Fußball:Aus der dritten Liga in die Champions League

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Hoch hinaus: Gino Lettieri wird nach der so vorzeitigen wie überraschenden Meisterschaft gefeiert. (Foto: oh)

"Das ist so, als würde Dortmund zwölf Punkte vor Bayern Meister werden": Gino Lettieri, einst Trainer bei 1860, Augsburg und Bayreuth, gewinnt mit FK Panevezys den Titel in Litauen - und hofft nun auf einen Karriereschub.

Von Christoph Leischwitz

Im September vergangenen Jahres erhielt Gino Lettieri einen dieser Anrufe, von denen es in der Branche tagtäglich wohl Dutzende gibt. Hey, wir kennen uns aus Polen, hast du nicht Lust, nach Litauen zu kommen, nur für zehn Spiele? Unsere Mannschaft würde gerne noch die Qualifikation zur Conference League erreichen! Litauen stand freilich nicht direkt auf Platz eins in Lettieris Trainerplänen, er hatte sogar schon einmal abgesagt, als derselbe Funktionär ihn zum litauischen Dauermeister Zalgiris Vilnius locken wollte.

Doch diesmal hatte Lettieri gerade ein kurzes Engagement als Co-Trainer bei AEK Athen hinter sich. Also dachte sich der 56-Jährige: "Zehn Spiele, warum nicht?" Mit Lettieri erreichte FK Panevezys tatsächlich noch den dritten Platz in der litauischen Liga, für den Klub aus der 85 000-Einwohner-Stadt die beste Platzierung überhaupt. Und dann wurde aus dem vermeintlichen Kurzzeitjob ein Schritt, der dem Wahlbayern noch einmal einen Karriereschub geben könnte.

Es war ja still geworden um Lettieri, der in München aufwuchs und hier irgendwie immer dazugehörte. Der als Fußballer bei der zweiten Mannschaft von 1860 bekannt wurde, diese später auch mittrainierte und unter Werner Lorant arbeitete, hernach bei Traditionsklubs wie dem FC Augsburg, Bayern Hof und der SpVgg Bayreuth.

Seine Laufbahn steht stellvertretend für die vielen im Fußball, die so oder so laufen können, die man so oder so interpretieren kann. Beispiel: MSV Duisburg. Eine geräuschvolle Beurlaubung im Januar 2021, nach nur zwölf Partien. Lettieri hält mit seinem ersten Engagement bei den Zebras dagegen, 2015 stieg er nämlich mit der Mannschaft in die zweite Liga auf. Und überhaupt: "Ich bin überall in meinem zweiten Jahr aufgestiegen."

Das Niveau der Liga? Insgesamt wohl zwischen deutscher Liga eins und Liga vier, irgendwie

Das war in Litauen freilich nicht möglich, Panevezys spielt ja in der ersten Liga. Doch hier gelang Lettieri ein Kunststück, das mal wieder über die Grenzen des kleinen Landes hinaus aufhorchen ließ: Die Mannschaft wurde völlig überraschend und völlig souverän Meister, nach einem 0:0 am fünftletzten Spieltag warfen ihn seine Spieler schon in die Luft. Am Ende waren es zwölf Punkte Vorsprung auf Topfavorit Zalgiris Vilnius. "Das ist so, als würde Dortmund zwölf Punkte vor Bayern Meister werden", findet Lettieri.

Am vergangenen Sonntag war Saisonabschluss, Lettieri wurde erneut, ein drittes Mal, zum Trainer des Monats gekürt, es wurde noch einmal kräftig gefeiert, danach reiste der Dauerpendler zurück zu seiner Familie nach Bayreuth. Jetzt hat Lettieri eine lange Winterpause, aber seinen Vertrag für die kommende Saison bereits verlängert. Bis es weitergeht, wird man ihn aber in dem einen oder anderen deutschen Stadion als Zuschauer antreffen können.

