Fußball:Kießlings Phantomtor beschäftigt DFB - neues Spiel?

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Sinsheim (dpa) - Das Skandalspiel mit dem Phantomtor von Stefan Kießling hat den deutschen Fußball in helle Aufregung versetzt und wird auch den Weltverband FIFA beschäftigen.

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Sinsheim (dpa) - Das Skandalspiel mit dem Phantomtor von Stefan Kießling hat den deutschen Fußball in helle Aufregung versetzt und wird auch den Weltverband FIFA beschäftigen.

Die TSG 1899 Hoffenheim rechnet nach dem kuriosen 1:2 (0:1) gegen Bayer Leverkusen fest damit, dass sie vor dem Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) ein Wiederholungsspiel zugesprochen bekommt. „Alles andere wäre ja ein Witz“, sagte Trainer Markus Gisdol und verwies auf den Fall Thomas Helmer von 1994. Während sich die Fans landauf-landab über den Treffer, der keiner war, amüsieren, stehen Torjäger Kießling und vor allem Schiedsrichter Felix Brych nach dieser denkwürdigen Bundesliga-Partie ziemlich bedröppelt da.

Bereits zehn Minuten vor dem Abpfiff trafen sich Alexander Rosen, Leiter Profifußball bei der TSG, und Leverkusens Sportchef Rudi Völler im Kabinengang und sprachen über das weitere Vorgehen. Am Samstag reichte Hoffenheim erwartungsgemäß Einspruch gegen die Spielwertung ein. Das teilte der DFB mit. Der Fall wird vor dem Sportgericht verhandelt - mit offenem Ausgang, denn auch die FIFA hat ein Wörtchen mitzureden. „Dass ein solches Phantomtor als ungerecht empfunden wird, können wir alle absolut nachvollziehen. Der reflexartige Ruf nach einer Wiederholung des Spiels ist verständlich, aber wir wissen aus der Vergangenheit auch, wie sehr die FIFA die Tatsachenentscheidung eines Schiedsrichters schützt“, sagte Rainer Koch, zuständiger DFB-Vizepräsident für Rechts- und Satzungsfragen.

1994 hatte Helmer beim 2:1 des FC Bayern gegen den 1. FC Nürnberg ebenfalls ein Phantomtor erzielt. Das Spiel wurde wiederholt, anschließend gewannen die Bayern 5:0 und wurden Meister. Wenig begeistert von diesem Urteil des DFB-Sportgerichts damals war die FIFA, die sich stets auf Tatsachenentscheidungen des Schiedsrichters beruft und Spielwiederholungen gar nicht gerne sieht. In Paragraf 14 der Spielordnung der Deutschen Fußball Liga (DFL) heißt es zudem, dass rechtskräftige Entscheidungen zu Spielwiederholungen „zur abschließenden Beurteilung“ der FIFA vorgelegt werden müssen. Helmer erinnerte daran, die FIFA habe in seinem Fall „mächtig Theater“ gemacht. „Ich sehe die Chancen nicht so groß wie damals“, sagte er der Nachrichtenagentur dpa am Samstag zu einem Wiederholungsspiel.

Kießling hatte in der 70. Minute auf das Tor geköpft - am Pfosten vorbei, doch der Ball war durch ein Loch im Seitennetz in Schulterhöhe ins Tor geflutscht. „Im ersten Moment habe ich gedacht, der geht nicht rein. Dann kamen alle auf mich zugestürmt, und der Ball zappelte im Netz“, erklärte Kießling später. Der 29-Jährige hatte sich unmittelbar nach der Aktion verärgert an den Kopf gefasst und abgedreht. Er habe das Ganze „nicht genau gesehen“. Er wisse auch nicht mehr genau, was er mit Referee Brych danach gesprochen habe.

Dass er den Ball nicht ins Tor geköpft hatte, hatte Kießling dem ratlosen Unparteiischen jedenfalls nicht gesagt. „Jetzt im Nachhinein ist das eine Scheiß-Situation“, meinte der Angreifer. Brych war in dem Moment jedenfalls der einsamste Schiedsrichter der Welt: Von seinen Assistenten kam keine Hilfe, die Hoffenheimer protestierten auch nicht lautstark, was Gisdol damit begründete, dass der Spielleiter aus München sie aufgefordert habe, wegzubleiben, sonst gebe es Gelb. 1899-Torwart Koen Casteels sagte: „In so einer Situation denkst du nur, du hast einen Stellungsfehler gemacht und nicht, dass da ein Loch im Netz ist.“

Brych stand nach dem Abpfiff völlig konsterniert vor den Fernsehkameras: „Es hat mir keiner gesagt, dass der Ball nicht im Tor war. Ich hatte leichte Zweifel, aber die Reaktionen der Spieler waren eindeutig, es gab kein Kontra“, meinte der Olympia-Schiedsrichter, der auf der FIFA-Liste der möglichen WM-Referees für Brasilien 2014 steht. „Für mich ist das jetzt auch keine tolle Situation, ein Tor zu geben, das keins war.“

Herbert Fandel, der Vorsitzender der DFB-Schiedsrichterkommission, verteidigte am Samstag seinen Top-Referee. Brych sei einer der weltbesten Schiedsrichter, sagte Fandel. „Aber es war eine Verkettung unglücklicher Umstände, und am Ende bleibt bedauerlicherweise stehen, dass ein Tor gegeben wurde, welches keines gewesen ist.“

Brych, der 38 Jahre alte Jurist aus München, konnte am Ende froh sein, dass er mit heiler Haut unter die Dusche kam. Unmittelbar nach dem Schlusspfiff hatte die Stadionregie in der Sinsheimer Rhein-Neckar-Arena die Szene auf der Videowand gezeigt, und Stadionsprecher Mike Diehl brüllte in sein Mikrofon: „Der Ball war nicht im Tor.“ Daraufhin prasselten üble Schmährufe auf Brych ein. Rosen nannte die Aktion „sicher unnötig“.

Gisdol und Leverkusens Trainer Sami Hyypiä forderten sogleich den Videobeweis. Eine Diskussion, die den Profifußball schon im Fall Helmer vor fast 20 Jahren beschäftigte. „Ich hoffe, dass wir da irgendwann mal eine vernünftige Regel finden. Wir sind ja nicht mehr im fünften Jahrhundert“, meinte Gisdol. Dies wäre auch im Sinne der Spielleiter, wie Fandel betonte. Der Weltverband FIFA hatte das System von GoalControl beim Confederations Cup im Sommer in Brasilien erfolgreich getestet. Die Kontrolle durch 14 Kameras soll aber frühestens 2014/15 in Deutschland eingeführt werden.

Kießlings irreguläres Tor war nur einer von vielen Aufregern in der turbulenten Partie: Sidney Sam hatte die Gäste in Führung gebracht (26.). Ein reguläres Tor von Kevin Volland (36.) erkannte Brych wegen angeblicher Abseitsstellung nicht an. Roberto Firmino verschoss zudem noch einen Foulelfmeter, ehe Sven Schipplock doch der Anschlusstreffer gelang (88.).

Das ganze Theater um Kießlings Phantomtor hätten sich die Kraichgauer nach Ansicht Völlers ersparen können. „Die haben so viel Geld ausgegeben für das Stadion. Kleiner Tipp: Das nächste Mal richtige Netze kaufen“, scherzte er. Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp, dessen Vermögen sich nach jüngsten Angaben des „Manager Magazins“ auf 6,1 Milliarden belaufen soll, stand in diesem Moment kopfschüttelnd vor einem Fernsehschirm in den Katakomben der Rhein-Neckar-Arena.

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