Formel-1-Fahrer Daniel Ricciardo:Mit 34 zurück im Ausbildungswagen

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Da ist er wieder: Daniel Ricciardo nimmt in Ungarn Platz in einem Alpha Tauri. (Foto: Attila Kisbenedek/AFP)

Warum entlässt Red Bull im Farmteam Alpha Tauri schon nach zehn Rennen Nyck de Vries und übergibt das Cockpit dem erfahrenen Daniel Ricciardo? Für den an der Seite von Max Verstappen schwächelnde Sergio Perez ist die Rochade eine Warnung.

Von Philipp Schneider, Budapest/München

Jetzt, da im Fahrerlager von Budapest mal wieder über die Frage diskutiert wird, ob in der Formel 1 ein so harter Verdrängungswettbewerb tobt, dass Charles Darwin dort bessere Belege für seine Evolutionstheorie gefunden hätte als auf den Galapagos Inseln, lohnt sich ein Besuch bei Lewis Hamilton. Der siebenmalige Weltmeister kennt die Rennserie ganz gut, und auch Nyck de Vries. Jenen 28-jährigen Niederländer, den der Rennstall Red Bull nach dem vergangenen Grand Prix in Silverstone aus einem seiner Ausbildungsfahrzeuge bei Alpha Tauri katapultiert hat.

Im Vorjahr noch war der ehemalige Formel-E-Weltmeister de Vries als Testfahrer bei Hamiltons Arbeitgeber Mercedes angestellt; und als vor dem Großen Preis von Italien Alexander Albon erkrankt ausfiel, sprang de Vries kurzfristig in dessen Williams, steuerte den hoffnungslos langsamen Rennwagen spektakulär auf Platz neun - und wurde von den Fans zum Fahrer des Tages gewählt.

"So macht es Red Bull nun einmal", sagt Lewis Hamilton

Hoppla, dachten sie bei Red Bull: Vielleicht ist dieser Nyck de Vries ja ein ganz brauchbarer Pilot! Zu Saisonbeginn vertrauten sie ihm einen Alpha Tauri an - aber jetzt ist er schon wieder raus. Nach nur zehn Rennen. Hinter sein Steuer klemmt sich schon an diesem Wochenende der Australier Daniel Ricciardo, 34, der nach seinem Rauswurf bei McLaren in diesem Jahr kein Stammcockpit besaß.

Frage also an Lewis Hamilton: Ob es sein könne, dass de Vries zu früh entlassen wurde? "Ja", brummt er zurück. "Aber so macht es Red Bull nun einmal." Nachfrage: Kann man nicht sagen, dass es so in der Formel 1 grundsätzlich läuft? Nein, eher nicht, sagt Hamilton: "Man könnte sagen, dass es bei Red Bull so läuft."

Um zu verstehen, was Hamilton meint, lohnt der Blick auf ein paar Zahlen. Seit 2013 ist der 38-jährige Brite bei Mercedes angestellt. In den elf Jahren hatte er exakt drei Teamkollegen: Nico Rosberg, Valtteri Bottas, und nun, bereits im zweiten Jahr: George Russell. Rosberg beendete seine Karriere nach dem Titelgewinn 2016 überraschend auf eigenen Wunsch, und Bottas wurde zumindest nicht im Hochsommer vor die Tür gesetzt. Der Finne verabschiedete sich am Saisonende 2021 mit einer würdevollen Arschbombe in den Hafen von Abu Dhabi, und als er hierfür Anlauf nahm, bespritzten ihn seine Teammitglieder mit Schampus.

Red Bull hingegen? Seit 2005, seinem ersten Jahr in der Formel 1, hat das Team gleich in acht Saisons einen oder sogar mehrere Fahrer während des Jahres ausgetauscht. "Ich war sehr überrascht über die Entscheidung gegen den armen Nyck", sagte dennoch Hamilton in Budapest.

