Leverkusen:Bayer-Coach: „Die ganz oben hängenden Trauben erreichen“

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Düsseldorf (dpa/lnw) - Die Welt ist klein: Bayer Leverkusens Trainer Heiko Herrlich und Sportdirektor Jonas Boldt sind sich bereits vor 18 Jahren in einem völlig anderen Umfeld begegnet. Herrlich wurde in der Kopfklinik Heidelberg wegen eines Tumors behandelt, Boldt leistete dort gerade seinen Zivildienst. Seit 2017 arbeiten sie gemeinsam für Bayer Leverkusen, nachdem Herrlich als Trainer zum Verein von Sportdirektor Boldt wechselte. Im dpa-Interview äußern sich beide zu den Aussichten der von vielen als Geheimtipp gehandelten Leverkusener.

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Düsseldorf (dpa/lnw) - Die Welt ist klein: Bayer Leverkusens Trainer Heiko Herrlich und Sportdirektor Jonas Boldt sind sich bereits vor 18 Jahren in einem völlig anderen Umfeld begegnet. Herrlich wurde in der Kopfklinik Heidelberg wegen eines Tumors behandelt, Boldt leistete dort gerade seinen Zivildienst. Seit 2017 arbeiten sie gemeinsam für Bayer Leverkusen, nachdem Herrlich als Trainer zum Verein von Sportdirektor Boldt wechselte. Im dpa-Interview äußern sich beide zu den Aussichten der von vielen als Geheimtipp gehandelten Leverkusener.

Frage: Herr Boldt, Julian Nagelsmann hat Bayer Leverkusen als Meister getippt. Was sagen Sie dazu?

Boldt: Der Julian ist ein Fuchs. Er weiß, dass viele Leute sehr genau auf ihn schauen werden. Weil er das erste Mal Champions League spielt und weil schon klar ist, dass er 2019 nach Leipzig gehen wird. Und so versucht er, den Fokus woanders draufzulegen.

Frage: Herr Herrlich, Sie haben Borussia Dortmund als Meister getippt. Sind Sie auch ein Fuchs?

Herrlich: (lacht) Sie tun das, was sie auch unter Jürgen Klopp getan haben: Den Bayern die Favoritenrolle zuzuschieben. Aber allein die Personalie Matthias Sammer deutet auf andere Ambitionen hin. In unserer gemeinsamen Zeit hat Matthias immer wieder den Satz zitiert: „Lieber tot als Zweiter.“ Für Matthias gibt's nur eins: Er will Meister werden. Der setzt sich nicht ins Boot und sagt: Jetzt wollen wir Zweiter werden. Insgesamt hat der BVB ehrgeizige Ziele und große Möglichkeiten, deshalb habe ich Dortmund genannt.

Frage: Herr Boldt, was ist denn Ihr Meistertipp?

Boldt: Es wäre langweilig, Bayern München zu sagen. Und da wir in den letzten beiden Saisons zweimal hinter Hoffenheim standen, geben wir den Ball einfach mal an Julian zurück.

Frage: Aber ist es denn in dieser Saison grundsätzlich möglich, dem FC Bayern Paroli zu bieten?

Herrlich: Die ganze Liga sehnt sich doch danach, dass irgendwann mal jemand anderes Meister wird. Frankfurt hat es uns allen im Pokalfinale vorgemacht, wie man die Bayern schlägt. Und ich hoffe, dass sich viele von dieser Mentalität anstecken lassen und mutig gegen die Bayern spielen werden. Auch wenn man bei Bayern München spielt, darf man nie hinfahren und denken: „Da verlieren wir sowieso.“ Man muss versuchen, einen Plan zu entwickeln, um dort etwas mitzunehmen. Denn das ist nicht unmöglich.

Frage: Spieler wie Julian Brandt, Paulinho oder Leon Bailey haben offen davon gesprochen, Titel mit Bayer gewinnen zu wollen. Haben Sie sie eingefangen oder bestärkt?