Es ist alles recht beschaulich in Panevezys. Zu den Spitzenspielen kommen 1500 Zuschauer in ein Stadion mit sehr niedrigen Tribünen und einer Tartanbahn, beim Tee mit dem Bürgermeister konnte Lettieri dafür sorgen, dass die Mannschaft eine neue Kabine und für das kommende Jahr einen neuen Trainingsplatz erhält. Zum Niveau der Liga sagt er, das Gefälle sei schon enorm. Allerdings habe Zalgiris mit dem deutlich größeren Etat im Sommer denkbar knapp die Champions League verpasst (2:2 und 0:1 gegen Bayern-Gegner Galatasaray). Also: insgesamt wohl zwischen deutscher Liga eins und Liga vier, irgendwie.

Nun steht die Champions-League-Qualifikation an - "eine sehr interessante Perspektive"

Doch die litauische Erfahrung ist für ihn einzigartig - vor allem wegen des Vorteils, den kleine Länder mit sich bringen: "Was dafür gesprochen hat", sagt er über seine kürzlich beschlossene Vertragsverlängerung, "das war die Möglichkeit, in der Champions-League-Qualifikation zu spielen." Die steht dank der Meisterschaft nun an, nachdem das Team im vergangenen Sommer in der Conference-League-Qualifikation immerhin die erste Runde überstanden hatte.

Das sei somit auch schon Ende vergangenen Jahres "eine sehr interessante Perspektive gewesen", sagt er. Es habe zu der Zeit zwar auch Angebote aus Deutschland gegeben - unter anderem von zwei Drittligisten -, aber international zu spielen, das fand er dann doch besser, als "in der Jahreszeit zu einem Klub zu gehen, der in der dritten Liga gegen den Abstieg spielt". Außerdem hat Lettieri nach eigenem Bekunden nun sieben Nationalspieler im Kader. "Ich muss nichts beweisen, aber ich mache schon Spieler besser. Und ich habe meine Ziele eigentlich immer erreicht", sagt er. Sein "Wermutstropfen" für kommende Saison: Der Etat wird trotz des Erfolges nicht erhöht, TV- und Sponsorengelder sind nicht einmal annähernd mit der dritten Liga in Deutschland vergleichbar, zumal Basketball in Litauen die Sportart Nummer eins ist.

Vielleicht lockt noch ein Engagement bei einem Nationalteam eines kleinen Landes. Zum litauischen Verband gäbe es bayerische Bande: Der Deggendorfer Reinhold Breu, einst Spieler bei 1860 und Burghausen, ist dort Technischer Direktor; als Co-Trainer arbeiten Mario Tanzer (zuletzt 1. FC Passau) und Robert Kilin (früher Bayern Hof). Ansonsten wird es Lettieri über kurz oder lang wohl wieder gen Heimat ziehen. In seinem Vertrag ist auch eine Ausstiegsklausel eingebaut, wie er betont.

Aber er wechselt nicht mehr zu jedem Preis: "Ohne Perspektive bist du irgendwann der Depp", sagt er über Trainer, die keine Chane bekämen, eine Mannschaft zu entwickeln. Das Ziel lautet also: langfristiges Arbeiten oder zumindest eine reelle Chance darauf. Man sehe doch recht leicht, dass dies auch den Erfolg bringe: Auch 1860 habe viele Spieler ausgetauscht, die SV Elversberg hingegen sei "durchmarschiert, weil sie zwei Jahre in der Regionalliga komplett zusammengespielt haben".

Nach dem einstündigen Telefonat schickt Lettieri noch zwei Artikel aus italienischen Gazetten. Er freut sich, dass er auch in der Heimat seiner Eltern wieder Gehör findet. In einem Artikel wird er folgendermaßen zitiert: "Mein Traum ist es, in Italien zu trainieren. Ich glaube, dass ich dafür das perfekte Profil habe. Meine Mentalität ist die richtige." Und die Vita ist aufpoliert wie ein frisch gewonnener Pokal.

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