Champions League in Neapel:Italienische Reflexe

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Im Hinspiel in Frankfurt erhellten Leuchtfeuer und Bengalos den Frankfurter Fanblock - nun könnten auch im Rückspiel in Neapel deutsche Besucher dabei sein. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Italiens Umgang mit potenziell riskanten Fußballpartien hat in Deutschland Unmut hervorgerufen - vor allem in Frankfurt. Noch ist unklar, ob die Fans von Eintracht am Mittwoch in Neapel ins Stadion dürfen. Der Versuch einer Kulturdeutung.

Von Oliver Meiler, Rom

Ja, was nun? Drei Tage vor dem Rückspiel im Achtelfinale der Champions League zwischen Napoli und Eintracht Frankfurt war am Sonntag immer noch nicht klar, ob die Gästefans aus Deutschland Tickets bekommen würden fürs Stadion. Geht es nach dem Verwaltungsgericht in Neapel, dem "Tribunale amministrativo regionale" Kampaniens, kurz TAR, dann sollten sie das dürfen. Angerufen hatten es Eintrachts Anwälte. Es war das letzte Hoffnungsmanöver der Frankfurter, nachdem Italiens Innenministerium den Kartenverkauf untersagt hatte. Die Präfektur Neapel hingegen hat am Sonntag ein Verbot ausgesprochen. Zum "Schutz der öffentlichen Sicherheit" sei es Anhängern aus Frankfurt nicht erlaubt, Tickets für die Partie zu kaufen.

In einer Risikoabschätzung war der Präfekt von Neapel, der Statthalter des Innenministeriums in der Provinz, bereits vor einigen Tagen zu dem Schluss gelangt, dass es besser sei, wenn die Fans der Eintracht nicht nach Neapel reisten - und untersagten deshalb der SSC Napoli, 2700 Eintrittskarten an Gästefans zu verkaufen. Als Grund hatte der Präfekt die gewaltsamen Vorfälle in Frankfurt rund um das Hinspiel und die möglichen Folgen daraus für das Rückspiel genannt. Die Gefahr sei groß, dass es erneut Probleme geben würde - zumal man Hinweise dafür habe, dass auch Ultras von Atalanta Bergamo, die mit jenen von Eintracht alliiert sind, nach Neapel reisen würden. Die Begegnung wurde vom so genannten "Komitee für Sicherheitsanalysen vor Sportveranstaltungen", dem CASMS, als "Hochrisikospiel" klassiert. In Italien werden vor solchen Partien die Gästesektoren geschlossen.

Eintrachts Vereinsführung fand darauf, Italien leiste da einen Offenbarungseid: Der Staat sehe sich selbst offenbar nicht imstande, für Sicherheit zu sorgen, und lade deshalb die Gästefans aus. Es hieß auch, dadurch werde der sportliche Wettbewerb verzerrt. Es kursierte außerdem der Vorwurf, Italien setze sich mit dem Verbot über ein Grundrecht hinweg, pauschalisierend gegen alle Fans.

Laut Gericht gibt es Alternativen zur "Option null". Nun liegt der Ball wieder im Ministerium

Nun, das kampanische TAR hat der Berufung der Frankfurter stattgegeben und das Verbot aus dem Ministerium suspendiert: Es sei "unverhältnismäßig", heißt es in der Verfügung. Sofern das Ministerium keine neuen und gravierenden Risikohinweise vorlegen könne, gebe es durchaus auch Alternativen zur "Option null", solche, die weniger invasiv seien als ein Totalausschluss für Gästefans im Stadion. Der Aufschub bedeutet nicht, dass Napoli jetzt Karten an deutsche Fans verkauft: Die Kassen bleiben geschlossen. Der Ball liegt wieder beim Innenministerium. Kann es seine Sorge vor dem "Consiglio di Stato", der nächst höheren Instanz, besser belegen, sind die Hoffnungen der Frankfurter dahin. Angesichts der knappen Zeit reicht dafür wohl schon, wenn es in Berufung geht. Für die deutschen Fans ist das natürlich eine ärgerliche Situation. Sechs Charterflüge sind bereits annulliert worden.

