Fußball in Italien:"Kommunisten lauern überall"

Rückblick auf ein Jahr, in dem Silvio Berlusconi beim AC Mailand erneut gezeigt hat, wie man einen Fußballklub knechten und nebenbei ein Land regieren kann. In Bildern.

Birgit Schönau

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(Foto: AFP)

Rückblick auf ein Jahr, in dem Silvio Berlusconi beim AC Mailand erneut gezeigt hat, wie man einen Fußballklub knechten und nebenbei ein Land regieren kann. In Bildern. Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Im März 2011 wird Italien den 150. Jahrestag seiner Einigung begehen, wie und warum, darüber ist sich die Regierung des Landes allerdings noch nicht ganz einig. (Weil einige Minister der Ansicht sind, man solle Italien lieber schnell dreiteilen.) Größtmögliche Einigkeit besteht hingegen angesichts des Jubeldatums 20. Februar 2011. An diesem Festtag feiert Silvio Berlusconi sein 25-jähriges Thronjubiläum - beim AC Mailand. Ein Meilenstein der Fußball- und Kulturgeschichte, hat doch Berlusconi aus Milan einen der besten Klubs der Welt gemacht. Sieben Meistertitel, fünf Landesmeister-Pokale - Berlusconi ist laut eigener Erkenntnis der größte Fußball-Präsident aller Zeiten (kurz Gröpraz). Und das, obwohl er nebenbei Italien regiert! Eine weltweit einmalige Konstellation, die dem Gröpraz seinen Platz in den Geschichtsbüchern sichern wird, irgendwann nach 2066. Denn bis zu seinem 130. Geburtstag bleibt Berlusconi ganz sicher am Ball. Wie man Trainer, Kicker und Fans in Schach hält, hat er auch 2010 wieder bewiesen. Wer das schafft, übersteht auch das nächste Misstrauensvotum wieder spielend.

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JANUAR 2010 - Inter Mailands Verteidiger Marco Materazzi feiert den 2:0-Derbysieg gegen den AC Mailand, indem er sich für seinen Freudentanz auf dem Platz eine Berlusconi-Maske überstülpt. Der Sportrichter verwarnt ihn prompt. "Kann man denn noch nicht mal beim Fußball ein bisschen Spaß haben?" fragt da empört die parlamentarische Opposition und zeigt mit diesem linkischen Versuch der Materazzi-Verteidigung wieder einmal ihre ganze Ahnungslosigkeit. Denn Berlusconi höchstselbst hat dem Inter-Mann schon längst vergeben. Unter Vermittlung von Italiens Verteidigungsminister Ignazio La Russa, hauptberuflich Vorsitzender der Inter-Mailand-Fanklubs im Parlament, haben der Gröpraz und seine Karnevalsmaske schon sehr freundschaftlich miteinander telefoniert. Und Berlusconi, so das Bulletin, habe über Materazzi herzlich gelacht.

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FEBRUAR - Man kann ja mal ein Derby verlieren. Aber dauernd verlieren, das dürfen nur Kommunisten. "Mein Milan kann siegen, wenn man die Mannschaft nur richtig spielen lässt", zürnt Berlusconi bei einem Abendessen mit den Senatoren seines "Freiheitsvolkes". Kein Zweifel, der Gröpraz ist sauer auf seinen brasilianischen Trainer Leonardo. Und seine Senatoren beeilen sich, das dem Volk im Freien ganz schnell mitzuteilen.

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MÄRZ - Jetzt schlägt's aber 13. Manchester United besiegt Milan 4:0, mit zwei Toren von Wayne Rooney. "Der große Traum zerbricht in einer Nacht, die man nur vergessen kann", barmt die Gazzetta nach Milans Ausscheiden in der Champions League. Berlusconis Schweigen lässt nur eine Interpretation zu: Leonardos Tage sind gezählt.

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APRIL - Wie ernst die Lage ist, zeigt die Tatsache, dass nun auch Marina Berlusconi den AC Mailand unter die Lupe nimmt. Streng erklärt des Gröpraz älteste Tochter (Spitzname "Zarin"), Chefin des Fininvest-Konzerns und des Verlags Mondadori: "Auch Fußballklubs können sich den Regeln guter Buchführung nicht entziehen. Die Entscheidungen über den AC Mailand liegen zwar nicht bei mir, aber ich finde, wir könnten die Bilanz verbessern." Besonders gefährlich klingt Marinas Eingeständnis: "Von Fußball verstehe ich nicht viel." Heißt das, die Zarin will Trainer werden? Oder doch bloß die nächste Präsidentin?

