Führungskrise bei 1860 München:Erpressung in Giesing

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Sind die Tage von Dieter Schneider beim TSV 1860 München gezählt? Investor Hasan Ismaik drängt auf Rücktritt des Präsidenten - bislang jedoch erfolglos. Der Aufsichtsrat soll Schneider zum Rücktritt bewegen. Andernfalls, so die Drohkulisse, werde dem Zweitligisten der Geldhahn zugedreht.

Andreas Burkert und Markus Schäflein

Die Situation war gespenstisch. Sie saßen nur ein paar Meter auseinander, auf derselben Etage der Geschäftsstelle des Fußball-Zweitligisten TSV 1860 München in München-Giesing: Während Präsident Dieter Schneider bei einer Vereinsratssitzung weilte, traf sich ein paar Türen weiter der Aufsichtsrat des Klubs. Ausgerechnet in Schneiders Büro, dem Präsidentenzimmer, debattierte das Gremium sieben Stunden lang über die Zukunft des Kluboberhaupts.

Keine Freunde mehr: Präsident Dieter Schneider (links) und Investor Hasan Abdullah Ismaik. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Neben Aufsichtsratschef Otto Steiner und den acht weiteren Mitgliedern war ein Außenstehender dabei, der in dem Gremium eigentlich nichts zu suchen hat - Hamada Iraki, Münchner Statthalter des arabischen Investors Hasan Ismaik, teilte dem Vernehmen nach seine Forderung mit: Der Aufsichtsrat des e.V. solle den Präsidenten zum Rücktritt bewegen. Andernfalls, so die Drohkulisse, werde der Geldhahn zugedreht.

Acht Monate nach dem ersten Einstieg eines arabischen Investors im deutschen Fußball, bundesweit als Modellversuch beäugt, kommt es nach andauernden Querelen schon zum Showdown. Ismaik, der für 18,4 Millionen Euro 49 Prozent der stimmberechtigten Anteile an der Profifußball-KGaA gekauft hat, als der Traditionsklub mal wieder vor der Insolvenz stand, mischt sich über den resoluten Unterhändler Iraki in die Angelegenheiten des anderen Gesellschafters ein - des TSV 1860 e.V., der gemäß den Statuten der Deutschen Fußball-Liga (DFL) noch 51 Prozent der stimmberechtigten Anteile an der 1860-KGaA hält.

Nun soll Schneider das Feld räumen - derjenige, der im Frühjahr 2011 das Aus des deutschen Meisters von 1966 in monatelangen Verhandlungen mit Banken und anderen Gläubigern, darunter der Arena-Vermieter FC Bayern, erst verhindert hatte - ehe plötzlich der in Abu Dhabi stationierte Investor als Retter erschien.

Schneider, 64, hatte zuletzt versucht, die Interessen des Klubs zu wahren, etwa als es um den Verkauf der Fanartikel GmbH an Ismaik und um Darlehen des Investors an die KGaA ging. Als sich zuletzt die beiden Gesellschafter nach zähem Ringen erneut geeinigt hatten, wie eine 2,3-Millionen-Euro-Lücke zu füllen war, verkündete die KGaA in einer Mitteilung: "Löwen gehen einig in die Zukunft." Der Investor stellte gar Geld für sofortige Zugänge in Aussicht. Das ist nicht einmal zwei Wochen her.

Umso mehr erstaunt es, dass der Investor Schneider nun erneut attackiert. "Es gibt aus meiner Sicht keinen Grund, es gab zuletzt auch keine bösartigen Verhandlungen", findet Schneider. "Der einzige Grund ist, dass die Investorenseite mich weg haben will." Schneider, selbst Sanierer von Mittelstandsunternehmen, ist der Einzige, der dem Investor noch die Stirn bietet in dessen Bestreben nach kompletter Machtübernahme. Ein anderer Vorwurf als jener, dass er im Sinne des Vereins ein ebenbürtig sturer Unterhändler ist, ist bisher nicht bekannt. Zuletzt hatte Geschäftsführer Robert Schäfer ihn dafür scharf kritisiert. Der 35-Jährige gilt längst als Erfüllungsgehilfe des Geldgebers.

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All das könnte die DFL interessieren, die mit der 50+1-Regel eine maßgebliche Einflussnahme des Investors verbietet. Sie sieht aber die Klubvertreter und deren Standhaftigkeit gefordert. "Für uns gibt es keine neue Entwicklung", sagte ein DFL-Sprecher. "Der e.V. besitzt die Möglichkeit zur Durchsetzung seiner Rechte. Die Frage ist, ob und inwieweit diese Möglichkeiten vom e.V. genutzt werden." Zumal auch der Investor angesichts seines bisherigen Engagements von fast 23 Millionen Euro kaum den K.o. des TSV 1860 riskieren dürfte.

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Doch dem Aufsichtsratschef Steiner werden selbst Ambitionen aufs Präsidentenamt nachgesagt. Er hat das dementiert. Ein Ergebnis brachte die stundenlange Sitzung seines Gremiums in der Nacht zum Mittwoch nicht. Schneider wurde kurz hinzugezogen, man war sich zufällig über den Weg gelaufen. "Es ist ganz bewusst nicht zu einer Abstimmung gekommen", sagt Steiner nun, "eine Entscheidung mit solcher Tragweite werden wir nicht unter Zeitdruck treffen." Man hoffe, "dass sich beide Seiten noch mal konstruktiv zusammensetzen". Dem Vernehmen nach soll ein Treffen kurzfristig stattfinden. Am Samstag kommt Ismaik eingeflogen. Er möchte die Dinge bis dahin in seinem Sinne geregelt haben.

Schneiders erzwungener Rücktritt könnte nur aufgeschoben sein.

Derweil hat der Investor den Druck erhöht. Via Abendzeitung ließ er unter dem Motto "Stars - oder Schneider" drei neue Spieler präsentieren, die quasi nur als Belohnung für den Fall eines Abschieds von Schneider kämen: Vladimir Koman, 22, von Sampdoria Genua ("Supertalent") Grzegorz Wojtkowiak, 27, aus Posen und Georgios Tzavellas, 24, bei Eintracht Frankfurt nicht mehr gefragt. Der Eindruck ist: 1860 soll erpresst werden. "Da hält man den Fans einen Köder vor die Nase", findet auch Aufsichtsrat Otto Steiner, "das trägt nicht zur Entspannung bei."

Auch den sportlich Verantwortlichen, Manager Hinterberger und Trainer Maurer, dürfte der Bericht über angebliche "Stars" missfallen. Denn ihre wochenlangen Verhandlungen werden durch die Veröffentlichung gefährdet. Immer fraglicher wird sowieso, ob sportlicher Erfolg bei den Überlegungen des Investors an erster Stelle steht - langfristig ist das Vertragswerk darauf ausgerichtet, dass er an Transfererlösen partizipiert. Iraki beantwortet dazu keine Anfragen mehr.

Es erstaunt auch, dass der Aufsichtsrat überhaupt über Schneiders Amt debattierte: Die Amtsenthebung kann er nur empfehlen - beschließen müsste sie das höchste Gremium, die Delegiertenversammlung. Nur ein Rücktritt auf Druck des Aufsichtsrats wäre ein formal gangbarer Weg. Noch wirkt zumindest der Präsident standhaft. "Ich habe mich natürlich einer kritischen Selbstüberprüfung unterzogen, sicher war nicht alles perfekt", sagt Schneider. "Aber generell haben wir es im Verein sicher nicht schlecht gemacht in dieser schweren Zeit." Es ist offen, ob ihn das im Amt hält.

© SZ vom 26.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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