In Italien selbst hatte das Verbot zunächst überhaupt keine Reaktionen ausgelöst. Zum öffentlichen Thema wurde der Fall erst, als in Deutschland Unmut laut wurde. Sportzeitungen machten dann einen "diplomatischen Casus" daraus, die großen italienischen Tageszeitungen berichteten fast gar nicht darüber. Man ist es in Italien gewohnt, dass Fans ausgeladen werden, wenn das Komitee das Sicherheitsrisiko als zu hoch einstuft. Seit zwanzig Jahren ist das so. Fast nie gibt es Diskussionen, die Auswärtsverbote werden auch nicht politisch gedeutet: Sie sind das Ende einer polizeibehördlichen Evaluierung und werden als solche hingenommen. So ist das kulturell gewachsen, unter linken wie rechten Regierungen. Nach dem Urteil des TAR sind nun alle empört: Neapels Präfektur, die Polizeigewerkschaft, die SSC Napoli, die Medien.

Dazu muss man wissen, dass das CASMS einst gegründet wurde, weil es eine Serie schwerer Vorfälle gegeben hatte. Um die Lage in den Griff zu bekommen, richtete man dieses Gremium ein, das Italiens bewegtes Fanmilieu ständig studiert. Darin sitzen neben Vertretern des Fußballverbands und der Vereinsorganisation Lega Calcio auch Zivilschützer, die Betreiber von Autobahnraststätten, Beamte der Eisenbahnpolizei, Carabinieri, Feuerwehrleute, ein Abgesandter des nationalen Olympischen Komitees. Die treffen sich wöchentlich und prüfen die Lage vor jedem Spieltag.

Misslich, aber letztlich verhältnismäßig - wie die Italiener die Lage sehen

Manchmal verhängt das Ministerium auch lange Sperren. So ist es zum Beispiel Fans der AS Roma seit Jahren untersagt, zu Auswärtsspielen nach Neapel zu fahren - und umgekehrt. Nach schweren Zusammenstößen in der Vergangenheit fürchtet man sich immer vor Racheoperationen. Am 3. Mai 2014 war ein junger Fan von Napoli in Rom von Schüssen getroffen worden: Ciro Esposito starb zwei Monate später an den Verletzungen. Wahrscheinlich liegt es an tragischen Präzedenzfällen wie diesem, dass man in Italien Stadionverbote hinnimmt - als missliche, letztlich aber verhältnismäßige Maßnahmen zum Schutz aller.

Außergewöhnlich ist, dass in diesem Fall Fans aus dem Ausland betroffen wären. Doch aus Sicht der Italiener gibt es auch im europäischen Kontext bedenkenswerte Präzedenzfälle.

Einer von vielen ist der Besuch von 10 000 Fans der Eintracht im Dezember 2018 in Rom. Frankfurt spielte gegen Lazio in der Europa League. In den italienischen Medien laufen die Vorkommnisse rund um jene Begegnung seither unter dem Schlagwort "devastazione", Verwüstung. Das mag ein etwas drastischer Sammelbegriff sein für das, was passiert ist. Die Bilder der umtosten Piazza del Popolo aber, einem der schönsten Plätze Roms, blieben in den Köpfen der Römer haften. Als Beleidigung der Stadt. Der Präfekt von Neapel führte nun auch wieder diesen Vorfall an, als er seine Einschätzung formulierte. Einmal richteten Fans von Feyenoord Rotterdam die "Barcaccia", Berninis barocken Brunnen auf der Piazza di Spagna, so übel her, dass nun bei jedem Heimspiel eines römischen Vereins in einem europäischen Wettbewerb die ganze Gegend rund um die Spanische Treppe abgesperrt werden muss. Es sind Bilder wie Warnrufe, sie wirken wohl auch im Gremium der Risikoprüfer des Innenministeriums wie Trigger.

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