Fußball in Italien:Die Serie A verscherbelt ihre Tradition

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Bei Inter Mailand richteten die ausländischen Investoren Chaos an (im Bild: Inter-Spieler Ivan Perisic). (Foto: dpa)

Investoren aus Asien mischen mit riesigen Summen den italienischen Fußball auf - und scheren sich nicht um alte Gepflogenheiten. Italien ist empört.

Von Birgit Schönau, Rom

Wer weiß, ob den fünf Herren aus China, die am Sonntagabend auf der VIP-Tribüne des Meazza-Stadions Platz genommen hatten, jemand die Spruchbänder aus der Nordkurve übersetzt hat: "Nur die Spieler sind noch schlechter als diese nicht existente Klubführung", stand da zu lesen. Und: "Ein Engländer, ein Chinese und ein Indonesier (. . .) machen uns zum größten Witz Italiens." Nach dem Schlusspfiff befand sich San Siro immerhin kurz im Land des Lächelns. Inter Mailand hatte den Aufsteiger Crotone, Schlusslicht der Serie A, mit 3:0 geschlagen. Aber es war eine zähe Partie, die Tore fielen erst ab Minute 84.

Auf der VIP-Tribüne wurde artig applaudiert. Und in der Kabine erbat sich Trainer Stefano Vecchi die Mannschaftstrikots. Vecchi hatte soeben in der Mailänder Fußballoper seinen ersten und einzigen Auftritt mit der A-Mannschaft absolviert - am Montag trainierte er schon wieder die Jugendmannschaft. Das Profiteam um Kapitän Mauro Icardi übernahm der Kollege Stefano Pioli. Der 51-Jährige soll die Internazionale möglichst rasch von Tabellenplatz neun wegbringen und das Chaos ordnen, das ein Engländer, mehrere Chinesen und Indonesier geschaffen haben.

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Ex-Trainer de Boer passte zur Klubführung, aber nicht zur Mannschaft

Der Engländer zumindest wurde am Wochenende fristlos mit der großzügigen Abfindung von zwei Millionen Euro von seinem Posten als Geschäftsführer entlassen: Michael Bolingbroke ist ein Vertrauter des noch amtierenden Klubpräsidenten Erik Thohir aus Indonesien. Er hatte, als Thohir im Juni seinen Anteil von 68,55 Prozent an den chinesischen Elektrokonzern Suning verkaufte und die neuen Herren flugs den italienischen Trainer Roberto Mancini schassten, als Chefcoach den Niederländer Frank de Boer angeheuert.

Über Mancini hatte die Klubführung verlauten lassen, man spreche nicht dieselbe Sprache. De Boer konnte sich zwar mit dem Management verständigen, aber weder mit der Mannschaft, noch mit den italienischen Medien, die ihn genüsslich als tapsigen Barbaren im Reich ausgebuffter Fußballstrategen karikierten. Nach 84 Tagen im Amt mit fünf Niederlagen in 11 Spielen und vor dem fast sicheren Aus in der Europa League musste de Boer gehen. Der Entlassungsbefehl kam aus China: Patron Zhang Jondong schickte seine Vorstandsräte Ren Jun, Mi Xin, Liu Jun, Yang Yang und Zhang Kangyang nach Mailand - mit dem Auftrag, einen Nachfolger für de Boer zu finden. Das war vergangene Woche.

Trainercasting auf dem Hotelflur

Es begann dann ein mehrtägiges Casting, bei dem halb Italien die Luft anhielt. Nachdem die Favoriten Fabio Capello und Guus Hiddink dankend abgewunken hatten, wurden die Kandidaten Marcelino Garcia Toral (ehemals Villarreal), Gianfranco Zola (Chelsea-Legende, zuletzt Trainer von Al-Arabi/Katar) und Pioli (zuletzt Lazio Rom) zu Vorstellungsgesprächen ins Mailänder Hotel Gallia geladen. Der mächtige Gründerzeitbau ist ein legendärer Ort, an dem in der Nachkriegszeit Italiens Fußballbosse Transfergeschäfte abwickelten.

Nun aber wurde das Gallia zur Kulisse eines Spektakels herabgewürdigt, das Fans und Medien als blamable Seifenoper empfanden: "Trist, unlogisch und paradox", titelte die Gazzetta dello Sport in Anspielung auf den Fußball-Roman "Traurig, einsam und endgültig" des Argentiniers Osvaldo Soriano. Auch ein Landsmann von Soriano war bei den Verhandlungen im Gallia anwesend: der zum Vizepräsidenten avancierte langjährige Kapitän Javier Zanetti. In Abwesenheit der Klubführung hält Zanetti in Mailand die Stellung, was seiner Popularität erheblich schadet. Die Spielerlegende als Marionette der Bosse im fernen Osten - in den Augen des Inter-Anhangs ist das ein bitterer Epilog einer bis dato makellosen Karriere.

