Fußball-WM der Frauen:Die Südhalbkugel bebt

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Schrei, wenn du im Viertelfinale stehst: Kolumbiens Spielerinnen feiern ihren 1:0-Sieg im Achtelfinale gegen Jamaika. (Foto: Hannah McKay/Reuters)

Ein pannenfreier Chor, die erschöpfende Mühsal der Arbeit vor dem Training und ein Aktivist, mit dem niemand gerechnet hat: Fünf Geschichten von der Fußball-WM in Australien und Neuseeland.

Von Felix Haselsteiner, Wellington

Das letzte Achtelfinale ist gespielt, das Viertelfinale bei dieser WM komplett. Gelegenheit für Beobachtungen bei einem Turnier der Überraschungen, in dem die Favoriten straucheln - und bei dem daher auch diejenigen im Rampenlicht stehen, die sonst nicht auf der großen WM-Bühne reden, singen und anfeuern können.

Der Sound des Turniers

Manche Teams passten sich durch das Turnier, manche verteidigten sich von Spiel zu Spiel. Banyana Banyana sang sich durch. Bei der Eröffnungszeremonie in Wellington, vor den Trainingseinheiten, im Teamhotel, in der Kabine: Wo immer die Südafrikanerinnen waren, fanden sie sich im Chor zusammen um ihre sanften, rhythmischen Gesänge vorzutragen. Wie ein Musical wirkte das Turnier in diesen ritualisierten Momenten, die in Südafrika im Fußball verbreitet sind: Gesang gehört zur Vorbereitung auf das Spiel, er soll beruhigen und einstimmen.

Das funktionierte prächtig: Die Afrikameisterinnen zogen erstmals ins Achtelfinale ein, scheiterten dort zwar an den Niederlanden, aber vor allem für ihre Trainerin Desiree Ellis war es der Höhepunkt einer langen Reise voller Unwegsamkeiten. 1993 war sie eine der Pionierinnen für Frauenfußball in ihrem Land, die erste Auswärtsfahrt nach Swasiland aber kostete sie damals ihren Job als Gewürzmischerin, weil sie einen Übernachtbus nach Kapstadt nehmen musste, der eine Reifenpanne hatte und in der Früh zu spät ankam. 30 Jahre später konnte sie ihren Spielerinnen dabei zusehen, wie sie sich mit mutigem Fußball durch die Gruppenphase spielten. Ohne Pannen, dafür aber mit dem Chor des Turniers.

Gute-Laune-Sound vom Kap der Guten Hoffnung: Südafrikas Spielerinen sangen, wo sie gingen und spielten. (Foto: Avalon/Imago)

Arbeit statt Profession

Da stand Ana-Maria Crnogorcevic nun, die Schweiz war mit einem 1:5 gegen Spanien ausgeschieden, und ihr blieb nichts anderes übrig als den Kopf zu schütteln. "Ich meine, mein Team arbeitet den ganzen Tag", sagte sie - und meinte damit nicht den Aufwand im Training: "Am Abend können sie erst Fußball spielen. Wie soll man mit den Besten mithalten, wenn man in der Früh aufsteht, sechs bis acht Stunden im Büro sitzt und erst am Abend trainieren kann? Wenn man sich für die WM unbezahlten Urlaub nehmen muss?"

Crnogorcevic spielt beim FC Barcelona, sie ist Profi, was aber - daran muss man immer wieder mal erinnern - keine Normalität ist im Frauenfußball. Nicht bei der WM und auch nicht in der Schweiz, einem Land, das im Sommer 2025 die Europameisterschaft ausrichten wird. "Die Ligen in Spanien, England, Deutschland, die sind die Basis für deren Erfolg", sagte die Schweizer Rekordtorschützin - und forderte, dass es dringend auch in kleineren Ländern wie ihrer Heimat bessere Möglichkeiten geben müsste, um sich als Frau rein auf die Fußballkarriere konzentrieren zu können.

Wie soll man den Kopf hinhalten, wenn man ihn nicht frei hat? Ana Maria Crnogorcevic (rechts im Spiel gegen Neuseeland) beklagt die mangelnde Professionalität im Schweizer Frauenfußball. (Foto: Andrew Cornaga/AP)

Die unentschiedenen Kiwis

Es gibt bei großen Fußballturnieren meist einen interessanten Kipppunkt, an dem die Gastgebernation ausscheidet und sich die Frage stellt: Kann die Stimmung denn trotzdem gut/toll/großartig bleiben? Im Falle Neuseelands ist die Antwort ein deutliches Ja, weil drei Spiele der heimischen Football Ferns ("Farne") ausgereicht haben, um großes Interesse an dieser für die Kiwis etwas fremden Sportart zu wecken. Offen ist nur, welche Nation die Neuseeländer für den weiteren Turnierverlauf als besonders unterstützenswert auserkoren haben.

