FC Schalke 04:Tiraden, Tumulte, Tränen

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Wollte wegen "Unwägbarkeiten" doch nicht zu Schalke 04 zurückkehren: Ralf Rangnick. (Foto: Jan Woitas/dpa)

Die Umstände der Absage von Ralf Rangnick bilden ein weiteres bitteres Kapitel in Schalkes tragikomischer Vereinschronik.

Kommentar von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Mitgliederversammlungen von Traditionsvereinen sind in den Rechtepaketen der Deutschen Fußball Liga (DFL) mit ihren Fernsehpartnern bisher nicht enthalten. Der FC Schalke 04 könnte also noch Geld dazuverdienen, wenn er die Übertragungslizenz für den am 13. Juni anstehenden Gemeindekonvent meistbietend verkaufen würde. Nach aktuellem Stand ist mit einem lebhaftem Verlauf zu rechnen, mit dem dreifach tv-tauglichen T: Tiraden, Tumulte, Tränen. In der Fußball-Talkshow Doppelpass sprach jetzt ein Teilnehmer vom "Bürgerkrieg", der auf Schalke herrsche, und wenn das auch eine poetische Übertreibung war, so gibt sie doch repräsentativ die äußere Wahrnehmung der Zustände im Gelsenkirchener Krisenklub wieder.

Aber wie hätte die Runde wohl geurteilt, wenn Ralf Rangnick am Samstag erklärt hätte, dass er seinem Herzen einen Stoß gegeben und den Schalkern zugesagt habe, die sportliche Führung im Verein zu übernehmen? Statt über das angeblich typische königsblaue Chaos zu richten, hätten die Chronisten dann von der wunderbaren Anziehungskraft dieses verrückten Traditionsvereins erzählt. Und von den 1000 Freunden, die zusammengestanden hätten, wie es das Vereinslied vorsieht.

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Mehr als einen gehobenen Zweitligaetat hatte Rangnick nicht erwarten dürfen

Bis zu seiner Absage schien Rangnicks Engagement eine reelle Möglichkeit zu sein. Warum sonst sollte er seinen Berater Marc Kosicke zu stundenlangen Gesprächen mit den Schalker Verantwortlichen entsandt haben? Es verwundert, dass er, ohne selbst mit den Vereinsleuten gesprochen zu haben, perspektivische "Unwägbarkeiten" als Begründung geltend macht. Finanzielle Ungewissheiten konnte er damit nicht meinen, mehr als einen gehobenen Zweitligaetat - der ihm zugesagt wurde - hatte er nicht erwarten dürfen. Die Faktoren sind allgemein bekannt: Hoher Schuldenstand, kaum einschätzbare Transfererlöse, die verbleibende Mannschaft ein fragmentarisches Gebilde.

Und dass Schalke 04 nach einem unübertrefflich furchtbaren Jahr ein Verein in Unruhe und Unordnung ist, das hätte Rangnick auch in Honolulu noch mitbekommen. Welche Nachrichten also hatte ihm sein Botschafter Kosicke überbracht, dass er anschließend ohne weitere Anhörung das Angebot ausschlug, über den bereits ausgerollten königsblauen Teppich in sein Generaldirektor-Büro zu gehen? Gaben Zweifel an der Kompetenz der handelnden Personen auf Schalke den Ausschlag?

Kosickes Gesprächspartner, der Aufsichtsratschef Jens Buchta, stellt die Sache so dar, dass zu viele Turbulenzen im Umfeld des Vereins den Wunschkandidaten abgeschreckt hätten. Den Einsatz einer Initiative von Schalke-Freunden und -Förderern identifizierte der Funktionär damit als schädliche Einmischung - keine Geste der Umarmung an die Allianz der Anhänger, zu der auch einige aktuelle und möglicherweise künftige Geldgeber des Klubs gehören. Dabei war es jene externe Koalition, die Rangnick für das Gespräch gewonnen hatte, der Aufsichtsrat hatte sich erst gar nicht an ihn herangetraut - peinlich genug.

Laut Buchta hat der Rangnick-Exkurs und dessen hyperemotionale Ausstrahlung auf die Anhänger die laufenden Planungen gestört und bereits ausgewählte Sportchef-Anwärter abgeschreckt. Das könnte eine Wahrheit sein, die in Schalkes tragikomische Vereinschronik passt: Selbst idealistische Unterstützung der Sympathisanten richtet Schaden an. Dennoch darf sich Buchta nicht arrogant auf den Anspruch zurückziehen, als gewählter Vertreter wieder alleiniger Herr des Verfahrens zu sein. Nicht nur der Verein benötigt seine Freunde, die sein wichtigstes Kapital sind. Auch Buchta selbst braucht sie, damit es am 13. Juni keine Show stattfindet, bei der es Tiraden, Tumulte und Tränen gibt.

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