SC Freiburg:" ...und dann bist nur ein Tor von der Champions League weg"

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Christian Günter nach dem Spiel. (Foto: Blatterspiel/Imago/Jan Huebner)

Beim großen Rudi-Völler-Abschied in Leverkusen haben die Freiburger fünf Minuten lang plötzlich die reale Chance auf die Königsklasse. Stattdessen verliert der Sportclub noch das Spiel und einen Tabellenplatz - und schaut nun aufs Pokalfinale.

Von Milan Pavlovic, Leverkusen

Manche Drehbücher sind so schlecht, da ist man froh, wenn die Realität einspringt. Der 14. Mai sollte der glanzvolle Nachmittag von Rudi Völler werden, der Fußball zu seinem Abschied aus offiziellen Positionen bei Bayer Leverkusen höchstens eine Nebenrolle ausfüllen. Es begann auch vielversprechend, denn die Fans rollten Transparente aus, auf denen acht der etwa 8000 zitierfähigen Ein- bis Dreizeiler des ehemaligen Profis und Nationaltrainers standen, zum Beispiel: "Im Endeffekt sind Regeln dazu da, gebrochen zu werden."

Dann allerdings folgte der offizielle Teil der Zeremonie, und diese war an Fipsigkeit kaum zu unterbieten, inklusive der Einspielung des von Völler selbst bekanntlich nicht sonderlich geschätzten Gassenhauers "Es gibt nur ein' Rudi Völler". In der Halbzeit folgte ein weiterer merkwürdig hingekleckerter Programmpunkt, irgendwas mit einem gelben Bötchen und Schokolade, Völler wurde sogar eine Kapitänsmütze verpasst. Nach diesen Elementen zum Fremdschämen war man froh, dass dann doch der Fußball die Regie übernahm.

Plötzlich fehlt Freiburg nur ein Tor für die Champions League

Die Pointe: In der 73. Minute - seit gut einer Viertelstunde stand es 1:0 für Leverkusen (Alario, 54.) -, löste der Bayer-Mitarbeiter, der die (sparsamen) Informationen zu den Zwischenständen auf den anderen Plätzen lieferte, eine Gefühlswelle in der Arena aus. Denn als bekannt wurde, dass Absteiger Bielefeld mit 1:0 gegen den Tabellenvierten Leipzig führte, erkannten alle Freiburger, dass der SC noch in der Champions League landen könnte - mit einem Sieg in Leverkusen. Freiburg hängte sich noch mehr rein, erzielte das 1:1 (Haberer, 88.); und Bayer, das mehrmals die Entscheidung verpennt hatte, wackelte bedenklich. Der Gästeblock bebte - und auch wenn am Ende ein scheinbar gewöhnliches 2:1 (0:0) für den Werksklub auf dem Zettel stand, so hatte die Partie eine der wildesten Endphasen dieser Spielzeit geliefert, was beide Fangruppen einmütig feierten.

Rudi Völler vor den Fans in Leverkusen. (Foto: Marius Becker/dpa)

"Die Jungs haben wieder alles reingeworfen", lobte Gästetrainer Christian Streich mit heiserer Stimme, weil er in seiner Coaching Zone selbst alles reingeworfen hatte. Das Zwischenergebnis aus Bielefeld habe "noch einmal Energien gegeben", die Wechsel sorgten ebenfalls für frischen Wind. "und dann schießt du den Ausgleich und bist nur ein Tor von der Champions League weg...", heiserte Streich weiter und schien einem Kopfball von Lienhart nachzutrauern. Letztlich jedoch übermannte ihn die Realität: "Und dann verlierst du, weil der Torwart alles wagt" - und Leverkusens Palacios von der Mittellinie über Keeper Mark Flekken hinweg ins leere Tor traf (90.+7). Tabellenfünfter oder -sechster, das ist wegen der TV-Gelder ein wichtiger Punkt für einen Verein wie Freiburg, der an den beiden letzten Spieltagen sechs Punkte auf Union Berlin einbüßte.

Dennoch wollte sich Streich die Saison auf keinen Fall schlechtreden lassen: "Es ärgert mich, dass jemand an uns vorbeigezogen ist; aber ich bin froh, dass wir in der Europa League sind. Wenn das vor der Saison jemand gesagt hätte, hätte ich gesagt, der spinnt. Ich sehe einige Teams mit großen Namen, die hinter uns stehen."

Noch hat Freiburg die Chance, die starke Saison zu krönen: durch einen Pokal-Sieg am nächsten Samstag

Das stimmt, aber kurz nach Ostern hatte die Welt in Freiburg bekanntlich noch rosiger ausgesehen. Da hatte sich der SC erstmals seit Januar wieder auf einen Champions-League-Platz vorgerobbt, aller Streichschen Tiefstapeleien zum Trotz. Es folgte jedoch am 33. Spieltag das überraschende 1:4 daheim gegen Union Berlin, und nach zuletzt zehn Gegentoren in drei Bundesliga-Partien ging es für Freiburg - eine Woche vor dem finalen Pokal-Duell mit dem neuen Intimfeind RB Leipzig - vornehmlich darum, in der Defensive besser zu stehen. Das funktionierte in Leverkusen zu Beginn ganz gut.

Abwehrchef Nico Schlotterbeck wurde zwar bei einem Zweikampf von Moussa Diaby abgefieselt und rettete seinen Klub mit einer der plumperen gelben Karten der Saison vor einem gefährlichen Konter. Doch abgesehen von einem Kopfball von Patrik Schick knapp neben das Tor (36.) hatte der Werksklub in den ersten 45 Minuten nichts zu melden - außer vielleicht eine Rudelbildung, bei der Schiedsrichter Sven Jablonski betont sachlich eine Diskussion darüber zu eröffnen schien, wer an diesem herrlich frühsommerlichen Tag die Grillkohle besorgen würde.

Nach einem Fest dürfte den Freiburgern aber nach den vergeblichen Anstrengungen der zweiten Halbzeit und dem Abwehrpatzer von Kübler vor dem ersten Gegentor nicht mehr zumute gewesen sein. Dafür fand der Tag von Rudi Völler eine versöhnliche Schlussvolte: eine Ehrenrunde mit den Spielern und ein verlängerter Aufenthalt in der Kurve, wo der Gefeierte zu den Fans kletterte und den Animateur gab ("Humba humba tätärä"), nicht ganz text- und melodiesicher zwar, aber herzlich. Dann ging der Kapitän von Leverkusen von Bord. Zum Glück ohne Mütze.

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