Fußball:Die Angst in der Süper Lig kickt mit

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Mario Gomez ist der erste prominente Fußballer, der nach dem Putschversuch seinen türkischen Verein verlässt. Ein anderer Nationalspieler ringt noch mit sich.

Von Matthias Schmid

Leogang ist nicht nur geografisch ziemlich weit weg von Istanbul. Die kleine Alpen-Gemeinde im Pinzgau bietet in diesen Tagen auch sonst den größtmöglichen Kontrast zur türkischen Metropole am Bosporus, die nach dem gescheiterten Putschversuch gegen Präsident Recep Tayyip Erdoğan dramatische und aufwühlende Tage erlebt. In der Nacht zum Samstag sind bei dem Aufstand von Teilen des Militärs im ganzen Land 300 Menschen ums Leben gekommen. Am Mittwochabend verkündete Erdoğan nun einen dreimonatigen Ausnahmezustand. Er kann jetzt weitgehend per Dekret regieren, Grundrechte wie Versammlungs- und Pressefreiheit können ausgesetzt oder eingeschränkt werden.

In Leogang ist die einzige Einschränkung, dass die Touristen nach 22 Uhr keine warme Mahlzeit mehr bekommen. Andreas Beck kann damit gut leben, der ehemalige deutsche Fußball-Nationalspieler bereitet sich gerade mit dem türkischen Erstligisten Beşiktaş Istanbul im fernen und idyllischen Österreich auf die neue Spielzeit vor. Ob er angesichts der Geschehnisse in der Türkei weiter für den türkischen Meister auflaufen wird, weiß der 29-Jährige selber nicht. Beck möchte sich über die politische Situation in der Türkei im Moment nicht äußern.

Der Schwabe ist damit nicht allein, die Ereignisse überfordern die meisten Menschen in diesen Tagen, auch Lukas Podolski, der bei Galatasaray beschäftigt ist, erwägt schon seit Längerem, das Land zu verlassen. Als erster prominenter Gastarbeiter hat Nationalspieler Mario Gomez nun auf seiner Facebook-Seite mitgeteilt, dass er zu Beşiktaş nicht mehr zurückkehren wird. "Der Grund dafür ist ausschließlich die politische Situation. Weder sportliche noch andere Gründe haben mich dazu bewegt. Einzig und allein die schrecklichen Geschehnisse der letzten Tage. Ich hoffe, dass diese politischen Probleme bald friedlich gelöst werden", schrieb Gomez in dem sozialen Netzwerk.

Dass seine Gründe nur vorgeschoben sind, um bei einem Verein in England oder Spanien deutlich mehr zu verdienen und in einem größeren Blickfeld stehen zu können, glaubt niemand von denen, die Gomez näher kennen. Auch die Anschläge in diesem Jahr seien ihm nahe gegangen, erzählen sie. Die Tragik ist auch seinen Worten zu entnehmen: "Schweren Herzens will ich Euch Beşiktaş-Fans persönlich mitteilen, dass ich in der kommenden Saison nicht mehr für diesen großartigen Klub, vor diesen wundervollen Anhängern und in diesem einzigartigen Stadion spielen werde", teilte der 31-Jährige weiter mit, der von einer "schwierigen Entscheidung" sprach.

Ganz abgeschlossen hat er mit der erfolgreichen Zeit in Istanbul selbst noch nicht, die seiner Karriere wieder so viel Schwung gegeben hat, dass er sogar zum Nationalspieler und EM-Teilnehmer aufstieg. Er verbindet mit Beşiktaş viele schöne Momente, er hat mit 26 Saisontoren maßgeblich zur Meisterschaft beigetragen. "Ich hoffe, dass für die politischen Probleme bald friedliche Lösungen gefunden werden. Dann wäre es mein großer Wunsch, wieder für Beşiktaş zu spielen."

Andreas Beck, der Gomez schon seit gemeinsamen Jugendtagen beim VfB Stuttgart kennt, will zunächst noch abwarten, wie sich der Ausnahmezustand auf das tägliche Leben auswirken wird. Andere Mitspieler wie der ehemalige Bayern-Profi José Sosa wollen dagegen wie Gomez nicht mehr in die Süper Lig zurückkehren. "Meine Ehefrau hat Angst, in Istanbul zu leben. Ich habe auch Angst um meine Töchter", bekennt der Argentinier. Beşiktaş hat aber schon angekündigt, Spieler mit gültigen Verträgen im Hinblick auf eine wettbewerbsfähige Mannschaft vor allem in der Champions League nicht gehen zu lassen, weil sie wissen, dass sie angesichts der Bedrohungslage kaum Spieler von einem Wechsel nach Istanbul überzeugen können - auch nicht mit viel Geld.

Mit der Terrorangst mussten die ausländischen Gastarbeiter ja schon in den vergangenen Monaten umgehen können. Beck hat in dieser Zeit auch gelernt, dass die Fans von Beşiktaş politisch nicht weiter von Präsident Erdoğan entfernt sein könnten. Die Ultra-Gruppe Çarşı (türkisch für Basar) war bei den Protesten im Gezi-Park vor drei Jahren sogar in den vordersten Reihen mit ihren weiß-schwarzen Klubschals dabei. Viele Beşiktaş-Anhänger behaupteten damals, dass es bei Gezi nicht nur um ein paar Bäume ging, es sei ein Aufstand des türkischen Volkes gewesen.

Zwei Beşiktaş-Ultras müssen ins Gefängnis

Die Fußballfans von Çarşı waren dabei so etwas wie das Bindemittel bei den Protesten: Sie brachten Menschenmassen zu den Protesten und waren - ähnlich wie die Ultras in Ägypten - die einzige Gruppe, die Erfahrung im Kampf mit der Polizei hatte. In der Türkei sahen viele Gezi-Anhänger die Ultras als "Retter der Revolution". Aber die Ultras hatten nicht nur Anhänger, im Gegenteil: Für ihr Einschreiten für Rechtsstaatlichkeit standen 35 Çarşı-Unterstützer vor Gericht. Die Anklage lautete unter anderem auf Putschversuch. Die meisten von ihnen wurden freigesprochen, zwei müssen aber ins Gefängnis - für jeweils zweieinhalb Jahre.

In Leogang hängen einzelne weiß-schwarze Beşiktaş-Schals über den Balkonen der Hotels und Pensionen. Die türkischen Touristen genießen wie die Spieler von Beşiktaş die Ruhe und Abgeschiedenheit in den österreichischen Bergen.

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