Rebelliert man gegen Zensur? Beklagt man willkürliche Verhaftungen? Rogge versuchte es wenigstens. Er ließ sogar den Zweifel zu, ob womöglich viele Athleten gedopt an den Start gehen und das bloß keiner mitkriegt, weil die Doping-Kontrollen nichts taugen. Die Widersprüche des Sports und der Welt kann man mit Würde moderieren - oder wegschweigen.

Heute sind die beiden größten Sportereignisse fest im Griff der Opportunisten, Olympia in dem des deutschen Anwalts Thomas Bach, die Fußball-WM in dem des Schweizer Berufsfunktionärs Infantino. Bach hat am Ende der Winterspiele 2014 in Sotschi die Sitte eingeführt, nicht nur dem Land und seinen Menschen, sondern auch dem Präsidenten persönlich zu danken - am Tag nach der Schlussfeier schickte Putin dann seine Soldaten auf die Krim. Für Infantino war das keine Mahnung. Auch er dankte Putin persönlich, für "die beste Weltmeisterschaft, die es je gab".

Nicht, dass man Infantino nicht auf vieles angesprochen hätte, womit das politische Russland in Verbindung gebracht wird: Staatsdoping (auch im Fußball), die Opfer des abgeschossenen Fluges MH17, unfaire Wahlen, die Annexion der Krim, Menschenrechtsverletzungen aller Art. Ganz schön viel, um bloß unterwürfig von tollen Stadien zu schwärmen. Infantinos lapidare Antwort: "Ungerechtigkeiten gibt es überall auf der Welt." Und, hey: Ist es nicht super, dass es dank des Videoassistenten jetzt keine Abseitstore mehr gibt?

Mit dieser Geisteshaltung zieht der Fußball nun in die nächste WM: nach Katar. Man darf gespannt sein, ob er dort einfach so weitermacht. Mehr Zynismus geht ja kaum, als sich von zusammengepferchten Arbeitern aus Bangladesch oder Nepal eine WM-Infrastruktur bauen zu lassen - und ihnen dabei, wie Menschenrechtsorganisationen beklagen, bisweilen noch nicht mal genug Wasser hinzustellen zum Überleben. Wird die WM 2022 in Katar endgültig unerträglich? Ganz bestimmt.

Aber man darf sicher sein: Der Fußball und seine Legenden kriegen sogar das durchmoderiert. Franz Beckenbauer etwa war schon öfter in Katar und überbrachte danach frohe Kunde: Er habe dort "noch nicht einen einzigen Sklaven gesehen".

© SZ vom 16.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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