Indizien sprächen gegen Spanien, dessen Delegation sich mit ihrer unterschwellig geäußerten Unzufriedenheit mit dem Quartierort Palmerston North keine Freunde gemacht hat. Eher schon für die Schwedinnen, die in ihrem Quartier Upper Hutt nahe Wellington offenbar so viele Freunde gefunden haben, dass einem mancher Bewohner fast auswendig den Kader runterbeten kann. Vereinzelt hört man gar Stimmen, die es den Matildas aus Australien wünschen würden - wobei die Zuneigung Grenzen hat: Als die Rugby-Mannschaft der All Blacks am Wochenende ihr finales Testspiel vor der WM im September gegen Australien bestritt, konnte man in Sportbars beobachten, wie sich ein Land daran erinnerte, dass man dem großen nördlichen Nachbarn eher keine sportlichen Erfolge gönnt.

Die Fans des neuseeländischen Teams müssen sich neue Objekte ihrer Zuneigung suchen: Der Co-Gastgeber war schon nach der Vorrunde raus. (Foto: Blake Armstrong/Action Plus/Imago)

Der dritte Gastgeber

In Australien gehört die Zuneigung selbstredend dem eigenen Team - wobei sich am Dienstag bewies, wie bereichernd es ist, wenn man ein Einwanderungsland ist: Auch in Melbourne, beim 1:0-Sieg über Jamaika im Achtelfinale, zeigte sich, dass Kolumbien eine dritte Heimnation ist bei dieser WM. Genauso wie schon im Gruppenspiel gegen Deutschland erzeugten die Südamerikaner die vielleicht lebendigste Stadionatmosphäre des Turniers. Gepaart mit einem Team, das pragmatischen, intensiven Fußball spielt und sich immer wieder auf die Genialität einzelner Spielerinnen wie Linda Caicedo verlassen kann, ist Kolumbien auch im Viertelfinale gegen England einiges zuzutrauen - die Aussicht auf ein mögliches Halbfinale gegen Australien in Sydney dürfte allenfalls ortsansässige Seismologen beunruhigen.

Achtung, Erdbebengefahr: Wenn die kolumbianischen Anhängerinnen und Anhänger loslegen, wackelt das Stadion. (Foto: Jose Breton/NurPhoto/Imago)

Starke Stimme aus Texas

Der Frauenfußball hat in seiner Geschichte immer wieder von Aktivisten und ihren energischen Beiträgen profitiert - aber nicht allzu oft kamen sie von 66-jährigen Männern aus Texas. Randy Waldrum trainiert seit 1989 Frauenteams an Universitäten in den USA und hat daher ein hervorragendes Gespür für die wichtigen Themen im Geschäft. Seit 2020 leitet er das Team Nigerias. Am Sonntag nutzte er die Pressekonferenz vor dem Achtelfinale gegen England, um ein paar Themen anzusprechen, die ihm auf dem Herzen lagen. "Wir brauchen mehr Frauen als Trainerinnen in diesem Sport", sagte Waldrum und erinnerte daran, dass nur noch ein Team im Wettbewerb ist, das von einer Frau trainiert wird - Sarina Wiegmans Engländerinnen. "Das heißt nicht, dass Männer das nicht tun sollten, aber wir müssen auf jeden Fall mehr in Frauen und weibliche Trainer investieren. Dazu gehört auch, dass wir die Mentalität des ,Boy's Club' ändern."

Aktivist an der Seitenlinie: Randy Waldrum, 66, Typ alter weißer Mann also, setzt sich als Trainer lautstark für den Frauenfußball und besonders für sein Team aus Nigeria ein. (Foto: Dan Peled/Reuters)

Waldrum forderte mehr Investments in Infrastruktur. Die drei afrikanischen Nationen im Achtelfinale seien beste Beispiele dafür, was man mit etwas mehr Geld erreichen kann: Er nannte das neue nationale Trainingszentrum in Marokko und das Rekordbudget der Südafrikanerinnen: "Vielleicht sind die Menschen außerhalb Afrikas überrascht, aber die in Afrika sind es wirklich nicht." Und schließlich kritisierte Waldrum einmal mehr den nigerianischen Verband, der die Bonuszahlungen des Weltverbands nicht direkt an die Spielerinnen weiterleiten will. Er unterstütze ihren Protest, sein Team nämlich stünde dafür, was im Frauenfußball möglich sei, auf und neben dem Feld: "Ihr Einsatz bei dieser WM verdient unheimlich viel Beachtung."

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