Stallorder in der Formel 1:Die Butler treten auf die Bremse

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Der Moment: Valtteri Bottas lässt Lewis Hamilton widerstandslos passieren. (Foto: Clive Mason)

Die Stallorder ist unehrenhaft - bei Ferrari sind sie entweder zu brav oder zu stolz für diese Taktik. Wohl auch deshalb wird Lewis Hamilton wieder Formel-1-Weltmeister.

Kommentar von Philipp Schneider

Was Udo Jürgens jetzt wohl sagen oder singen würde? Der große Liedermacher ist leider vor vier Jahren verstorben. Sonst hätte er bestimmt wieder aus aktuellem Anlass seine mächtige Stimme zu einer Anklage erhoben. Wie vor 16 Jahren. Nach dem "Grand Prix der Schande" in Spielberg.

Rubens Barrichello führt damals am Freitag das Training an, am Samstag das Qualifying und am Sonntag das Rennen - 70 Runden lang. In der letzten Kurve lässt er seinen Teamkollegen Michael Schumacher vorbei. Nachdem ihn der Kommandostand von Ferrari besäuselt hatte; irre acht Minuten lang säuselte Jean Todt. Wenn damals alle den Funkverkehr hätten hören können - also die Acht-Minuten-Langversion, nicht nur das legendäre "Let Michael pass for the championship!" -, hat Barrichello kürzlich erzählt, dann wären alle "angeekelt" gewesen.

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:"Du musst Lewis in dieser Runde vorbeilassen, in der 13. Kurve"

Lewis Hamilton gewinnt das Formel-1-Rennen in Sotschi - nach einer sagenhaft wenig kaschierten Stallregie des Mercedes-Teams. Sebastian Vettel kann nun aus eigener Kraft nicht mehr Weltmeister werden.

Von Philipp Schneider

Das waren viele auch so: Ein Proteststurm bricht los. Der Weltverband Fia wird mit mehr E-Mails überschwemmt als beim Tod Ayrton Sennas. Ferrari muss eine Million Dollar Strafe zahlen - allerdings nicht für die Rennszene, sondern für die Geste, dass Schumacher Barrichello später seinen Platz auf dem Podest überlassen hatte! Im Jahr darauf verbietet die Fia die sogenannte "Stallorder". Und Udo Jürgens, der im Jahr 1966 übrigens selbst mal einen Grand-Prix gewonnen hat mit "Merci, Chérie", er storniert die Bestellung seines Ferraris.

Diesmal hält sich die Empörung in Grenzen

Man könne ja wohl, klagt Jürgens, keine Weltmeisterschaft austragen, in der einer mit sechs Millionen Dollar im Jahr dafür bezahlt wird, dass er bremst, damit ein anderer Weltmeister wird. Das sei Schiebung und Betrug. Er fühle sich als Fan "total verarscht". Konnte man doch. Und kann man inzwischen wieder. Die Stallorder ist seit 2011 wieder erlaubt.

16 Jahre nach dem Rennen der Schande verdienen viermalige Weltmeister wie Lewis Hamilton 40 Millionen im Jahr, aber gebremst wird immer noch für sie, von schlechter bezahlten Assistenten. Am Sonntag beim Rennen in Sotschi parkte Valtteri Bottas fast am Straßenrand, um seinen Teamkollegen an sich vorbei zu schleusen und so die Führung des WM-Führenden künstlich zu vergrößern. Die Empörung diesmal? Hält sich in Grenzen. Selbst Hamiltons Rivale Sebastian Vettel, der ja der Leidtragende des Plätzetauschs war, zeigt Verständnis. Es sei ein "no brainer", was Mercedes veranstaltet habe, also selbstverständlich.

Eine Selbstverständlichkeit wäre es auch gewesen, hätte Kimi Räikkönen seinem Teamkollegen Vettel beim Rennen in Monza Anfang September Windschatten gespendet in der Qualifikation. Stattdessen saugte sich Räikkönen an Vettels Heck und sauste auf die Pole Position. "Asummiamo piloti, non maggiordomi", brummte Ferraris Teamchef Maurizio Arrivabene nach der Misere beim Heimrennen, in dem Vettel in der ersten Runde mit Hamilton zusammenstieß, was ihm, wäre er von vorne ins Rennen gestartet, nie widerfahren wäre. Er beschäftige "Fahrer und keine Butler". Ja, die Butler sind abgeschafft bei Ferrari in der Post-Schumacher-Ära. Die Frage ist nur, ob die Scuderia zu brav oder zu stolz ist, um sie einzusetzen. Weil Bottas ein Butler ist, Räikkönen aber nicht, hat Vettel vermutlich allein in Monza und Sotschi 27 Punkte verloren im Duell mit Hamilton. Solang das Butlerwesen legal ist und es Gutsherren gibt, die sie bezahlen, dürfte Vettels erster WM-Titel in einem roten Auto sein unerfüllter Lebenstraum bleiben.

Andererseits, eine Stallorder ist in etwa so ehrenhaft, als würde Henry Fonda in der Nacht vor dem finalen Duell heimlich die Patronen aus dem Revolver von Charles Bronson entfernen. Kann man schon machen. Aber dann fällt halt der tot um, der eigentlich schneller ist. Sieht blöd aus. Vor allem für den Zuschauer.

© SZ vom 02.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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