Boldt: Warum sollten wir wen aufhalten, der Titel gewinnen will? Grundsätzlich ist das doch etwas sehr Positives. Und schließlich wollen wir das alle. Das leben wir jeden Tag vor, und wenn die Spieler das genauso sehen, ist es umso besser. Man muss das aber auch realistisch einordnen. Es gibt keinen, der sagt: Wir werden deutscher Meister.

Herrlich: Warum soll man keine Träume haben? Erst träumst Du davon, dann denkst Du daran, dann sagst Du es, dann machst Du es. Träume haben uns alle angetrieben, nicht zuletzt deshalb haben wir angefangen, Fußball zu spielen. Es ist gut, wenn die Spieler groß denken und sich auch entsprechend äußern. Schließlich werden einige auch von großen Vereinen umworben, die diese Titel schon gewonnen haben. Wenn in unserer Gesellschaft jemand sagt, er möchte ganz nach oben und bei 80 Prozent kippt er um, gibt es oft hämischen Beifall. Das ist ein ganz schlechtes Klima. Warum soll man nicht versuchen, die ganz oben hängenden Trauben zu erreichen - auch mit dem Risiko abzustürzen. Aber um Erfolg zu haben, muss man mit voller Überzeugung ganz nach oben zielen. Mit voller Leidenschaft.

Frage: Sie zeigen Ihren neuen Mannschaften immer am Anfang den Film „Miracle - Das Wunder von Lake Placid“. Wieso?

Herrlich: Dass diese US-Eishockey-Mannschaft aus Studenten 1980 in Lake Placid die Sowjets geschlagen hat, die zuvor viele Jahre kein Spiel verloren hatten, war ein Wunder. Und dann frage ich die Spieler immer: „Gibt es so etwas heute noch?“ Die Antwort: Ja, das gibt es. Da muss man nur nach links und rechts schauen. Es gab die Handball-Nationalmannschaft bei der EM 2016, es gab Leicester City im selben Jahr, es gibt solche Wunder immer wieder. Aber Du musst bereit sein, daran zu glauben. Du musst es unbedingt wollen. Und Du musst ein Team sein.

Frage: Im Vorjahr wurde Bayer Fünfter, verpasste die Champions League nur aufgrund der Tordifferenz. Trotzdem blieben im Vergleich zum Vorjahr außer Bernd Leno alle Spieler. Wie hat das funktioniert?

Boldt: Wir sind ein guter Verein und die Spieler wissen, dass sie noch sehr, sehr jung sind und dass sie bei uns eine Plattform haben, auf der sie sich super entwickeln und entfalten können. Schön war, dass niemand nach dem letzten Spiel die Flucht ergreifen wollte, weil wir es nicht in die Champions League geschafft haben. Wir sind alle zusammen Fünfter geworden, wir haben alle zusammen was liegen lassen und wir wollen das alle zusammen in diesem Jahr ausmerzen. Heiko hat eine Arbeitsumgebung geschaffen, in der sich viele gut aufgehoben fühlen. In der ambitioniert gearbeitet wird, in der man viel erreichen will und das auch aussprechen darf. Aber ohne den Sinn zur Realität zu verlieren.

Frage: Am kommenden Mittwoch nominiert Bundestrainer Joachim Löw seinen ersten Kader seit dem Vorrunden-Aus bei der WM. Rechnen Sie mit einer Nominierung von Kai Havertz? Er hat selbst die EM 2020 als Ziel ausgegeben.

Herrlich: Kai ist das größte Talent, das ich seit Toni Kroos gesehen habe. Ich habe schon vor der WM gedacht, dass so ein Spieler der Mannschaft hätte weiterhelfen und lernen können. Aber ich denke, der Bundestrainer weiß ganz genau, was er zu tun und wen er zu nominieren hat.

Boldt: Fußballerisch passt Kai Havertz in jede Mannschaft.

ZU DEN PERSONEN: Heiko Herrlich (46) war als Profi Champions-League-Sieger, Nationalspieler und Bundesliga-Torschützenkönig. Seit 2005 ist er Trainer, seit 2017 Chefcoach in Leverkusen. Jonas Boldt (36) arbeitet seit 2007 für Bayer in unterschiedlichen Funktionen. Seit 2013 war er Sport-Manager, seit Sommer 2018 ist er Sportdirektor.

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