Bevor diese Fußballweltmeisterschaft der Frauen in Frankreich vor einer Woche losging, war eine schöne Vision zu sehen, in drei Minuten zusammengefasst. Sie beginnt mit der Luftaufnahme eines Stadions, ausverkauft und laut. "Eine Milliarde Zuschauer warten gespannt auf das Spiel zwischen ...", teilt ein Sprecher mit, die Kamera bewegt sich in den Kabinengang. Und dann beginnt die fantastische Reise eines Einlaufmädchens, das von Lieke Martens, der Europameisterin aus den Niederlanden, gefragt wird: "Bist du bereit?"
Das Mädchen betritt das Feld. Es wird an der Hand geführt von prominenten Spielerinnen aus verschiedenen Nationen, dribbelt mit, treibt selbst den Ball, feiert in der Kabine, kehrt zurück auf den Platz, steht an der Seitenlinie bei einer Trainerin, die Philippe Coutinho und Gerard Piqué vom FC Barcelona taktische Anweisungen gibt. Schauspiel auf der ganz großen Bühne.
In diesem Werbespot stellt sich ein Sportartikelhersteller den Frauenfußball in der nächsten Dimension vor: gesellschaftlich global akzeptiert, frenetisch gefeiert. Unter all den Stars ist eine einzige Deutsche zu entdecken: Sara Däbritz.
Diese WM der Frauen könnte die bislang größte werden, mit dem bisher härtesten Konkurrenzkampf um die Trophäe und einem sehr hohen Zuschauerinteresse. Bis, wie im visionären Werbespot, ein Milliardenpublikum zuschaut und eine Frau den FC Barcelona trainiert, wird es noch sehr lange dauern. Dass Däbritz zu den bekanntesten Gesichtern zählt, zu jenen Fußballerinnen, die im Fokus stehen, das ist aber schon heute so.
Däbritz ist weit davon entfernt abzuheben
Däbritz bewegt sich auf einer Ebene, die für Fußballerinnen nicht selbstverständlich ist - weil ihr Weg meist anders verläuft als jener der Männer, nicht nur geprägt vom sportlichen Konkurrenzkampf, sondern auch von gesellschaftlichen Hürden. Noch steht sie nicht auf einer Stufe mit Stars wie Alex Morgan aus den USA, der Norwegerin Ada Hegerberg oder der Brasilianerin Marta. Aber Däbritz entwickelt sich in diese Richtung, sie ist erst 24, ausgeschlossen ist es nicht, dass sie ähnliche Popularität erreicht. Ihr Sponsor (Nike) hat sie schon im Visier.
Bei sich selbst zu bleiben, ist da eine ganz gute Eigenschaft, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, wenn viele an einem zerren. Däbritz kommt aus Amberg in der Oberpfalz, wenn sie spricht, ist das deutlich zu hören, sie rollt das "r" schön lange, Sarrra Däbrrritz - manchmal muss sie selbst darüber lachen. Däbritz ist weit davon entfernt, abzuheben. Sie hat einen bisweilen extravaganten Modegeschmack, ansonsten: eine angenehm lockere, unkomplizierte und offene Art. Zumindest neben dem Platz.
Ihre Eleganz und Ruhe am Ball, die gute Technik und Torgefahr sind das eine. Die große Entschlossenheit, der Ehrgeiz und kämpferische Wille das andere. "Von Sara erwarten wir, dass sie ihre vielseitigen Fähigkeiten einbringt", hatte Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg vor der Abreise nach Frankreich gesagt. Däbritz war eine derjenigen, deren Nominierung für den WM-Kader immer unbestritten war, und bisher wird sie den Erwartungen gerecht. Beim 1:0 gegen China war das so, beim 1:0 gegen Spanien erst recht. Als im zweiten Turnierspiel ein Kopfball von Kapitänin Alexandra Popp von Torhüterin Sandra Panos zurück ins Feld prallte, stürmte Däbritz auf den linken Pfosten zu und grätschte mit dem linken Bein voraus den Ball ins Tor. Ein wichtiger Treffer. Er ebnet den Weg zum möglichen Gruppensieg, nur so lässt sich vermeiden, den favorisieren Amerikanerinnen viel zu früh im Turnier zu begegnen. Die Szene war ein Dokument für Däbritz' Variabilität: Sie hatte im zentralen Mittelfeld begonnen, wechselte später auf links außen, und wenn es sein muss, taucht sie halt auch unmittelbar vor und im gegnerischen Tor auf. "Wo ich spiele, ist mir relativ egal", sagt sie kurz und schmucklos.
Für das französische Publikum war es ein Vorgeschmack auf das, was es künftig häufiger beobachten kann. Im Sommer wechselt Däbritz nach vier Jahren beim FC Bayern München zu Paris St. Germain, dem französischen Meisterschaftszweiten. "Ich habe eine neue Herausforderung gesucht, und ich glaube, dass mich die Zeit im Ausland weiterbringt", sagt Däbritz. "Das war schon immer mein Traum, den habe ich mir nun einfach erfüllt."
Däbritz geht es um Veränderung
Sie trägt bald das Trikot eines Vereins, der dafür bekannt ist, kräftig in den Fußball zu investieren, bei Männern wie bei Frauen. Den ganz großen Erfolg hat das noch nicht gebracht, die Frauenliga wird vom auch international dominierenden Olympique-Team aus Lyon angeführt, dem Champions-League-Sieger mit den deutschen Nationalspielerinnen Dzsenifer Marozsán und Carolin Simon. Aber Vorherrschaften können sich ändern. Und Däbritz geht es vor allem um Veränderung.
Sie fing mit fünf Jahren auf der Straße mit dem Fußball an, immer mit Jungs, auch im Verein, bis sie 17 Jahre alt war. "Das war eine überragende Zeit", sagt Däbritz: "Ich habe sehr viel gelernt." Den Ball in Drucksituationen zu behaupten, den Körper clever einzusetzen, das sind Eigenschaften, die ihr Spiel prägen - zudem der starke linke Fuß. 2012 im Winter ging sie zum SC Freiburg, später zum FC Bayern, mit dem sie 2016 Meister wurde und kürzlich im Halbfinale der Champions League am FC Barcelona scheitere.
Bei der EM 2013 war sie 18 und die Jüngste, sie gewann sogleich den Titel. 2016 kam in Rio Olympia-Gold hinzu. 62 Länderspiele hat Sara Däbritz bestritten, Weltmeisterin war sie noch nie. Aber das ist jetzt die konkrete Vision.