Deutsche Nationalmannschaft:Koalitionsverhandlungen in der eigenen Partei

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Damals noch voller Zuversicht: Hansi Flick (re.) und Bernd Neuendorf, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), bei der Gruppenauslosung für die WM im April. (Foto: Christian Charisius/dpa)

Am Mittwoch soll es in Frankfurt zu einem politisch kuriosen Treffen kommen: DFB-Präsident Neuendorf und DFB-Vizepräsident Watzke haben sich mit Bundestrainer Flick und dem DFB-Geschäftsführer Bierhoff zur WM-Analyse verabredet.

Von Christof Kneer, Doha

Es wäre eine spannende Frage gewesen an diesem Montag: Würde der Deutsche Fußball-Bund einen Spieler abstellen für die Pressekonferenz vor dem Achtelfinale gegen Marokko? Oder würde wieder nur der Bundestrainer Flick einen Shuttle besteigen, um die Höllentour vom DFB-Quartier im Norden Katars ins 76,1 Kilometer entfernte Medienzentrum in Doha zu unternehmen? Zu vermuten ist: Die Deutschen hätten einen Spieler geschickt.

Sicher ist dagegen: Es ist jetzt auch egal. Die Deutschen sind längst daheim - und dass sie in diesen Stunden gar niemanden vor die Presse schicken, kann man sogar verstehen. Nicht mal der in Doha zur weiteren Turnierbeobachtung verbliebene DFB-Analysestab soll sich äußern, auch nicht zur künftigen Ausbildung von Rechtsverteidigern. Jedes Wort kann im Moment eines zu viel sein.

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Mindestens bis Mittwoch soll das allgemeine Schweigegelübde gelten, an diesem Tag soll es in Frankfurt zu einem politisch kuriosen Treffen kommen. Es ist, als würden Angehörige derselben Fraktion Koalitionsverhandlungen führen. DFB-Präsident Bernd Neuendorf und DFB-Vizepräsident Hans-Joachim Watzke haben sich mit Bundestrainer Flick und dem DFB-Geschäftsführer Oliver Bierhoff zur WM-Analyse verabredet, was ein wenig nach Powerpoint klingt. Es wird allerdings weniger um das Pressing der Japaner und die künftige Position von Leon Goretzka gehen, sondern ums große Ganze. Werden diese vier Männer auch weiter zusammenarbeiten, und wenn ja, in welcher Konstellation?

Wie und in welcher Konstellation geht es weiter beim DFB?

Flick beobachtet in der Heimat aufmerksam, wie sich Öffentlichkeit und Teile des eigenen Verbands am Manager Bierhoff abarbeiten, der eine prima Projektionsfläche für die aktuelle Nationalmannschafts-Verdrossenheit der Deutschen abgibt. Flick gefällt diese Debatte nicht. Er kennt Bierhoff lange und vertraut ihm enorm, auch in Katar war der Manager bei jeder Teamsitzung dabei.

Flick ist zum Beispiel stolz darauf, dass von den Mannschaftsaufstellungen nichts nach draußen gedrungen ist, so stellt er sich die Zusammenarbeit in einer kleinen verschworenen Gruppe vor. Er hat das Bundestrainer-Amt im August 2021 ausdrücklich unter der Bedingung übernommen, dass Bierhoff weiter zum Team gehört.

Wie Flick nun reagieren würde, falls die Stimmungslage Bierhoff den Job kosten und der Manager zumindest aus dem Umfeld der DFB-Elf entfernt werden sollte? Flick befindet sich nach diesem Turnier nicht mehr in der Position der Stärke, er ist nicht mehr der sehnsüchtig erwartete Aufbruchstrainer, der die Bedingungen diktieren kann - dennoch wird er im Verband weiter sehr geschätzt, und wer die innere Autonomie dieses Trainers kennt, weiß, dass Flick nicht jede neue Konstellation akzeptieren wird.

Als sicher gilt, dass Flick gern Bundestrainer bleiben würde, ihn reizt die Perspektive der Heim-EM 2024 und die potenzielle Qualität seines Kaders. Auch fühlt er sich in bewährter Loyalität den Angehörigen seines Trainerstabs verpflichtet, von denen er einige aus bestehenden Arbeitsverhältnissen heraus zum DFB lockte. Aber eben: Er möchte seine vertrauten Leute um sich herum haben, und an diesem Punkt wird es spannend.

Auch Bierhoff schweigt zurzeit, und so bleibt einstweilen offen, ob ihm die Debatte womöglich doch die Lust an jenem Amt nimmt, das er in der Nacht nach der Costa-Rica-Niederlage noch wie selbstverständlich für sich reklamiert hatte. Eine wichtige Rolle in diesen innerparteilichen Koalitionsverhandlungen wird nun dem Dortmunder Watzke zufallen, von den dessen Vorsilbe "Vize" sich niemand täuschen lassen sollte. Seine Stimme gilt als stärker als die des Präsidenten Neuendorf.

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