Formel 1:Angst ist ein schlechter Berater

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Wer Weltmeister werden will, muss die Gelegenheiten nutzen: Carles Leclercs Rennfahrer-Qualitäten sind unbestritten. Die seines Teams noch nicht. (Foto: Clive Mason/Getty)

In dieser Formel-1-Saison hat Ferrari zwar das schnellste Auto, doch prompt leistet sich das Team unerklärliche Fehler - womöglich auch wegen der Furcht vor Mercedes.

Von Elmar Brümmer, Baku

Das Hörspiel von Monte Carlo bewegt auch noch gut zwei Wochen später die Formel-1-Gemeinde. Der Rennzirkus ist inzwischen von der Cote d'Azur zum nächsten Straßenkurs nach Baku in Aserbaidschan weitergezogen, aber die Rufe vom Ferrari-Kommandostand hallen nach. Erst ein schon leicht hektisches: "Komm rein, Charles." Gefolgt von einem panischen Warnruf: "Bleib draußen! Bleib draußen!" Aber da war der potenzielle Rennsieger schon drin, musste sich hinter dem zeitgleich hereingerufenen Kollegen Charles Sainz anstellen.

Der chaotische Boxenstopp vermasselte dem Monegassen den ersehnten Heimsieg. Solche Unzulänglichkeiten können ihn am Ende sogar den Titel kosten. Die Fassungslosigkeit Leclercs über den Boxenfunk unterstreicht die bangen Sorgen: "Was, verdammt noch mal, machen wir da?"

Endlich hat Ferrari das beste Auto im Feld, das gilt auch vor dem achten WM-Lauf noch. Red Bull Racing aber hat aufgeholt, zuletzt sogar überholt. Beide Spitzenteams treibt auch die Angst davor um, dass Mercedes bei seiner Aufholjagd kräftig zulegt und es bald zu einem Dreikampf kommen könnte. Deshalb schmerzen Niederlagen wie in Monaco so. Es geht dabei gar nicht einmal ums Prestige, sondern zuerst um die nackten Punkte. Wer Weltmeister werden will, muss die sicheren Gelegenheiten nutzen. Gerade jetzt. Ferrari ist ja nicht irgendein Team, es ist ein Herzstück der Formel 1.

"Bleib draußen!" - Aber da war er schon drin. Ein chaotischer Boxenstopp seines Ferrari-Teams bremst Leclerc in Monaco. (Foto: Christian Bruna/AP)

Niemand zelebriert so schön, niemand leidet so sehr. Immer, wenn es wieder aufwärts geht mit den roten Rennwagen, freut das auch Fans, die sonst nichts mit einzelnen Farben zu tun haben. Immer aber fragen sie sich auch, ob sie diesmal dem Aufschwung trauen können.

Dabei ist die Frage vielmehr die: Traut Ferrari sich selbst?

Ferrari-Teamchef Mattia Binotto findet seit Jahren immer jemand anderen, der die Schuld trägt

Mattia Binotto, 52, ist kein Mann der lauten Worte. Er spricht überlegt, wirkt manchmal bedächtig, und prinzipiell hat Ferrari meistens keine Schuld. So geht das schon seit ein paar Jahren, und der Ingenieur ist gut damit gefahren. Erst war er Technikchef, dann wurde er Teamchef, dann Technik- und Teamchef, jetzt ist er wieder Teamchef. Mit seiner putzigen Brille und seiner schwer zu bändigenden Frisur wirkt er nicht wie ein Machiavelli, aber er dürfte die nötigen Winkelzüge beherrschen.

Denn in dieser Zeit hat die Scuderia heftige Machtkämpfe durchlebt, zwei mögliche Titel mit Sebastian Vettel verspielt, einen nicht regelkonformen Motor eingesetzt, das schlechteste Endergebnis seit vier Jahrzehnten abgeliefert und schließlich ein technisches Sabbatical-Jahr eingelegt. Mit dem neuen Reglement ist Ferrari wieder da - und Binotto immer noch. Der Mann ist zäh, und er hat immer den Blick nach vorn. Das hat er als junger Techniker von Michael Schumacher gelernt. Der BBC sagte er: "Ein Team, das sind Menschen, Kultur, Werkzeuge und Methoden."

Kenner der Kurven, Schrauben und Winkelzüge: Ferrari-Teamchef Mattia Binotto. (Foto: HochZwei/Imago)

Binotto ist der, der den ersten Fahrertitel seit 2007 und die erste Konstrukteursweltmeisterschaft seit 14 Jahren nach Maranello holen soll, ja: muss. Auch wenn er zur Relativierung neigt und im nichtssagenden Konzernjargon davon spricht, sein Ziel doch schon erreicht zu haben: "Wir wollten 2022 wieder wettbewerbsfähig sein, und das wollen wir immer noch. Es wäre völlig falsch, daraus zu schließen, dass wir Weltmeister werden müssen." Eine etwas merkwürdige Logik, gerade in diesem Sport, in dem alles auf die Spitze getrieben wird.

In der Realität ist die Chance gerade so gut wie lange nicht für Ferrari, und jetzt tiefzustapeln, nur um Druck von der Mannschaft (und sich selbst) zu nehmen, dürfte den Ferraristi nicht gefallen. Binotto bleibt stur, und er denkt, dass er sich damit nach bester Management-Theorie absichert: "Weltmeister werden, das ist noch einmal eine ganz andere Sache." Besser werden, darum gehe es, immer besser. Fehler und Fehleinschätzungen wie beim Timing in Monte Carlo zeigen, dass da in der Tat noch Luft nach oben ist. Dass der anschließende Protest gegen eine angebliche Linienüberschreitung der Red-Bull-Fahrer bei der Boxenausfahrt kläglich scheiterte, malte schon fast ein Bild der Verzweiflung.

Auch Red Bull ist weit entfernt von gewohnter Stabilität: Verstappen hat 36 Punkte durch Defekte verloren

Beim achten WM-Lauf steht deshalb mehr als nur Wiedergutmachung auf dem Spiel. Nach drei Rennen hatte Charles Leclerc einen Vorsprung von 46 Punkten auf Max Verstappen, in den vergangenen vier Rennen haben die Gegner 55 Zähler gutmachen können. Dabei ist Red Bull Racing ebenfalls weit entfernt von der gewohnten Stabilität, Verstappen hat 36 Punkte durch technische Defekte verloren. Auch in der Mannschaftswertung hat Ferrari seine Führung innerhalb von nur zwei Rennen verspielt, liegt nun mit 36 Zählern hinter Red Bull.

Leclercs Absturz ist noch dramatischer: Ein Fahrfehler kostete ihn das Podest in Imola, in Barcelona versagte der Motor, jetzt folgte die Strategiepanne. Aus fünf Pole-Positionen nur zwei Siege zu machen, das ist dürftig. Kann der 24-Jährige da noch mit ruhiger Hand dirigieren, oder wird Ferrari wieder zum Panikorchester, das alles verspielt? Der Gesamtzweite gibt zu, dass der letzte Rückschlag besonders weh getan hat. "Fokussieren", ruft Binotto, "fokussieren auf jedes Rennen und jedes Mal aufs Neue!" Nachdem der erste Aufschwung weg ist, braucht es jetzt richtig Schwung.

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