Fußball:Es läuft beim Dorfklub Lotte

Lesezeit: 3 min

Siegertrio: die Lotte-Spieler Freiberger, Nauber und Langlitz (von links). (Foto: Guido Kirchner/AFP)

Der kleine Verein aus Westfalen hat Werder Bremen aus dem Pokal geworfen. Nach jahrelangen Strapazen klappt auf einmal ziemlich viel in Lotte.

Von Martin Schneider

Eine der letzten offiziellen Mitteilungen der Gemeinde Lotte in Westfalen vor dem Pokalsieg gegen Werder Bremen betraf den Heckenrückschnitt: "Um eine gefahrlose Benutzung von Geh- und Radwegen zu ermöglichen, weist die Gemeindeverwaltung darauf hin, dass Bäume, Hecken und Sträucher von den Grundstückseigentümern regelmäßig beschnitten werden müssen", stand auf dem Gemeindeportal, was insofern für den Fußball relevant war, als der Klub Sportfreunde Lotte den Leuten dringend riet, zur ersten Runde des DFB-Pokals mit dem Fahrrad anzureisen.

Dank der neuen Tribüne passen nun mehr als 10 000 Zuschauer ins Stadion der Gemeinde, die nur 13 500 Einwohner hat - niemand wusste, wohin mit den ganzen Autos. Am Ende hat aber alles geklappt. Meldungen von Radfahrern, die an einer überstehenden Hecke scheiterten, gibt es nicht.

Überhaupt klappt auf einmal ziemlich viel in Lotte. Das 2:1 gegen Werder Bremen war zum Beispiel kein typischer Außenseiter-Sieg. Lottes Sechser Tim Wendel sagte nach dem Spiel: "Am Ende hätte es auch 6:2 für uns stehen können." Das war ein bisschen übertrieben, aber neben mehr Toren - 1:0 durch Matthias Rahn (8. Minute), 1:1 durch Zlatko Junuzovic (45.), 2:1 durch Andre Dej (54.) - hatte Lotte auch deutlich mehr Torannäherungen als der Bundesligist aus Bremen (22:13 Torschüsse).

Der verletzte Max Kruse fehlt Werder nicht nur beim Ligastart

Es läuft also in Lotte. Seit ein paar Wochen ist der Klub so etwas wie der König Sisyphos, dem es gelang, den Stein den Berg hochzurollen. Lotte hatte vor drei Monaten in der Relegation zur dritten Liga Waldhof Mannheim überwunden und es damit endlich aus der Regionalliga West heraus geschafft - was der Klub jahrelang versucht hatte, dabei jedoch auf verschiedene Arten stets im letzten Moment gescheitert war.

Vor der Ligareform 2012 wurde Lotte zum Beispiel Zweiter und verpasste damit die direkte Qualifikation für die dritte Liga. Allerdings holte Borussia Dortmund II, der Tabellenerste, die entscheidenden Punkte am letzten Spieltag gegen Rot-Weiß Essen. Später wurde bekannt, dass viele Essener Spieler in diesem Spiel gegen die eigene Mannschaft gewettet haben. Lottes Einspruch wurde abgelehnt.

Ein Jahr später gewann Lotte die Liga, bekam in der neu eingeführten Regionalliga-Relegation (auch der Meister stieg nicht mehr direkt auf) aber RB Leipzig zugelost. Lotte zwang den Favoriten im Rückspiel in die Verlängerung, aber es reichte nicht. In der Saison darauf verlor Lotte nur drei Spiele, trotzdem war Fortuna Köln noch besser, und der Zweite hatte keine Aufstiegschance.

Der Mann hinter dem Erfolg des Dorf-Klubs heißt Manfred Wilke. Er ist das, was man gemeinhin einen "Macher" nennt. Manchmal gibt er als Mäzen selber Geld, meist organisiert er Sponsoren. Auf der Internetseite führt der Verein 55 Partner, vom internationalen Unternehmen - von denen es in der Region einige gibt - bis zum örtlichen Dachdecker ist alles dabei. Und Lotte ist nun auch Teil einer speziellen Bremer Sammlung, die da heißt: unterklassige Vereine, an denen der SV Werder in der ersten Pokal-Runde scheiterte.

In den vergangenen zehn Jahren waren dies Pirmasens (2006), Heidenheim (2012, damals noch dritte Liga), Münster (2013), Saarbrücken (2014) - und jetzt eben Lotte: "Alle müssen sich kritisch hinterfragen. Da darf sich keiner rausnehmen", schimpfte Kapitän Clemens Fritz. Sport-Geschäftsführer Frank Baumann sagte: "Besonders enttäuschend war, dass wir uns hier auch noch als schlechte Verlierer gezeigt haben." Stürmer Fin Bartels holte sich kurz vor Schluss eine rote Karte ab, weil er seinen Gegenspieler umschubste.

DFB-Pokal
:"Seid ihr denn des Wahnsinns?"

Beim Pokalspiel in Magdeburg sorgen die berüchtigten Ultras von Eintracht Frankfurt für Zwischenfälle. Wieder einmal finden die Funktionäre danach keine klaren Worte.

Von Johannes Aumüller und Javier Cáceres

Bartels wurde vom DFB-Sportgericht für zwei Pokalspiele gesperrt, abzuleisten bis zum Ende der Saison 2018/19.

Trainer Viktor Skripnik wählte die lakonische Analyse-Variante: "Letztes Jahr sind wir überraschend ins Halbfinale eingezogen, dieses Jahr überraschend in der ersten Runde ausgeschieden, so ist Fußball."

Erschwerend hinzu kommt: Nationalstürmer Max Kruse, auf dessen Verpflichtung die Bremer so stolz sind, wird mit einer Außenbandverletzung im Knie "voraussichtlich länger" ausfallen, wie der Verein am Montag mitteilte. Claudio Pizarro (Faserriss) ist auch noch nicht fit, Anthony Ujah wurde nach China transferiert, womit an fitten Stürmern nur noch Lennart Thy übrig bliebe. Am anderen Ende des Spielfeldes, in der Abwehr, muss Werder ebenfalls kräftig würfeln. Jannik Vestergaard, Papy Djilobodji und Alejandro Galvez, drei Stammkräfte, haben den Verein verlassen. In Lamine Sané, Niklas Moisander und Fallou Diagne sind drei neue gekommen.

Kaum mehr Stürmer, neue Abwehr, verdiente Niederlage gegen Lotte im Hinterkopf: Mit diesen Hypotheken fährt Bremen an diesem Freitag zum Bundesliga-Start beim FC Bayern.

© SZ vom 23.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Pizarro beim FC Bayern
:Monaco Franze aus den Anden

Claudio Pizarro schoss so viele Bundesliga-Tore wie kein Ausländer vor ihm - jetzt soll der Peruaner mit 36 Jahren den FC Bayern verlassen. Über einen Fußballer, dem ein ganzer Wasserfall an Tränen nachgeweint werden wird.

Von Jonas Beckenkamp

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: