Formel 1:"Du musst Lewis in dieser Runde vorbeilassen, in der 13. Kurve"

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Lewis Hamilton vor Valtteri Bottas. (Foto: AFP)
  • Lewis Hamilton gewinnt in der Formel 1 den Großen Preis von Sotschi.
  • Sein Mercedes-Teamkollege Valtteri Bottas lässt ihn nach einer sagenhaft wenig kaschierten Stallregie passieren.
  • Sebastian Vettel hat nun 50 Punkte Rückstand in der WM-Wertung und kann aus eigener Kraft nicht mehr Weltmeister werden.

Von Philipp Schneider, Sotschi/München

Es gibt Rennszenen, die werden nicht schöner, je häufiger man sie sich anschaut. Aber sie brennen sich ein ins Bewusstsein, weil die Szene zwar nicht hübsch, aber fürchterlich relevant ist. Und nun gab es da am Sonntag dieses denkwürdige Video, das die Bordkamera von Lewis Hamilton aufzeichnete und das vielleicht einmal als Anschauungs- und Belegmaterial dienen wird, wenn in Zukunft jemand fragt, weswegen der Rennfahrer Lewis Hamilton eine Weltmeisterschaft mehr gewonnen hat als Sebastian Vettel.

Auf dem Sotschi International Street Circuit lief am Sonntag die 25. Runde. Hamiltons Bordkamera zeigte, wie sein Mercedes auf dem Rundkurs am Schwarzen Meer zuflog auf die 13. Kurve. Die Rennwagen müssen dort hart bremsen. Aber Hamiltons Mercedes flog so schnell vorbei an einem kleinen, grauen Punkt, den die Kamera am rechten Fahrbandrand einfing, dass sich der Beobachter fragte, ob der im Vergleich unfasslich langsame graue Punkt überhaupt ein Rennwagen war? Oder doch eine Feldmaus auf dem Weg in ihr Winterquartier?

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Der Ferrari-Pilot wird beim großen Preis von Sotschi nur Dritter hinter den beiden Mercedes-Fahrern Hamilton und Bottas. Die demonstrieren erneut ihre Stärke.

In der Wiederholung erschloss sich dem Betrachter, dass der graue Punkt tatsächlich der Dienstwagen von Valtteri Bottas war: Hamiltons Teamkollege, der beim Russland Grand-Prix von der Pole Position ins Rennen gestartet war und das Rennen 25 Runden locker angeführt hatte. Und der nun fast parkte vor Kurve 13. Allerdings nicht aus Liebe zu Hamilton. "Du musst Lewis in dieser Runde vorbeilassen, in der 13. Kurve!", das hatte der Finne kurz zuvor im Boxenfunk erfahren. Und nun hielt sich Bottas brav an diese recht präzise Handlungsanweisung.

Die Stallorder wäre nicht einmal nötig gewesen

Hamilton zog also vorbei an Bottas und gewann das Rennen. Und Bottas schmiegte sich nach seinem Ausritt auf den Standstreifen auch noch als Puffer zwischen Hamilton und Vettel, um dem Briten noch drei weitere Punkte im Duell um die Weltmeisterschaft zu sichern. "Es ist eine sehr peinliche Situation", gestand Hamilton. "Valtteri ist ein Gentleman. Er hat hier einen super Job gemacht.

Ich kann verstehen, wenn er enttäuscht ist." Fünf Rennen sind noch zu fahren in dieser Saison, Vettels Rückstand in der Gesamtwertung beträgt 50 Punkte. Zum ersten Mal in dieser lange Zeit so spannenden Saison ist ein Punkt erreicht, an dem er sich den Titel nicht mehr aus eigener Kraft verdienen kann. Selbst wenn Vettel alle Rennen gewinnen sollte, muss Hamilton Fehler begehen. Aber wer, bitteschön, glaubt noch daran? Fährt der Brite doch so schnell und so konstant wie niemals zuvor. Und die Ingenieure von Mercedes haben seit dem Rennen in Singapur vor zwei Wochen auch wieder den Geschwindigkeitsvorsprung von Ferrari gekontert.

Und das ist dann auch die wirkliche Pointe an dieser Geschichte um den selbstlos parkenden Bottas am Schwarzen Meer: Die Stallorder wäre nicht einmal nötig gewesen. Mercedes ging es nur darum, sich für alle Eventualitäten abzusichern. Hamiltons Reifen bauten schnell ab, Vettel schloss auf zu ihm.

