Frankreichs Dimitri Payet:Der Streitbare beruhigt die Equipe

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Der große Held für eine Nacht: Frankreichs Siegtorschütze Dimitri Payet. (Foto: dpa)

Einst klagte er öffentlich über Trainer Deschamps, nun rettet Dimitri Payet die Franzosen im EM-Eröffnungspiel mit einem Kunstschuss. Danach fließen die Tränen.

Von Claudio Catuogno, Saint-Denis

Die Fußball-EM hat begonnen, und das erste Bild, das sich einprägen wird, sind die Tränen von Dimitri Payet, 29, geboren auf La Réunion im indischen Ozean, seit einem Jahr beschäftigt bei West Ham United in der englischen Premier League. Die Tränen nach dem Tor. Der Treffer selbst war natürlich auch nicht schlecht - der Pass kam von N'Golo Kanté, Payet legt den Ball mit rechts weiter, einen guten Meter vor der Strafraumgrenze, und drischt ihn dann mit links in den Torwinkel. Zum 2:1 (0:0), in der 89. Minute des Eröffnungsspiels gegen Rumänien. Aber erst die Tränen erzählen die ganze Geschichte.

Eine Dreiviertelstunde nach dem Abpfiff betrat Dimitri Payet den Presseraum des Stade de France, drei Fragen, drei Antworten, das ist das Prozedere der Uefa, wenn sie einen Spieler zum "Man of the Match" gekürt hat. Oft lassen Fußballer das Theater mit erkennbarem Unmut über sich ergehen. Payet strahlte. Dann ging er duschen. Und später kam Payet dann in diesem schicken blauen Team-Anzug, in dem die Franzosen immer aussehen wie eine Gruppe junger Piloten, Richtung Mannschaftsbus gelaufen, er trug jetzt auch noch zwei glitzernde Brillanten in den Ohren. Überall musste er stehen bleiben, jeder wollte noch etwas wissen von ihm. Wobei im Grunde alle das Gleiche wissen wollten wie vorher bei der Man-of-the-Match-Zeremonie.

Dimitri, die Tränen?

Payet hat nichts völlig Unerwartetes darauf antworten können, die Worte können ja oft mit den Bildern nicht mithalten. "Es war so viel Druck auf uns, und als ich ausgewechselt wurde, mussten die Emotionen einfach raus", sagte er. In der Nachspielzeit war das, das Publikum erhob sich von den Sitzschalen, Payet weinte, lief zur Bank, klatschte die Kollegen ab, weinte, weinte. Jetzt sagte er über sein Last-Minute-Tor: "Ich hätte nicht gedacht, dass ich zu so etwas in der Lage sein würde."

Den Stolz, die Hoffnungen einer ganzen Nation zu retten - wer glaubt das schon von sich, dass er zu so etwas in der Lage ist? Das ist jetzt die Dimension des Moments.

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Terror-Angst? Rassismus-Debatte? Dann kommt Payet

Es ist ja doch einiges zusammengekommen in den vergangenen Monaten rund um dieses Turnier: Terror-Angst, eine Kriminalgeschichte rund um den Stürmer Karim Benzema, eine Rassismus-Debatte, nun auch noch streikende Müllmänner, bestreikte Züge und Flugzeuge. Und der Nationaltrainer Didier Deschamps bekam fast täglich eine neue Krankschreibung hereingereicht - noch ein paar Wochen Vorbereitung mehr, und es wäre vielleicht gar kein Spieler mehr zur Verfügung gestanden. Gut also, dass es jetzt endlich losgegangen ist. Und gut für die Gastgeber, dass es so losgegangen ist.

Am Samstag titelte die Sporttageszeitung L'Équipe: "Payet rettet die Party."

Dabei schien die Hauptrolle eigentlich für andere vorgesehen zu sein. Für Paul Pogba, 23, zum Beispiel, das Riesentalent von Juventus Turin, der aber eher verunsichert und bisweilen desorientiert wirkte. "Er kann unserem Spiel sicher mehr geben als heute", sagte Deschamps; in der 77. Minute wurde Pogba ausgewechselt. Und für Payets Position als linker Flügelstürmer hatten vor dem Turnier viele Anthony Martial, 20, von Manchester United auf der Rechnung. Auch so eine Wette auf die Zukunft.

Payet? Ist schon 29 und hatte bis Freitag erst 19 Länderspiele gemacht. Mal war er dabei, dann wieder nicht - und wie es in der Équipe Tricolore so üblich ist, begleitete auch er die wiederkehrende Nichtberücksichtigung durch Wehklagen. Das sei "ungerecht", richtete er dem Nationaltrainer noch letzten Herbst öffentlich aus; Deschamps hat das nicht vergessen. Aber im März haben sich die beiden Männer ausgesprochen, "da wurde alles gesagt, was zu sagen war", erzählte Payet gerade der Zeitung Le Parisien, "ich mag das, wenn es so läuft, das ist besser, als sich etwas vorzumachen."

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Und nun ist offenbar das Selbstvertrauen, das Payet aus einer guten Saison mit West Ham mitbrachte, mit der neuen Wertschätzung durch Deschamps eine segensreiche Verbindung eingegangen. Für Payet ist das der Schlüssel für alles, was sein Spiel erfolgreich macht: "Es ist kein Geheimnis, dass ich geliebt werden will."

Die Frage, die sich jetzt viele stellen, lautet allerdings, welche Rückschlüsse dieser mühsame Sieg für den weiteren Turnierverlauf zulässt. Und da geht die gemeinsame Sprachregelung bei den Franzosen ungefähr so: gar keine Rückschlüsse! Weil es ja genau genommen gar kein Fußballspiel im klassischen Sinne gewesen sei, das sie da bestritten haben gegen Rumänien. Sondern ein Eröffnungsspiel! "Eröffnungsspiele sind immer schwer", das war hinterher im Stade de France der am meisten bemühte Satz. Erst in der 57. Minute hatte Olivier Giroud die Gastgeber mit einem Hinterkopf-Treffer in Führung gebracht, Bogdan Stancu glich prompt aus, per Foulelfmeter (65.).

Payet sieht das Gute am Holperstart

Auch Girouds Führungstreffer hatte Dimitri Payet vorbereitet mit einer hohen Flanke. Die Statistiker ermittelten, dass er acht Chancen kreiert habe in der Partie - doppelt so viele wie alle anderen Spieler seiner Mannschaft zusammen. Es sind also nicht nur das Tor und die Tränen gewesen, mit denen Payet den Abend geprägt hatte. Er hat sich festgespielt in einer Elf, die noch ihre Orientierung sucht. Vielleicht hat er auch deshalb das Gute gesehen in dem Holperstart: "Wenn wir einfacher gewonnen hätten, hätte uns das vielleicht etwas vorgetäuscht. So zu gewinnen, zeigt uns, dass es für uns kein einfaches Spiel geben wird", sagte er.

Sie wissen jetzt, auf was sie sich bei ihrer EM einlassen müssen, die Franzosen. Und sie wissen, dass sie da einen haben, auf den sie sich verlassen können.

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