Fernando Alonso in der Formel 1:Sie nennen ihn Pate

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Zurück im Fahrerlager der Formel 1: In seinem zweijährigen Sabbatical will Fernando Alonso wieder angreifen. (Foto: Mark Sutton /Motorsport Images/imago)

Der zweimalige Weltmeister Fernando Alonso will der Welt mit 39 Jahren noch einmal beweisen, wie sehr er es draufhat - und muss dafür eine neue Rolle ausfüllen.

Von Philipp Schneider

"Em" oder "en"? Them oder then? Auf Deutsch: Sie oder damals? Die englische Sprache wird zu Recht gerühmt für ihre Präzision. Aber das hilft ja alles nichts, wenn im Zeitalter der Maske ganze Silben im engmaschigen Stoff hängenbleiben, die sich Reporter und Rennfahrer vor den Mund schnallen.

Andererseits: Dieses Missverständnis im Gespräch mit der BBC hätte garantiert nur Fernando Alonso bei seiner Rückkehr in die Formel 1 passieren können: Ob er nach seiner zweijährigen Auszeit noch so gut sei wie zum Beispiel Lewis Hamilton oder Max Verstappen, wurde Alonso gefragt. "Nein, ich bin besser", sagte er. Und schon raste eine Eilmeldung um den Planeten: Obacht, Alonso hält sich auch mit 39 Jahren noch für den König der Welt!

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Was die Testfahrten angedeutet haben, bestätigt sich beim ersten Rennen in Bahrain: Mercedes ist nicht mehr unverwundbar. Es könnte die spannendste Saison seit Jahren werden - auch dank Max Verstappen.

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Alonso stoppte die Nachrichtenticker schnellstmöglich mit einer Klarstellung. "Ich dachte, die Frage wäre, ob ich so gut wie 2018 bin, als ich den Sport verlassen habe." Er wähnte sich also besser als "then" - nicht besser als "them". Das war glaubwürdig. Aber der entscheidende Punkt war ja der: Bei jedem anderen Fahrer hätte die BBC wohl noch mal nachgefragt, ob der Antwort nicht vielleicht ein Hörproblem zugrunde gelegen haben könnte. Nur Fernando Alonso Díaz aus Oviedo in Spanien war so viel Selbstbewusstsein auch mit 39 noch zuzutrauen.

Alonso wettet darauf, in einem Auto zu sitzen, in dem er zumindest in Zukunft gewinnen könnte

Als er vor zweieinhalb Jahren nach 312 Rennen, 32 Siegen, 22 Pole Positions und zwei Weltmeistertiteln seinen Abschied aus der Formel 1 verkündete, da erklärte Alonso, er sage "goodbye" aus einem Grund: "Es gibt zwei Teams, mit denen man gewinnen kann. Und beide machen in Zukunft mit ihren Fahrern weiter." Also nicht mit ihm.

Am Donnerstag sitzt Alonso auf einem Stuhl an der Rennstrecke in Imola, er trägt die Kluft eines Teams, das es unter diesem Namen vor zweieinhalb Jahren noch gar nicht gab: "Alpine" wurde es vor der Saison getauft, doch unter dem Aufkleber verbirgt sich das alte Werksteam von Renault. Es ist keines der Teams, mit denen man vor Alonsos Abschied gewinnen konnte, oder nach seiner Rückkehr gewinnen könnte. Aber Alonso ist trotzdem wieder da. Warum?

Vielleicht, weil es zumindest die Truppe ist, mit der er 2005 und 2006 seine zwei Weltmeisterschaften und 18 Rennsiege einfuhr. Und garantiert auch deshalb, weil er darauf wettet, dass er in einem Auto sitzt, in dem er zumindest in Zukunft mal gewinnen könnte - irgendwann nach 2022, wenn ein rundum neues Reglement das Kräfteverhältnis in der Formel 1 durcheinanderwirbeln wird. Und weil schon seit dieser Saison ein Kostendeckel greift, der die Kluft zwischen Mercedes, Ferrari, Red Bull und den Mittelklasseteams verringert. Dass dabei vor allem eines hervorsticht in der noch jungen Saison, ist nicht ohne Ironie: McLaren, von wo Alonso 2018 floh, das allerdings erst danach vom neuen Teamchef Andreas Seidl völlig umgekrempelt und professionalisiert wurde.

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Sebastian Vettel fühlt sich in seinem neuen Auto noch nicht wohl. Kaum setzt er sich in den Aston Martin, zieht all das ins Cockpit ein, was ihn schon bei Ferrari so unglücklich machte.

Von Philipp Schneider

Alonso hat in seiner Karriere noch nie den Einsatz von Mitteln gescheut, die für andere nicht infrage kamen

Eine tolle Strecke sei dieser Autodromo Enzo e Dino Ferrari, sagt Alonso am Donnerstag, wunderschön. Er grinst. "Ich erinnere mich, als ich hier mit Renault vor Ferrari gewonnen habe oder mit McLaren in Monza die Ferrari geschlagen habe. Das ist nie eine gute Sache! Aber die Enttäuschung der Tifosi konnte meine Freude nicht schmälern." Ein typischer Satz von Alonso war das. Hinten raus schön doppelbödig.

