Formel 1:Ein Bremsklotz rettet Vettel

Lesezeit: 4 min

Ließ sich im Rausch des Sieges auf keine Debatte ein: "Ich bin auf Wolke sieben, das war ein ganz, ganz schwieriges Rennen für mich", sagte Vettel. (Foto: Darko Bandic/AP)
  • Sebastian Vettel gewinnt den Großen Preis von Ungarn, obwohl er die Hälfte des Rennens Probleme mit der Lenkung hat.
  • Das liegt auch daran, dass Teamkollege Kimi Räikkönen ihn vor Attacken der Mercedes-Fahrer abschirmt.
  • Weil Mercedes eine Stallorder zurücknimmt, geht die Formel 1 mit einer Fairplay-Debatte in die Sommerpause.

Von Philipp Schneider, Mogyoród/München

Kimi Räikkönen lässt sich Zorn nicht ansehen. Wenn Räikkönen sauer ist, dann sitzt er nach einem Rennen ganz lieb auf einem Stuhl in der Ecke eines Raumes, der den drei Bestplatzierten zur Vorbereitung auf die Siegerehrung vorbehalten ist. Dort wartet er auf denjenigen, auf den er sauer ist, und dann schlägt er beim Rennsieger, der er ja selber hätte sein können, mit viel Kraft ein und gratuliert auch noch höflich.

Wobei, weiß man es?

Es ist ja nun wirklich nicht auszuschließen, dass der lakonische Finne nicht einmal sauer war auf Sebastian Vettel. Möglicherweise ließ er nach Rennende einfach alles geschehen, nachdem er zuvor über Funk schon gemeckert hatte. In jedem Fall aber geht die Formel 1 nach diesem Grand Prix in Ungarn nun mit einer Fairplay-Debatte in die Sommerpause. Denn Mercedes hatte in der letzten Runde - wie zuvor über Funk versprochen - Valtteri Bottas auf seinen verdienten dritten Platz zurückgelassen, den er vorübergehend seinem Teamkollegen Lewis Hamilton überlassen hatte. Ferrari dagegen hatte Räikkönen nicht an Vettel vorbeigelotst, obwohl der die Hälfte des Rennens Probleme mit seiner Lenkung hatte und viel langsamer war.

SZ.de-App
:Die wichtigsten Sport-News - direkt auf Ihrem Smartphone

Neu in der SZ.de-App: Analysen und Ergebnisse im Fußball und bei wichtigen Sportereignissen direkt als Push-Mitteilung auf Ihrem Smartphone.

"Was für ein (biep) Verlierer!", funkte Ricciardo, nachdem ihn Verstappen gerammt hatte

"Ferrari war heute unschlagbar. Das einzige Problem war Vettels schiefes Lenkrad", sagte Mercedes' Teamaufsichtsrat Niki Lauda: "Wir haben immer gesagt, es gibt keine Teamorder." Und auch Teamchef Toto Wolff ließ sich nun ein bisschen feiern für die drei Punkte, auf die Hamilton in der Gesamtwertung verzichtet hatte. "Es ist ein super sportlicher Move, der auf den ersten Blick vielleicht ein bisschen naiv ist", sagte Wolff: "Wir sind das erste Team, das so etwas gemacht hat - den Meisterschaftsführenden zurück zu ordern." Im Rausch des Sieges wiederum war Vettel eine Debatte um Fairplay in etwa so wichtig wie Helge Schneider ein guter Sitz seiner Frisur. "Ich bin auf Wolke sieben, das war ein ganz, ganz schwieriges Rennen für mich. Ich hatte alle Hände voll zu tun!", sagte Vettel, gab dann aber zu: "Ich schulde Kimi wirklich einen Riesen-Gefallen."

Vier Rennen in Serie hatte Ferrari nicht mehr gewonnen. Nach dem Grand Prix in England, bei dem Mercedes einen Doppelsieg eingefahren hatte und Hamilton das ganze Wochenende mit einem seiner fast irrwitzigen Überlegenheit geschuldeten Lächeln umher laufen durfte, war ja mancherorts schon die große Wende im Kampf um die Weltmeisterschaft ausgerufen worden. Auf einen Punkt Vorsprung war Vettels Führung vor dem Rennen auf dem Hungaroring geschrumpft, nun beträgt sie wieder 14 Zähler. Aber bis dahin war es ein langer Weg für Vettel. Mit seinem sonderbar schiefen Lenkrad, mit dem er im Privatwagen nicht einmal dann durch den TÜV gekommen wäre, wenn der abnehmende Techniker ein guter Kumpel wäre.

Verstappen wird für Rempler bestraft

"Es ist sehr weit bis zur ersten Kurve, vielleicht geht da was", hatte Hamilton vor dem Start erklärt - weil er nach dem Qualifying die erste Reihe den auf dem langsamen Hungaroring überlegenen Ferraris überlassen musste. Vettel stand vor Räikkönen, dahinter parkte Bottas vor Hamilton. Für ihn ging dann allerdings nichts vor der ersten Kurve. Zumindest nicht nach vorne. Hamilton startete gut, hing aber vor der ersten Biege fest hinter Bottas. Diese Chance nutzen beide Red Bulls, die Hamilton passierten: Max Verstappen links, Daniel Ricciardo rechts. Hamilton war also kurzzeitig nur noch Sechster - ehe die Red Bulls kollidierten. Verstappen hatte sich verbremst und war in Ricciardos Seite gerumpelt. Für den Australier ging es nicht weiter, aus seinem Kühler, gesprengt von Verstappens rechtem Vorderrad, spritzte Wasser. Und raus fuhr das Safety Car.

Verstappen bekam für den Rempler eine Zehn-Sekunden-Parkstrafe in der Box aufgebrummt, lag aber trotzdem für einige Runden als Puffer zwischen Bottas und Hamilton. Viel schlimmer hätte der Start für Red Bull nicht laufen können. Ricciardo war entsprechend bedient, über Funk erkundigte er sich nach dem Verursacher seines Kühlerplatzers: "War es der, den ich annehme?" "Ja", lautete die Antwort. "Was für ein (biep) Verlierer!" Das entscheidende Wort fiel der Zensur zum Opfer. Später, als er sich ein wenig beruhigt hatte, sagte Ricciardo: "Du kannst einen Crash haben, der einen Grund hat. Oder so einen."

Für Ferrari wiederum hätte der Start nur dann besser laufen können, hätte Verstappen nicht kurzzeitig die Beherrschung verloren. An der Spitze drehte Vettel nach sieben Umdrehungen ganz locker die schnellste Runde - und war dabei eine Sekunde schneller als Bottas.

30 Grad Außentemperatur, 55 Grad Streckentemperatur notierten die Meteorologen am Hungaroring. "Ich bin sicher, dass die Hinterreifen sterben werden - mit einem Stopp kommen wir niemals durch", funkte Hamilton vor dem Start. Aber das mochte ein Trick der Kategorie Täuschen-und-Tarnen gewesen sein. Nach 18 Runden hing der WM-Zweite noch immer fest hinter Verstappen, genau wie nach 19, und auch nach 24 Umdrehungen. Erst nach 32 Runden hatte Hamilton genug und rollte als erster Fahrer aus der Spitzengruppe an die Box. Und eine Runde später folgte schon Vettel. Er hatte ja massive Probleme.

Sein Lenkrad ziehe zur Seite, funkte er. Das ließ sich auch daran erkennen, dass er sein Lenkrad auf der Geraden eingeschlagen hatte wie bei einer Linkskurve. Sein Vorsprung auf Räikkönen, der natürlich deutlich schneller hätte rollen können, schrumpfte auf 1,1 Sekunden. Als beide Ferraris abgefertigt waren an der Box, lag Vettel ganz knapp vor ihm. Und weil Vettels Probleme mit der Lenkung bestehen blieben, rückten Bottas und Hamilton immer näher heran die Ferraris.

Räikkönen forderte einen Platztausch: "Ich kriege immer mehr Druck von den Mercedes!" Auch Hamilton bat sein Team indirekt um eine sogenannte Stallorder: "Ich habe viel Speed im Auto, kann ihn aber nicht nutzen!"

Mercedes lotste Hamilton vorbei an Bottas, versprach ihm aber, sollte Hamilton nicht innerhalb von fünf Runden an Räikkönen vorbeikommen, einen späteren Platztausch. Ferrari wiederum ließ Räikkönen nicht an Vettel vorbei. Und so kam es, dass der WM-Führende die drei Fahrer hinter ihm so sehr bremste, dass die schnellsten Runden plötzlich Verstappen drehte, der nach abgebüßter Strafe wieder auf Position fünf lag. Die Erregung des als Bremsklotz missbrauchten Räikkönen steigerte sich vor Rennende wie der Wasserpegel bei einer Springflut. "Ich ruiniere mir hinter Sebastian nur die Reifen. Ist es das, was wir wollen?", raunzte er ins Helmmikrofon.

Motorsport
:Rasen auf der Wiesn: Formel E prüft Umzug nach München

Sollte die Rennserie nach München kommen, winkt prominenter Besuch: Milliardär Richard Branson gehört ein beteiligter Rennstall, Schauspieler Leonardo di Caprio ist ebenfalls Miteigentümer eines Teams.

Von Stefan Mayr

Nun, das war zumindest das, was Ferrari wollte. Und der Plan ging auf.

© SZ vom 31.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: