Fußball-EM:Jérôme Boateng - der Problemlöser kann spielen

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Kann gegen die Slowakei auflaufen: Innenverteidiger Jérôme Boateng. (Foto: AP)
  • Abwehrchef Jérôme Boateng ist vor dem Spiel gegen die Slowakei wieder genesen.
  • Bundestrainer Löw weiß: Kaum einen anderen Spieler braucht er so sehr wie ihn.
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Von Christof Kneer, Évian

Ein Sprintduell gegen den unschlagbaren Dr. Müller-Wohlfahrt hat sich Jérôme Boateng wahrscheinlich dann doch nicht zugetraut, aber immerhin ließ er seine Sprints am Samstagmorgen von ihm beaufsichtigen. Soweit man das mit verfolgen konnte und durfte, ist alles gut gegangen: Boateng humpelte nicht, er fasste sich nirgendwo hin und nahm anschließend auch am offiziellen Abschlusstraining der Teamkollegen teil.

Nach Lille, wo die deutsche Elf am Sonntag die Slowakei zum Achtelfinale trifft, ist Boateng dann sowieso mitgeflogen, er gilt nach herkömmlicher Lesart als fit. Für den Bundestrainer stellte sich am Samstag also die Frage: Soll er seinen Abwehrchef von Beginn an spielen lassen, weil in der K.o.-Phase theoretisch jedes Spiel das letzte sein könnte? Oder gönnt er ihm lieber noch ein paar Tage Pause, weil die Slowakei - bei allem Respekt - nur der Gegner ist, der halt vor dem Viertelfinale gegen Spanien oder Italien kommt?

Alle Experten, inklusive des Bundestrainers, gehen davon aus, dass Löw sich für die erste Variante entscheiden wird. "Im Grunde genommen" habe die Wade gehalten, erklärte Löw am Samstagnachmittag, Boateng habe im Training "keine Probleme" gehabt und "alles absolviert. Er wird morgen spielen". Löw weiß ja, dass er kaum einen Spieler so sehr braucht wie seinen Abwehrchef. Löw braucht Boateng, und das nicht nur, weil ein Weltklasseverteidiger, der fast so schnell wie Müller-Wohlfahrt sprinten kann, sowieso immer ganz nützlich ist.

Nun spricht auch viel für den Einsatz von Joshua Kimmich

Boateng ist inzwischen so gut und so wichtig geworden, dass er die Statik einer ganzen Mannschaft beeinflussen kann. Spielt Boateng, kann sich Löw zum Beispiel locker wieder diesen jungen Joshua Kimmich leisten, der auf der rechten Abwehrseite ruhig seine frechen Sachen machen kann, wenn er von einem wie Boateng beschützt wird. Ob man Kimmich auch bringen könnte, wenn Boateng nicht spielen würde? Bei der Beantwortung solcher Fragen merkt Löw, wie viel inzwischen von Boateng abhängt. Würde er fehlen und Kimmich nicht spielen, müssten wohl rechts Benedikt Höwedes und innen Shkodran Mustafi verteidigen, und rechnet man den sehr soliden, aber nicht richtig hochklassigen Jonas Hector mit, dann bliebe in der gesamten Viererkette nur noch ein Spieler übrig, der erweiterte Weltklasse verkörpert (Mats Hummels).

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Es ist also, alles in allem, besser, dass Boateng schon gegen die Slowakei wieder spielt. Allerdings wäre es noch besser, er würde dann auch im Viertelfinale spielen können und - vielleicht - im Halbfinale und Finale.

Wer die vergleichsweise mühsame Qualifikation der Deutschen verfolgt hat, hätte das wahrscheinlich auch nicht gedacht: dass es ausgerechnet die Defensive sein würde, die beim Turnier alle Hoffnungen trägt. In der Qualifikation haben die Deutschen neun Tore kassiert, das ist nicht viel, aber doch deutlich mehr als andere, zum Teil deutlich weniger renommierte Nationen.

Die Rumänen etwa haben in zehn Spielen nur zwei Tore einstecken müssen, Spanier und Engländer wurden nur dreimal, Wales viermal überwunden. Die Geschichte der deutschen Qualifikation ging ja in etwa so: Vorne haben all die Hochbegabten viele Chancen verschleudert, verschlampert und verprasst, und hinten hat die Defensive immer wieder mal die gegnerischen Konter durchrauschen sehen.

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Pünktlich zu Turnierbeginn hat sich nun aber wieder jener autoritäre Block zusammengefunden, der es Löws Mannschaft erlaubt, sich allmählich ins Turnier hineinzuspielen. Weil Torwart Manuel Neuer und seine Vorderleute Boateng und Hummels hinten wieder so erbarmungslos verteidigen, kann Löws Mannschaft vorne mit einiger Ruhe ihre Probleme lösen.

Im ersten Spiel gegen die Ukraine haben die Mannschaftsteile noch nicht wirklich ineinander gegriffen, beim zweiten Spiel gegen Polen blieb die Offensive merkwürdig spannungslos und beim dritten Spiel gegen Nordirland vergaben die Stürmer Chancen für sieben bis neun Spiele - aber nichts davon war wirklich schlimm, Auswirkungen aufs Torverhältnis hatte es nur vorne. Hinten blieb die Null.

"Wir haben bisher unsere Pflicht erfüllt, wir sind vollkommen im Soll", hat Manuel Neuer vor dem Achtelfinale gesagt. Es werde "jetzt auf die K.o.-Phase ankommen", sagte er noch und fügte sicherheitshalber an, "ein klarer Sieg" würde eine "Initialzündung" sein. Man kann das ruhig als Auftrag an die Jungs da vorne verstehen, aber im Subtext schwang natürlich folgende beruhigende Botschaft mit: Keine Sorge, ihr Jungs da vorne. Wir Jungs da hinten machen das schon.

© SZ vom 26.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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