2010 war er ja selbst mal dem Ruf von Ferrari gefolgt. Seinetwegen musste sogar Kimi Räikkönen gehen. Trotz Vertrags. Alonso hat in seiner Karriere noch nie den Einsatz von Mitteln gescheut, die für andere nicht infrage kamen. Fünf Jahre lang fuhr er bei der Scuderia mit seinem übersprudelnden Talent gegen schnellere Autos an, vor allem gegen Sebastian Vettel im Red Bull. Zweimal verpasste er den Titel knapp, ehe er zwei Jahre vor Vertragsende beschloss, Ferrari zu verlassen. Er mobbte so lange gegen das Team, bis niemand mehr mit ihm arbeiten wollte. Was für andere Menschen ein Alptraum ist, versteht Alonso als Taktik. Danach wollte ihn kein Spitzenteam mehr haben. Alonso landete bei McLaren. Dort mobbte er gegen die stolzen Ingenieure des Motorenpartners Honda, die ihn aus seiner Sicht auf einem müden Klepper reiten ließen. Und als der Motor im Training einmal gänzlich streikte, stieg Alonso aus dem Wagen und fläzte sich an der Strecke von Interlagos demonstrativ in dem Campingstuhl eines Streckenpostens. Das ikonische Foto ging um die Welt.

Legendäre Inszenierung: 2015 in Interlagos stieg Fernando Alonso aus seinem McLaren und sonnte sich gelangweilt auf einem Campingstuhl. (Foto: imago sportfotodienst/Crash Media Group)

Wegen seines Charakters wurde Alonso aus Sicht vieler Beobachter zur tragischen Figur. In der klassischen Tragödie ist der Protagonist allerdings ohne Schuld. Das war Alonso nie. Niemand wollte ihn haben, obwohl er vielen als der kompletteste Rennfahrer der Welt galt. Vielleicht nicht als der schnellste, aber als der schlaueste. Nicht als der mutigste, aber der feinfühligste. Garantiert nicht als der pflegeleichteste, schon eher als der skrupelloseste.

Aber mit seiner Analyse der Formel 1 hatte Alonso Recht, als er sich 2018 verabschiedete. Diese sei eine Konstrukteurs-Weltmeisterschaft, vor allem die Güte des Autos entscheide über die Zahl der Pokale, nicht das Talent des Fahrers. Und so ging Alonso als ein Unvollendeter. Als einer, der auszog in die Welt, um ihr zu beweisen, wie sehr er es draufhat, wenn er nicht gerade von minderwertiger Technik ausgebremst wird. Die "Triple Crown" wollte er erobern, die sich diejenigen aufsetzen, die bei den drei berühmtesten Rennen der Welt gewinnen: beim Grand Prix von Monaco, bei den Indy 500 und bei den 24 Stunden in Le Mans. Das gelang nur dem Briten Graham Hill. Alonso griff nur knapp neben die Krone. Le Mans gewann er zweimal, in Indianapolis verfehlte er 2019 die Qualifikation, 2017 aber lag er sogar in Führung. Bis plötzlich Rauch aus seinem Motor stieg. Honda hatte ihn gebaut. Es sah aus wie Rache der Japaner.

Und jetzt ist Alonso wieder zurück in der Formel 1, er fährt an der Seite des 15 Jahre jüngeren Esteban Ocon. Nicht mal ein Unfall auf dem Rennrad im Februar hat ihn stoppen können, bei dem er sich den Kiefer brach. Drei Beweise muss er antreten: Dass ein außerordentlicher Rennfahrer wie er auch mit 39 noch schnell ist. Dass er zum ersten Mal in seiner Karriere Teil eines harmonischen Teams sein kann, obwohl sich dessen sportlicher Erfolg im überschaubaren Rahmen halten wird. Und dass er in der Lage ist, mit diesem Team ein neues Auto auf die Straße zu setzen, mit dem er ab 2022 um den Titel fahren kann. "Er hat eine andere Rolle als noch vor 15 Jahren. Er ist der Pate von allen hier", sagt Renault-Geschäftsführer Luca de Meo. Man mag eine Weile darüber grübeln, wie genau er das wohl meint.

Beim Saisonauftakt in Bahrain sah Alonso die Zielflagge nicht. Er lag auf Platz 17, als sich ein Sandwichpapier im hinteren Bremsschacht seines Autos verfing. Ja, ein Sandwichpapier. Die Bremsen liefen heiß, Alonso parkte aus Sicherheitsgründen an der Box. Und sagen wir so: Solang niemand weiß, welcher Bahrainer da sein Sandwichpapier so gedankenlos im Winde fliegen ließ, bleibt es sicher friedlich in Alonsos neuer Heimat Alpine.

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