Deutschland bei der Fußball-EM:Thomas Müller ist vom Null-Tore-Virus befallen

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Irgendwie nicht ganz bei sich: Thomas Müller (Foto: Getty Images)

Auch im EM-Halbfinale bleibt Thomas Müller glücklos - seine Misere steckt sogar die gesamte Mannschaft an.

Von Thomas Hummel, Marseille

Thomas Müller war zuletzt behandelt worden wie ein Patient. Jedes Mitglied der deutschen Delegation, das ein Mikrofon vor der Nase hatte, musste die gleiche Frage beantworten: Machen Sie sich Sorgen um Thomas Müller? Schließlich hatte der noch kein Tor geschossen, wo er doch sonst zumindest bei Weltmeisterschaften die Mannschaft gleich in die richtige Richtung gestochert hatte. Die Antwort war immer die gleiche: Nein, natürlich nicht. Bundestrainer Joachim Löw führte aus: "Von solchen Dingen lässt er sich nicht runterziehen. Beim Thomas hab ich das Gefühl, wenn es eins wirklich braucht, dann macht er ihn."

Nun, an diesem Donnerstagabend im Stade Vélodrome, hätte es wirklich eins gebraucht. Wirklich und dringend. Am Ende sogar zwei. Doch diese Europameisterschaft war nicht die des Torjägers Thomas Müller. Da kein Miroslav Klose mehr da war und gegen Frankreich auch kein Mario Gomez mehr, fehlte es der Nationalmannschaft an der entscheidenden Zutat. Trotz teilweise großer Überlegenheit im Mittelfeld gegen sehr defensive Franzosen wollte vorne einfach der Ball nicht ins Tor. Thomas Müller hatte seinen Instinkt verloren, und die Mannschaft gleich mit.

Müller hat ja das Glück, dass ihm zu jeder Lebenslage der passende Spruch einfällt. Wobei Spruch das falsche Wort ist, in den vergangenen Wochen wurde selbst der Spaßvogel vom Ammersee zunehmend nachdenklich. Schließlich wollte es einfach nicht mehr klappen mit dem Toreschießen. Dabei betonte er immer und immer, dass der Erfolg der Mannschaft wichtiger sei als sein persönlicher. Tore seien nicht sein erster Antrieb beim Fußballspielen, sondern "der Speziallack, der nach außen gut aussieht".

Seine Misere beginnt gegen Atlético Madrid

Um im Bild zu bleiben: Die Nationalmannschaft hoffte inständig, dass Thomas Müller leuchten und glänzen möge nach dem Halbfinale. In allen Farben.

Die Misere hatte begonnen im April, als er gegen Atlético Madrid den Elfmeter nicht versenkt und das Ausscheiden des FC Bayern in der Champions League eingeleitet hatte. Es war so etwas wie der erste schwarze Fleck auf seiner Fußballerkarriere. Den Geschmack des Fehlschusses brachte er wie einen unangenehmen Virus mit nach Frankreich. Mit dem Höhepunkt gegen Italien, als sich ein Gegenspieler die Hüfte ausrenkte und mit der Hacke seinen Schuss klärte. Dann vergab Müller noch den Elfmeter. "Ein Tor würde mir Ruhe geben", sagte er vor dem Halbfinale.

Nach der Verletzung von Gomez schickte ihn Löw wie erwartet ganz nach vorne in den Angriff. Das war natürlich auf dem Papier nicht ganz ideal, der Null-Tore-Mann alleine im Sturm. Doch was blieb dem Bundestrainer anderes übrig? In Mario Götze hatte er offenbar das Vertrauen verloren, und der Müller, dem würde schon was einfallen.

Der 26-Jährige versuchte vor dem Spiel merklich, sich ein gutes Gefühl zu holen mit freien Kopfbällen und Schüssen. Doch von sieben Versuchen ganz alleine vor dem Torwart landete nur einer ins Netz. Die meisten flogen weit übers Tor. Schon da hing der Kopf bedenklich tief. Es wurde nicht besser. Erster Torschuss, Müller rutschte aus, der Ball strich drei Meter am Tor vorbei. Zweiter Torschuss, diesmal aus 30 Metern. Man wusste gar nicht, dass er mit seinen dünnen Haxen so weit kommt, Torhüter Hugo Lloris hielt sicher.

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Selbst bei seiner Spezialität, dem geistesgegenwärtigen Gestochere im Fünfmeterraum kam er deutlich zu spät und traf das Bein von Gegenspieler Samuel Umtiti. Seine mit Abstand beste Szene vor der Pause hatte Müller, als er den wütenden Emre Can nach dessen gelber Karte lautstark vor Schlimmerem bewahrte. Das Reden hatte er immerhin nicht verlernt.

Vom Auftrag eines Speziallacks war Thomas Müller weit entfernt. Im Gegenteil. Er wirkte grau und farblos - vor allem, wenn es Richtung gegnerischen Straftraum ging. Hätte ihn Bundestrainer Löw in der Halbzeit ausgewechselt, niemand hätte sich später beschwert. Doch nun stand es 0:1. Löw blieb nichts anderes übrig, als Götze zusätzlich zu bringen. Dann auch Leroy Sané. Doch Müllers Virus steckte an. Während auf der anderen Seite Antoine Griezmann zeigte, wie man europameisterlich stochert, schaffte das Müller-Land kein Tor mehr.

© SZ vom 08.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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