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MAI - Inter verteidigt den Meistertitel und gewinnt im Finale gegen den FC Bayern auch noch die Champions League. Weil der AC Mailand nur Dritter wird, entlässt Berlusconi mit diesen Worten Leonardo: "Wenn ich der Trainer gewesen wäre, hätten wir die Meisterschaft mit fünf, sechs Punkten Abstand gewonnen." Mindestens! Überraschenderweise wird aber nicht Marina Berlusconi der neue Coach, sondern Massimiliano Allegri von Cagliari Calcio. "Eigentlich kann ich mir in diesen Krisenzeiten keine großen Ausgaben leisten", sagt der Gröpraz. "Aber wenn es um einen tollen Spieler geht, mache ich eine Ausnahme. Die Italiener würden das verstehen." Die Italiener verstehen schließlich alles, die Milan-Fans allerdings schon weniger. "Unentschuldigtes Fehlen: Präsident wird nicht versetzt", höhnt beim letzten Heimspiel ein Spruchband in der Kurve. Was mit "unentschuldigt" gemeint ist, wird nicht ganz klar. Etwa das bisschen Regieren? Berlusconi ist jedenfalls stocksauer: "nach allem, was ich für sie getan habe. Ich habe diesen Klub an die Weltspitze gebracht, und das ist der Dank. Aber wenn sie mir in der Politik schon nicht dankbar sind, was kann ich dann im Fußball erwarten?"

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JUNI - Pünktlich zu ihrer Hundertjahrfeier erzielt die italienische Nationalelf das schlechteste WM-Ergebnis ihrer Geschichte. Die italienischen Titelverteidiger scheitern an ihrer Hammergruppe mit Paraguay, Neuseeland und Slowakei und verpassen das Achtelfinale. Als 2006 in Italien noch die Linke regierte, waren die Azzurri in Deutschland Weltmeister geworden. Sicher ein böser Zufall.

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(Foto: dpa)

JULI - Zum Saisonauftakt fliegt Berlusconi im Hubschrauber ins Trainingszentrum Milanello. Ein paar hundert vor dem Eingang versammelte Tifosi pfeifen den Gröpraz aus. "Wir wollen keinen Präsidenten", schreien die Fans, offenbar Anarchisten. Drinnen antwortet ihnen Berlusconi mit harten Fakten. "Die Tifosi möchte ich daran erinnern, dass ich in den vergangenen sieben Jahren 461 Millionen Euro in meinen Klub investiert habe. Keine andere italienische Familie hat Ähnliches geleistet. Insgesamt habe ich über eine Milliarde Euro investiert. Ich kann meine Kinder nur mit Mühe davon abhalten, mich zu entmündigen." Das muss man sich mal vorstellen. Armer Gröpraz! Ach, die Kinder denken doch überall nur ans Geld. "Wir sind der Klub, der weltweit am meisten gewonnen hat", weiß Berlusconi. "Hinter mir kommt nur Bernabeu und nach dem haben sie gleich das Stadion von Madrid benannt." Von wegen Entmündigung! "Mein Milan hat nur eine Mission: Siegen durch spektakuläres Spiel. Ronaldinho diskutiert man nicht, Thiago Silva haben wir nicht an Real Madrid verkauft, weil er ein Klassespieler ist. Und Mario Yepes wird unsere weiblichen Fans verzücken. Er ist ein schöner Junge, im Grunde spielen alle elf ja in Unterhosen." Oh, Entmündigung! Eigentlich wollte der neue Trainer Massimiliano Allegri ja auch noch etwas sagen, aber dazu kommt es nicht. "Es war richtig, dass nur der Präsident gesprochen hat", sagt Allegri am Tag danach. "Er ist sehr sympathisch und ein einzigartiger Redner."

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AUGUST - Zlatan Ibrahimovic und Robinho sind jetzt gemeinsam bei Milan unter Vertrag. Gewohnt bescheiden flötet der Schwede: "Wir bilden den stärksten Sturm der Welt." In der Kurve hängen nun Dankesbotschaften an den spendablen Präsidenten. Alles in Butter, findet Berlusconi. "Ich hatte mich innerlich entfernt von meinem Klub, weil ich mit Leonardo und dem späten Carlo Ancelotti so gar nicht einverstanden war." Jetzt sei es wieder Liebe.

