Alarmstufe Rot im Fußball-Weltverband: Das hauseigene Ethikkomitee muss ein Verfahren gegen Präsident Gianni Infantino und andere Würdenträger eröffnen. Die Fifa soll über Jahre hinweg das famose Freistoß-Spray für ihre Schiedsrichter ohne die Genehmigung der Patenthalter verwendet haben, und sogar gegen entsprechende Gerichtsentscheide. Dieses Urteil erging vor Wochen in Brasilien, der Oberste Gerichtshof des Bundesstaates Rio de Janeiro verdonnerte die Fifa zu einer mutmaßlich millionenschweren Entschädigungszahlung: wegen fortgesetzter Patentverletzung in "unredlicher Absicht".
Das Spray-Urteil wirkt wetterfest, es kann nicht mehr durch Beweisverfahren geändert, sondern allenfalls per Revision erschüttert werden. Und sollte das mit der Festlegung der Schadenssumme befasste Gericht dem Antrag der Kläger folgen und alle Spiele seit der WM 2014 in Brasilien addieren, als die Entwickler ihr Spray erstmals und arglos zu Testzwecken der Fifa bereitgestellt hatten, droht eine hohe zweistellige Millionenstrafe. Oder mehr.
Die Schaum-Affäre kann also verdammt teuer werden. Die Hersteller, der Brasilianer Heine Allemagne und der Argentinier Pablo Silva, wollen sich nun an die Justiz in rund 50 Ländern wenden, in denen sie ihr Produkt patentrechtlich schützen ließen. Auch in Deutschland. Geld für hartgesottene Anwälte ist bald vorhanden - dabei hat es die bisher nicht mal gebraucht.
Normalerweise muss sich Infantino bei den Ethikern nicht groß sorgen, weil die als eine Art Schutztruppe für ihn fungieren
Ihre Entschlossenheit dokumentieren die jahrelang als Schaumschläger belächelten Unternehmer nun mit ihrer Klage beim Fifa-Ethikkomitee. Der Weltverband hat das Spray bei der WM 2018 in Russland eingesetzt, obwohl das gerichtlich verboten gewesen sei. Überdies habe die Fifa fast allen Verbänden erlaubt, ihre Turniere mit "Piraten-Aerosolen" - sprich: unpatentiert - auszutragen.
Das könnte unangenehm werden für Infantino und Co., sobald heftige Sanktionen verhängt werden. Aber echte Sorgen muss sich Infantino nicht machen. Das einst unabhängige Ethikkomitee hat er bald nach Amtsantritt 2016 so umgebastelt, dass es seither als eine Art persönliche Schutztruppe fungiert, wann immer es um Fehltritte des Chefs geht. Die Verfahrenseröffnung ist leider unvermeidlich, weil halt ein Urteil gegen die Fifa-Spitze vorliegt. Eine erste Klage der Freistoß-Sprayer hatten Infantinos Hobby-Ethiker schon 2019 vorliegen, damals fegten sie die noch flott vom Tisch: Es laufe ja noch ein Prozess zum Fall.
Nicht vorstellbar, dass sich die von der Fifa gut bezahlten Ethiker zu Sanktionen gegen ihren faktischen Chef Infantino durchringen werden. Und was mögliche Imageschäden betrifft: Die hat der Kreis um eine Verwaltungsjuristin aus Kolumbien und einen griechischen Richter nie gescheut. Mal wird ein Kronzeuge für tot erklärt, mal eine glatte Lüge für akzeptabel. Insofern machen die Sprayer vielleicht einen taktischen Fehler: Allein gegen Infantinos Ethiker - das können sie nur verlieren. Cleverer wäre, Urteile in großen Sportnationen abzuwarten. Sollte der Fußball in Deutschland oder England Millionen zahlen müssen, wird er gerne gegen den König der Piraten in Zürich klagen. Und dessen Ethiker-Panel beim nächsten Kongress zum Teufel jagen.