Zum Tod von Roger Hunt:Der Mann, der der VAR war

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Ansichtssache, aber nicht für Roger Hunt, der im WM-Finale 1966 die Arme hochriss: "Er war über der Linie - und es ist bewiesen." (Foto: dpa)

Roger Hunt war derjenige, der beim Wembley-Tor entschlossen jubelte. Nun ist der 1966er-Weltmeister gestorben. Doch die Legende lebt weiter.

Nachruf von Holger Gertz, München

Roger Hunt, diese fußballhistorische Leistung ist einzigartig, hat eines der umstrittensten Tore der Fußballgeschichte zum Tor erst werden lassen. Er war es, der durch seinen entschlossenen Jubel als Erster signalisierte: Der Ball war drin. Als er, Hunt, den rechten Arm hochriss, war die Sache klar. Roger Hunt: der Mann, der im WM-Endspiel von 1966 der VAR war.

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Von Martin Schneider

Jeder weiß, worum es geht. Weltmeisterschafts-Finale von Wembley, England gegen Deutschland, die 101. Minute, Geoff Hurst empfängt die Flanke von Alan Ball, dreht sich, schießt auf den Kasten von Hans Tilkowski, der Ball federt von der Latte auf den Rasen zurück. Vor die Linie, hinter die Linie? Heute würde die Torlinientechnologie oder eben der Video Assistant Referee (VAR) die Situation schnell auflösen. "Hei: Nicht im Tor, kein Tor!" rief der deutsche Fernsehkommentator Rudi Michel, aber im TV sah man Roger Hunt, Rückennummer 21, wie er den Arm hochriss und zu seinen Mitspielern zurückschaute.

Es war ein Tor: Die Botschaft dieser Geste wanderte über den Platz, bis zurück zum eigenen Keeper Gordon Banks, der in seiner Autobiografie geschrieben hat: "Es stimmt, ich stand am anderen Ende des Spielfelds, aber Rogers Reaktion hat jeden Zweifel zerstreut." Und weiter: "Roger war ein produktiver Torschütze, er allein war genau da, als der Ball von der Latte ins Tor krachte."

Faszinierend, wie die Debatte über ein Tor die Zeiten überlebt

Die Bilder vom Wembley-Tor, inzwischen tausendmal analysiert, sagen wohl etwas anderes, aber in England hält sich bis heute die Überzeugung, dass der Ball vollumfänglich hinter der Linie war, Schiedsrichter Gottfried Dienst hat ja, nach Rücksprache mit Linienrichter Tofiq Bahramov, auch so entschieden. Und Roger Hunt hat auch danach nie einen Zweifel daran gelassen, 2016 hatte das Liverpool Echo eine Geschichte über dieses Tor im Blatt, Hunt sagte: "Ich drehte mich um und hob meinen Arm. Ich denke immer noch, er war über der Linie - und es ist bewiesen."

Das ist Ansichtssache. Aber faszinierend zugleich, wie die Debatte über ein Tor die Zeiten überlebt und inzwischen auch die meisten Zeugen, die dabei waren in Wembley, auf dem Platz. Alan Ball, der die Flanke schlug, starb 2007. Gordon Banks, der Stammtorwart, starb 2019, sein Ersatzmann Peter Bonetti 2020, wie auch Jack Charlton, Norman Hunter, Nobby Stiles; vor einer Woche erst starb Jimmy Greaves, der während des WM-Turniers seinen Platz im Team verloren hatte. Und nun auch Roger Hunt, "Sir Roger", die Legende aus Liverpool. Er wurde 83.

In England sind in den vergangenen Jahren auch viele jüngere Helden und Halbhelden gestorben, Ray Wilkins, Ray Clemence, Colin Bell, Paul Mariner, eine bedrückende Dichte an Todesfällen. Manche der Älteren waren zuletzt dement gewesen, womöglich hatten sie sich zu viel zugemutet in einem Fußball, der seinerzeit der Sport der Kämpfer und Arbeiter war. Und der Ereignisse wie das Wembley-Tor gedeihen ließ. Diese Legende wenigstens ist unsterblich.

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