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SEPTEMBER - Die Saison beginnt mit einer Niederlage gegen Aufsteiger Cesena. "Ein linker Schiedsrichter hat uns drei gültige Tore nicht gegeben", klagt Berlusconi. Ach, die Kommunisten lauern überall. Auch in der Liga! "Milan trifft zu oft auf linke Spielleiter." Und im Hausblatt Gazzetta attackiert der geschasste Brasilianer Leonardo seinen ehemaligen Boss: "Es war meine Entscheidung zu gehen, ich habe dabei auf ein Jahr Gehalt verzichtet. Der Grund war die Unvereinbarkeit meines Charakters mit dem des Präsidenten. Das habe ich ihm auch gesagt. Aber Narziss interessiert sich nur fürs eigene Spiegelbild." Der Gröpraz ein Narziss, das hat noch keiner zu sagen gewagt. Leonardo hätte beste Chancen auf den Job als Oppositionsführer. Wenn der nicht noch wackliger wäre als der Trainerstuhl bei Milan.

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OKTOBER - Milan ist Tabellenzweiter. Nach dem Sieg über den SSC Neapel gesteht Trainer Allegri: "Ja, der Präsident hat mich angerufen. Er steht der Mannschaft sehr nah und versteht es, uns zu beruhigen."

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NOVEMBER - Nach dem 2:2 gegen Real Madrid bemerkt der Präsident: "Allegri soll sich gefälligst besser kämmen, bevor er Fernsehinterviews gibt." Sehr beruhigend. Das Derby gegen Inter gewinnt diesmal Milan. 1:0, Elfmeter des Ex-Interista Zlatan Ibrahimovic. Bei einem Mittagessen mit dem linken Bürgermeister aus Florenz, Matteo Renzi, klagt Berlusconi über Milans unzureichenden Ballbesitz in den letzten Spielminuten. "Ach, lassen Sie doch Allegri in Ruhe", stichelt Renzi, "der ist ja noch nicht mal Kommunist." Und Berlusconi: "Der ist schlimmer als ein Kommunist, er kommt aus Livorno. Li-vor-no, verstehen Sie?!" Es gibt Städte, die sind so links, dass man sich wundert, warum sie überhaupt noch zu Berlusconien gehören.

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(Foto: Giuseppe Cacace/AFP)

DEZEMBER 2010 - Berlusconis Drittgeborene Barbara zieht ins Milan-Management ein. "Ich bin glücklich, dass eine andere Frau die Welt des Fußballs betritt", schwärmt die AS-Rom-Präsidentin Rosella Sensi. Barbara Berlusconi ist aber nicht nur eine andere Frau, sie ist wie Sensi auch eine andere Tochter. Nur Töchter haben in den Chefetagen italienischer Unternehmen überhaupt eine Chance. "Der Präsident ist und bleibt Silvio Berlusconi", stellt Barbara denn auch sofort in einem Interview mit dem Fußball-Fachblatt Vanity Fair klar. "Ich bin nur bei Milan, weil ich einige Zusammenhänge einer sehr komplexen Unternehmensrealität verstehen will. Und dann geht es natürlich darum, die Interessen meiner Familie zu schützen." Eben.

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(Foto: dpa)

Und kein Wort über Mario Yepes. Der hat sowieso nur drei Einsätze gehabt, scheint aber in seinen Milan-Unterhosen schon jetzt um Jahre gealtert zu sein. "Für mich ist der AC Mailand die Inkarnation meines Vaters", schwärmt Barbara Berlusconi. "Der Klub zeigt, zu welchen Erfolgen er überall fähig ist." Oh Yepes, oh Allegri! Die dritte Tochter hat einen Abschluss in Philosophie. Kaum ist sie da, wird der Weltstar Ronaldinho verkauft, der Provinzrüpel Antonio Cassano angeheuert und ausgerechnet Leonardo, der geschasste Brasilianer, wird der neue Trainer bei Inter. Milan allerdings geht gemäß aller Voraussagen als Tabellenführer ins Jubeljahr 2011, Silvio Berlusconi entgegen aller Prophezeiungen als Ministerpräsident. Und Italien als Inkarnation von Milan.

© SZ vom 31.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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