Nyck de Vries wurde 2021 Weltmeister in der Formel E. (Foto: Joe Portlock/Imago)

Nun gehört zum vollständigen Bild die Einsicht, dass der arme Nyck die Konkurrenz nicht gerade aufgeschreckt hat mit seinen Fahrleistungen (null Punkte, bestes Ergebnis: Platz zwölf in Monaco). Und doch stellen sich gerade viele die Frage: Warum holt Teamchef Christian Horner einen 34-jährigen, ehemaligen Red-Bull-Piloten wie Daniel Ricciardo mit der Erfahrung aus 232 Grand Prix in die Formel 1 zurück, um ihm ein Ausbildungsfahrzeug zu übereignen?

Im Langzeitgedächtnis verborgen haben sie bei Red Bull die Erinnerung entdeckt, dass Ricciardo mal ein formidabler Rennfahrer war. Zwischen 2014 und 2018 steuerte der Australier fünf Jahre lang ziemlich seriös einen Red Bull. Im ersten Jahr war er gleich schneller als der viermalige Weltmeister Sebastian Vettel. Und als ihm ab dem fünften Rennen der Saison 2016 der damals 17-jährige Max Verstappen zur Seite gestellt wurde (für den Red Bull Platz schuf, indem sie selbstverständlich mitten im Jahr den Russen Daniil Kwjat in den Toro Rosso degradierten), "da ging es ziemlich eng zu zwischen Daniel und Max", erinnert sich Horner.

Drei Jahre lang duellierten sich Ricciardo und Verstappen, erst im letzten war der Niederländer erfolgreicher. Ricciardo zog Ende 2018 auf eigenen Wunsch weiter, erst mit wenig Erfolg zu Renault, dann mit noch weniger Erfolg zu McLaren. Als ihn der Rennstall aus Woking Ende 2021 vor die Tür setzte, weil ihm zwei Jahre lang der damalige Rookie Lando Norris um die Ohren gesaust war, holte Horner aus alter Verbundenheit Ricciardo als Ersatzfahrer zurück. Bei einem Reifentest in Silverstone im aktuellen Red Bull machte Ricciardo vor wenigen Tagen mächtig Werbung für sich. Seine beste Rundenzeit hätte laut Horner angeblich sogar für einen Platz in der ersten Startreihe beim Grand Prix von Großbritannien gereicht. Bei der Erinnerung an diesen Moment versank Horner tief im Pathos: "Seine Augen begannen zu leuchten. Eine Riesenlast fiel von seinen Schultern. Der alte Daniel ist zurück."

"Was passiert erst, wenn ich mal Weltmeister werde?", fragt Ricciardo und lacht

Sollte der alte Ricciardo tatsächlich zurück sein, dürfte es eng werden für Sergio Perez. Die Personalpolitik bei Red Bull basiert auf zwei Maximen. Erstens: Der Schwächste fliegt. Und: Bringt uns endlich einen Fahrer, der neben Verstappen nicht völlig aus der Rolle fällt! Letzteres trifft auf Verstappens Garagennachbar schon seit Wochen nicht mehr zu. Seit Mai hat Verstappen 162 Punkte gesammelt, Perez nur 69. Noch schlimmer: Während Verstappen die vergangenen fünf Qualifyings gewonnen hat, schaffte es Perez kein einziges Mal in das Q3.

Als Ricciardo am Hungaroring bei der ersten Pressekonferenz nach seiner Rückkehr von einem Ansturm von rund 60 Journalisten überrascht wurde, begrüßte er sie mit einem herrlichen Spruch: "Was passiert erst, wenn ich mal Weltmeister werde?", fragte er und lachte. Wobei: Ein Witz war das vielleicht gar nicht. Dass er sich gerne mit guten Leistungen für das Cockpit von Perez bewerben möchte, gibt er unumwunden zu. "Das ist für mich im Moment der beste Weg", sagte er. "Ich kenne ja Red Bull. Hier kann alles ganz schnell gehen."

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