Natürlich war Philipp Kohlschreiber enttäuscht, man bereitet sich ja nicht eine halbe Woche lang vor, um dann in 1:51 Stunden gebeutelt zu verlieren. "Seine Aufschläge waren sehr dominant. Ich war vom Level noch nicht so weit, um Nick in Bedrängnis zu bringen", bekannte Kohlschreiber, der am Dienstag im Auftaktmatch vom Australier Nick Kyrgios 3:6, 6:7 (4), 3:6 rasiert worden war. "Die letzten drei Wochen waren sehr unbefriedigend", sagte der viele Jahre beste Deutsche, inzwischen auf Rang 43 der Weltrangliste abgerutscht; er bezog sich auf seine Erstrundenniederlagen in Barcelona und Madrid, in Rom passte er wegen einer Fußverletzung.
Aber Kohli, so sein Spitzname, wäre nicht Kohli, hätte er zumindest nicht einen Stimmungsaufheller parat: "Die letzten Tage waren optimal", betonte er fröhlich und meinte: seine Trainingssessions mit Rafael Nadal, dem neunmaligen Champion in Paris, und mit dem Österreicher Dominic Thiem, im vergangenen Jahr im Halbfinale von Roland Garros.
Die schlechteste Statistik seit neun Jahren
Dass Kohlschreiber nicht völlig von der Pleite gegen den Weltranglisten-18. Kyrgios überrascht war, belegte die Tatsache, dass er vorab um eine Wildcard für ein Challenger-Turnier in Proßnitz, Tschechien, angefragt hatte, auf Sand. Um die Zeit bis zum Rasenturnier in Stuttgart (ab 12. Juni) zu überbrücken. Die Crux nur: Entweder sammelt er Matchpraxis, was zu Lasten der Vorbereitung auf Gras geht. Oder das Warten auf Stuttgart wird eine zähe Sache, "ich will ja nicht nur rumhängen", sagte Kohlschreiber. Seine Schlussfolgerung: "Irgendeinen Tod muss ich sterben."
Das war quasi das Bonmot zur Lage des deutschen Tennis. Kohlschreiber ist nicht der Einzige, der nun in einer Zwickmühle der Zwangspause steckt. "Wenn ich das höre, ist das für das deutsche Tennis nicht so der Knaller", sagte Carina Witthöft, als sie am Montagabend erfuhr, dass sie bisher die einzige siegreiche Deutsche war. Zu dem Zeitpunkt waren fünf Profis rausgegangen. Dabei war Witthöft Außenseiterin gegen die gesetzte Amerikanerin Lauren Davis, und sie hatte Adduktorenprobleme. "Hart wie Stahlseile" seien die Muskeln gewesen, sagte sie.
Selbst der Zustand der Fahnenhochhalterin passte indes ins Bild: Aus irgendeiner Fügung heraus haben fast alle deutschen Spieler diesmal Wehwehchen oder größere Sorgen. Körperlich die einen, mental die anderen. Manche beides zusammen. In der Statistik liest sich das düster - so düster wie seit neun Jahren nicht mehr. Seit 2008 hatten bei allen vier Major-Turnieren stets fünf Deutsche die zweite Runde erreicht - in Paris sogar mindestens sechs. Das ist nicht mehr zu schaffen, obwohl Tatjana Maria am Dienstagnachmittag die Bilanz schönte mit ihrem 6:4, 6:1-Erfolg gegen die Chinesin Duan Ying-Ying.
Von 13 gestarteten Deutschen erreichten elf nicht die zweite Runde; es verloren noch Dustin Brown (4:6, 5:7, 0:6 gegen den Franzosen Gaël Monfils), Annika Beck (2:6, 4:6 gegen die Lettin Anastasia Sevastova) und Jan-Lennard Struff (1:6, 1:6, 6:4, 4:6 gegen den Tschechen Tomas Berdych). Das deutsche Untergehen begann bereits in der Qualifikation. Von sechs Spielern schaffte es niemand ins Hauptfeld, von zwei Frauen auch keine. Die Reise nach Jerusalem setzte gleich mit der Pleite von Angelique Kerber gegen die Russin Ekaterina Makarowa ein, einer nach dem anderen verabschiedete sich, jeder mit seiner eigenen Geschichte.