Und wie hatte Mercedes-Teamchef Toto Wolff schon vor dem Rennen gesagt? Er "liebe es, wenn unsere Jungs gegeneinander kämpfen", meinte Wolff (was früher nicht so war, als die Jungs noch Hamilton und Nico Rosberg hießen). "Aber wir sind an einem Punkt in der Weltmeisterschaft angelangt, an dem ich Zweikämpfe zwischen zwei Mercedes nicht gerne sehe. Als Rennfan hasst du Teamorder. Als Teamchef musst du anders denken." Den Hass mancher Rennfans wird Mercedes nun ertragen müssen in den kommenden Tagen.

Gut, es gab schon plumpere Stallorder in der Geschichte der Formel 1. 2002 war jener berühmte Funkspruch von Ferrari-Teamchef Jean Todt in Spielberg zu hören: "Rubens (Barrichello, d. Red.), it's last lap. Let Michael (Schumacher) pass for the championship! Let Michael pass for the championship! Rubens, please!" Aber verbrieft sind auch schon weit klandestinere Methoden, um den einen Rennfahrer, der um die WM fährt, an seinem Teamkollegen vorbeizuschleusen. Bei einem Boxenstopp beispielsweise - indem dem einen Auto die Reifen wesentlich langsamer gewechselt werden als dem anderen. Aber gut. Sicher ist sicher, haben sie sich nun gedacht bei Mercedes. Und so eine Stallorder, in der Kimi Räikkönen Platz gemacht hätte für Vettel, hätte die Ferrari in Monza nicht auch ziemlich gut getan?

Die schlechte Nachricht für Vettel vor dem Rennstart in Sotschi war nicht einmal so sehr sein dritter Startplatz. Sein Problem war eher, dass er in der Woche in Russland permanent eine halbe Sekunde langsamer gefahren war als Hamilton.

Sotschi ist ohnehin keine der überholfreundlichen Strecken im Rennkalender, auch wenn Max Verstappen diese Erkenntnis am Sonntag konterkarierte, indem er in seinem Red Bull von Startplatz 19 noch vorfuhr auf Rang fünf. Auf der knapp einen Kilometer langen Gerade nach dem Start bis zum ersten Bremspunkt kann der Windschatten beim Vorbeirollen helfen. Bottas hatte auf diese Weise vor einem Jahr beide Ferraris überholt und das Rennen gewonnen. Deshalb machten seit Samstag sogar Verschwörungstheorien die Runde, Hamilton habe möglicherweise einen klitzekleinen Fehler in seine schnellste Runde in der Qualifikation montiert, um hinter Bottas zu starten und so Vettels Überholversuche aus dem Windschatten hinter Bottas zu kontern.

Vettel kam nach dem Start deutlich schneller vom Fleck als Hamilton, er schob sich links vorbei am Mercedes, lag sogar mit seinem Frontflügel in Führung. Dann aber beschleunigte Hamilton und setzte sich wieder auf Position zwei. Vor ihm hielt Bottas seinen Mercedes auf der Innenspur, in der lang gezogenen dritten Kurve versuchte es Vettel kurz außen herum, aber die Mercedes blieben vorne.

Wenn in Sotschi nichts Aufregendes passiert beim Start, dann kann es schnell sehr langweilig werden. Die beiden Mercedes fuhren gleich schnelle Zeiten und verwalteten das Rennen mit etwa so viel Ruhe und Übersicht wie eine Ticketmaschine die Masse im Wartesaal des Kreisverwaltungsreferats. Sie hielten die Ferraris gerade auf genug Distanz, dass sie im DRS-Fenster nicht dicht genug aufgefahren waren, um ihre Heckflügel abzusenken.

Die Leichtigkeit, mit der Hamilton nach dem Boxenstopp Vettel überholte war erschreckend

Nach 13 Runden fuhr Bottas an die Box, eine Runde später kam Vettel, dann folgte Hamilton. Und als Hamilton wieder zurückfuhr auf die Strecke, da sortierte er sich überraschend hinter Vettel ein, der sich nun im Sandwich der Mercedes befand. "Wie konnte das denn bitte passieren?", funkte Hamilton - und Wolff schlug in der Box vor Wut mit der Faust auf den Tisch. Der Ärger war selbstredend völlig übertrieben. Angesichts der Leichtigkeit, mit der Hamilton nur ein paar Kurven später wieder locker vorbeifuhr an Vettel mit einem fast unwirklichen Geschwindigkeitsüberschuss. In jenem Moment, in dem Vettel noch vergeblich von links nach rechts zuckte, und von rechts nach links, um Hamilton den Weg zu versperren, da sah sein Ferrari nicht mehr wie ein Rennwagen aus. Sondern wie ein Hase, der auf der Flucht vor dem Fuchs noch ein paar gut gemeinte Haken schlägt, ehe er ja doch verspeist wird.

"Sie haben hervorragend zusammengearbeitet heute", meinte Vettel. Er dachte da an Bottas und Hamilton.

© SZ vom 01.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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