Freeriding:Salti zwischen Felsen

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Es könnte nicht besser laufen: Max Hitzig ist Freeride-Weltmeister. (Foto: Fabrice Coffrini/AFP)

Max Hitzig ist gerade als erster Deutscher Weltmeister geworden - im Freeriding, dem Skifahren und Snowboarden abseits markierter Pfade. Über einen Sport, der viel mehr sein will "als eine Horde Verrückter"

Von Thomas Becker

Und dann passiert genau das, was Max Hitzig bei der letzten Wettkampffahrt des Winters den größtmöglichen Druck beschert. Sein ärgster Konkurrent um den Weltmeistertitel, der 19-jährige Kanadier Marcus Goguen, legt einen Lauf hin, wie sie ihn hier am Bec des Rosses in Verbier noch nicht gesehen haben: flüssig, stylish, kontrolliert und dennoch mit maximalem Risiko. Der 35 Meter hohe Doppelsprung am Ende bringt die Fans vollends aus dem Häuschen, die Punktrichter geben 96 von 100 Punkten.

800 Höhenmeter weiter oben weiß Max Hitzig: Das wird jetzt eng. Bei einem Sieg von Goguen muss er mindestens Dritter werden, um sich den WM-Titel zu holen. Also muss er auch Risiko gehen, darf aber auf keinen Fall stürzen: ein Ritt auf dem Drahtseil. Der ihm gelingt: Er wird Zweiter am Freitag hinter Goguen, sichert sich damit die Gesamtwertung der Freeride World Tour (FWT). Er ist nun der erste deutsche Freeride-Weltmeister.

Wobei: Wer sich mit dem jungen Mann unterhält, hört sofort, dass er in Vorarlberg aufgewachsen ist; die Mama ist Deutsche. Es ist erst Hitzigs zweite Saison in der Freeride World Tour, in der er sich vor allem mit stylischen Rückwärtssalti einen Namen gemacht hat. Zur sprunghaften Progression seines Sports sagt er: "Was die Tricks angeht, kommt man ganz schön in Zugzwang." Und mit Blick auf die immer jünger werdende Konkurrenz: "Das ist schon eine wahnsinnige Mischung, die da gerade unterwegs ist." Dabei ist er selbst erst 21. Vor seiner Premiere am Bec des Rosses, diesem gewaltigen Stück Berg im Skigebiet von Verbier, hatte er schon Respekt, wie er vergangene Woche beim Wettkampf in Fieberbrunn erzählte.

Im Finale war das Risiko zu groß, Timm Schröder stürzte, wurde aber Vierter Gesamtwertung. (Foto: Fabrice Coffrini/AFP)

Auch Landsmann Timm Schröder hat seine Geschichte mit dem Bec. Vor einem Jahr war der Tölzer Snowboarder hier nach der geschafften Qualifikation für die FWT am Ziel seiner Träume, musste aber Stunden zuvor verkraften, dass seine damalige Freundin beim Aufstieg zum Bec in eine Lawine geraten war und erst nach zehn Minuten heil wieder ausgegraben wurde. Am selben Berg war er Ende Januar erstmals in der Königsklasse gestartet - und auf Anhieb Dritter geworden. Beim Finale geht er nun viel Risiko ein, wird abgeworfen, poltert über einige Felsen, lacht aber am Ende als Vierter der Gesamtwertung tapfer in die Kameras. Der 26-Jährige passt mit seiner Unbekümmertheit prima ins Bild. Angst sei zwar ein guter Indikator, sagt er, aber zu zögern sei der größte Fehler. Heißt: Wenn du dich für eine Linie entschieden hast, so riskant sie auch sein mag, musst du sie durchziehen.

Schröder hat sich ziemlich oft für die richtige Linie entschieden. Drei dritte Plätze, und das gleich im ersten Jahr bei den Profis, nachdem er es zuvor fünf Jahre in den Qualifier-Wettbewerben versucht hatte: sehr beachtlich. Andererseits aber auch keine große Überraschung mehr, was wiederum mit der generellen Entwicklung zu tun hat.

"Immer mehr Verbände erkennen, dass Freeriding mehr ist als eine Horde Verrückter."

Freerider, also Skifahrer und Snowboarder, die sich ihren Weg ins Tal abseits der markierten Pfade suchen, gibt es unzählige. Jeder Otto-Normal-Rutscher, der drei Meter neben der Piste durchs Unverspurte schnürt, fühlt sich schon als Freigeist. Bei den Profis der FWT sieht das dann doch noch mal anders aus. Sie sind in einem Gelände unterwegs, dass anderen als nicht fahrbar erscheint: zwischen Felsen, in mehr als 50 Grad steilen Hängen. Zu allem Übel bauen sie in ihre wilden Ritte noch Salti, 360-Grad-Drehungen und andere Kunststücke ein - ein Spektakel, von dem man als Zuschauer nur schwer ablassen kann. Und das Jahr für Jahr krasser wird: Der Schweizer Maxime Chabloz, Weltmeister 2022 und WM-Zweiter 2023, zauberte in Fieberbrunn einen Double-Backflip in den Schnee und wurde nur Sechster.

"Ich fand das Judging total gut! Weil nicht nur irre Sprünge zählen, sondern auch, dass man das gescheit verbindet." Die Einschätzung stammt von Stefan Häusl. Neun Jahre fuhr der Arlberger auf der FWT und kümmert sich nun um den Nachwuchs: Tochter Jana wurde unlängst die mit 15 Jahren jüngste Freeride-Junioren-Weltmeisterin. Häusl trainiert auch andere Jugendliche und stellte fest: Das sind viel zu wenige! Er weiß auch warum: weil es zu wenig Freeride-Trainer gibt. Da ihm als ehemaligem Ausbilder staatlicher Skilehrer das Lehrwesen im Blut liegt, startete er vor zwei Jahren mit der österreichischen Bundessportakademie die erste Ausbildung zum Freeride-Trainer. "Die Akademie war der Idee gegenüber sehr aufgeschlossen", erzählt Häusl, "die sehen da eine Kultur bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen." Die ersten 20 Absolventen sind fertig, künftig soll es für jeden interessierten Skiclub neben normalen Skilehrern einen Freeride-Coach geben. Und wenn es nach Nicolas Hale-Woods geht, dem Gründer und CEO der FWT, soll das nicht nur in Österreich so sein: "Immer mehr Verbände erkennen, dass Freeriding mehr ist als eine Horde Verrückter. Dass es die Kids begeistert, so dass sie länger dabei bleiben als Slalomfahrer. Es ist eine Alternative."

Schon vor Jahren hat er unterhalb der Profitour eine Challenger-, Qualifier- und Junior-Ebene eingezogen, ein Grassroots-System, in dem auch sein Sohn Victor fährt. Dieses System trägt dazu bei, dass die Aufsteiger zu den Profis immer stärker werden, siehe Timm "Shredder" Schröder. Der Rookie ist Mitte 20, fährt aber schon seit zehn Jahren Wettkämpfe. Die Qualifikation für nächsten Winter hat er nun schon in der Tasche: "Ich lebe gerade meinen Traum, es fühlt sich tatsächlich so an. Es könnte wirklich nicht besser laufen." Weltmeister Max Hitzig dürfte es ähnlich gehen.

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