Einen Trainer zu entlassen, ohne dass der Nachfolger bereitsteht, wäre schon dilettantisch genug. Den Neuen aber quasi öffentlich zu casten, das war ein demütigender Beweis der Ahnungslosigkeit und Arroganz. Demütigend für Inter, wo die neuen Herren sich offensichtlich keinen Deut um die Gepflogenheiten auf dem alten Kontinent scheren. In Europa mussten Fußballtrainer bislang nicht auf Hotelfluren Schlange stehen, wenn es um einen Job bei einem Traditionsklub ging, schon gar nicht für einen fliegenden Wechsel in der laufenden Saison. "Man kann einen italienischen Klub nicht aus Nanjing oder Jakarta führen", stichelte ein Vertreter des früheren Inter-Managements um Massimo Moratti. Eine wohlfeile Kritik angesichts der Tatsache, dass Moratti, Inter-Patron von 1995 bis 2013, den Klub höchstselbst an den Indonesier Thohir verkauft hatte.

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Drei Jahre ist das erst her, drei Jahre, in denen im Mailänder Fußball kein Stein auf dem anderen geblieben ist. Moratti, dessen Vater bereits Inter-Präsident gewesen war, gehörte als leidenschaftlich Fußball-verrückter, großzügiger italienischer Mäzen zum Establishment seines Landes. Thohir ist ein Geschäftsmann, den Europas Fußball nur als Renditequelle interessiert. Er investierte so gut wie nichts in den Klub und verdiente stattdessen an Krediten mit saftigen Zinsen. Suning-Chef Zhang Jondong, der im ostchinesischen Nanjing den Klub Jiangsu Suning besitzt, tickt ähnlich, will außerdem ein Schaufenster für seine Firma im Westen.

Das Familiensilber bleibt nicht mehr in der Familie

Was mit Inter geschieht, blüht auch dem AC Mailand. Drei Jahrzehnte lang befand sich Milan im Besitz des strammen Antikommunisten Silvio Berlusconi, jetzt verkauft Italiens Ex-Premier an die "Sino-Europe Sports", ein Unternehmen, über das man nichts Genaueres weiß, als dass es sich um einen Fonds mit Staatsbeteiligung handelt.

Die für die Monatsmitte angesetzte Übernahme verschiebt sich vermutlich etwas, weil das Geschäft von der Regierung in Peking genehmigt werden muss. "Und dort", berichtete ein Eingeweihter im italienischen Radio, "stehen die Kläger westlicher Firmen gerade Schlange." Was Italien betrifft, dürfte auf Milan die US Palermo folgen, deren Präsident sich auch schon in Verkaufsverhandlungen befindet. Beim AS Rom, wo US-Amerikaner den Mehrheitsanteil halten, könnte es bald einen Juniorpartner aus China geben.

Inter, Milan oder Palermo, das Bild ist überall ähnlich. Eine Generation italienischer Fußballpatriarchen verkauft das Familiensilber, weil ihre Kinder und Erben es nicht mehr wollen. Um einen Fußballklub zu führen, reicht es heutzutage nicht mehr, von Papà den Namen und das Klubheim zu erben und sich sonntags auf der Tribüne feiern zu lassen. Einzig Andrea Agnelli von Juventus Turin arbeitet erfolgreich daran, das Familienunternehmen weiterzuführen. Alle anderen verscherbeln gern, was ihre Väter jahrzehntelang als italienisches Kulturgut gepriesen haben - an Käufer aus Fußball-Entwicklungsländern. Und zeigen sich fortan noch nicht einmal mehr auf der VIP-Tribüne. Fußball ist für Italiens Jeunesse dorée von gestern.

China wird derweil zum Eldorado italienischer Fußballpensionäre. Stürmer Graziano Pellè spielt nach einem kurzen Gastauftritt in der Squadra Azzurra unter der Anleitung von Felix Magath beim Erstligisten Shandong Luneng für das fürstliche Gehalt von 15 Millionen Euro jährlich. Und Marcello Lippi, Italiens Weltmeistertrainer von 2006, gewann mit Guangzhou Evergrande bis 2014 drei Meistertitel und die asiatische Champions League. Jetzt holte ihn Guangzhou als "Berater" für das Rekordsalär von 15 Millionen Euro jährlich. Im Hauptjob ist Lippi Chinas neuer Nationaltrainer, dort verdient er "nur" 4,5 Millionen.

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Da liegt die Vermutung nahe, dass es sich bei dem Beratervertrag um jenes Bonbon handeln könnte, das dem 68-Jährigen Lippi die harte Arbeit fern der heimischen Toskana versüßen soll. Der ehemalige Sozialist erzählt gern, wie er zum Grab seines Vaters pilgerte, als Juventus ihn einst als Trainer anheuerte. Juve galt damals als Klub der Herren Italiens, die Agnelli galten als Großkapitalisten, und Lippi suchte in stummer Zwiesprache mit seinem verstorbenen Vater Absolution für den Seitenwechsel.

Jetzt ist er Angestellter einer sozialistischen Weltmacht. Und da schließt sich wohl der Kreis.

© SZ vom 09.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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