Zukunft von Schalke 04:Zerbrochene königsblaue Herzen

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Die Einsamkeit des Schlussmanns nach dem Fehlschlag: Symptomatisch für die Gelsenkirchener Trostlosigkeit unterlief Schalkes dänischem Torhüter Frederik Rönnow (Mitte) am Samstag noch ein Eigentor. (Foto: Ina Fassbender/AFP)

Den Gladbachern verschafft das 3:0 ein bisschen Ruhe, in Gelsenkirchen gehen die Diskussionen nach der plötzlichen Absage von Ralf Rangnick nun erst richtig los. Enttäuschung und Verdruss dürften fortan das Klima beim potenziellen Bundesliga-Absteiger bestimmen.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Verloren hatte Schalke 04 am Samstagabend schon, bevor im Bundesligaspiel gegen Borussia Mönchengladbach das erste Mal der Ball rollte. Die 0:3-Niederlage gegen den VfL offenbarte zwar ein weiteres Zeugnis der sportlichen Ohnmacht, traf den designierten Absteiger aber weit weniger empfindlich als die Nachricht, die mittags um eins Ralf Rangnick hatte verbreiten lassen. Darin teilte er mit, dass er sich "aufgrund der zahlreichen Unwägbarkeiten innerhalb des Vereins derzeit nicht in der Lage" sehe, "die sportliche Verantwortung bei S04 zu übernehmen".

In der königsblauen Welt zerbrachen in diesem Moment viele, viele Herzen - die Aussicht auf Rangnicks Rückkehr hatte die Anhängerschaft während der vergangenen Tage in Hochstimmung versetzt. Mancher Schalker, der gestern noch seinen Verein auf geradem Weg in die Regionalliga wähnte, malte sich plötzlich wieder glorreiche Zeiten nach dem Wiederaufstieg aus, den Rangnick selbstredend umgehend herbeiführen würde. Mehr als 50 000 Fans hatten sich einer Petition angeschlossen, die für das Comeback des ehemaligen Trainers warb. Vergeblich wohl. Der Aufsichtsratsvorsitzende Jens Buchta kündigte zwar an, nochmal den Kontakt mit dem Berater des schwäbischen Fußballgelehrten zu suchen. Aus Rangnicks Lager verlautet aber, dass er sich diese Mühe sparen könne.

Auch bei Grammozis wird nun gezählt: drei Spiele, kein Sieg, kein Tor

Wenn es in dieser Situation auf Schalke überhaupt einen Gewinner geben kann, dann kommt dafür nur Dimitrios Grammozis in Frage. Der Trainer hatte fürchten müssen, dass ihm Rangnick zur nächsten Saison den gerade erst zugeteilten Job streitig gemacht hätte. Zumindest diese Gefahr scheint gebannt zu sein. Dafür formiert sich Gefahr aus anderer Richtung: Der grausame sportliche Trend setzt sich unverändert schmerzhaft fort, wie die Begegnung mit den Borussen bestätigte. Grammozis wird nun erleben, dass die Kritiker auch bei ihm anfangen werden, eine Bilanz in Zahlen zu erstellen. Jüngster Stand: kein Sieg in drei Einsätzen, kein Treffer.

In Mönchengladbach ist diese Art der Begleitmusik fürs Erste verstummt. Das 3:0 war der erste Erfolg nach sieben verlorenen Spielen . "Es ist sicher keine geringe Last von uns abgefallen", gab Trainer Marco Rose zu. Seine Spieler musste sich allerdings selten Sorgen machen um die drei Punkte, Schalkes demoralisierter Zustand nahm ihnen viel Arbeit ab. Der Klassenunterschied zwischen den beiden Teams war zu jeder Zeit der Partie das bestimmende Motiv, und spätestens nach Stefan Lainers 2:0 (63. ) fielen den Borussen auch wieder ein paar Kombinationen und Kunststücke aus der Zeit ein, in der sie nicht über ihre Krise grübeln mussten. "Das ist ja das Verrückte", sagte Christoph Kramer, "dass man immer nach irgendwelchen Erklärungen sucht - aber man findet sie nie." Am Trainer und dessen Ausscheiden zum Saisonende habe es jedenfalls nie gelegen, versicherte Kramer. Diese Diskussion sei "brutaler Quatsch" gewesen.

Den Borussen verschafft der Sieg ein wenig Ruhe, in Gelsenkirchen dagegen gehen die Diskussionen jetzt erst richtig los. Es könnte unschön werden in der nächsten Zeit, Enttäuschung und Verdruss sind überall die herrschenden Emotionen. Zuletzt hatten sich der Verein, vertreten durch Aufsichtsratschef Jens Buchta, und die externe Gruppe von Schalker Freunden und Förderern, die den Kontakt zu Rangnick hergestellt hatte, zwar auf eine Art friedliche Koexistenz verständigt. Nun setzte aber wieder Entzweiung ein.

S04-Aufsichtsratschef Jens Buchta zeigt sich von Rangnicks Absage "völlig überrascht"

"Ich habe den Eindruck, andere wollen hier die Deutungshoheit bekommen, die ganze Auseinandersetzung hilft Schalke nicht", sagte Buchta. Der Allianz, die sich unter dem Motto "Tradition und Zukunft" zusammengetan hat, unterstellte er damit schädliche Einmischung. Die "von außen hereingetragenen Turbulenzen" erschwerten die Zweitliga-Planungen und vor allem die Suche nach einem neuen Sportmanager. Aufsichtsratsmitglied Stefan Gesenhues, ein Vertrauter der externen Gruppe, trat am Sonntag zurück.

Die Absage des Wunschkandidaten erreichte Buchta an der Tankstelle. Zehn Minuten, bevor die Pressemitteilung herauskam, rief ihn Rangnicks Berater Marc Kosicke an. Die Nachricht habe ihn "völlig überrascht", betonte der Funktionär, das Gespräch mit Kosicke am Donnerstag sei "sehr konstruktiv und inhaltlich wertvoll" gewesen, man habe gehofft, bereits in der zweiten Gesprächsrunde Einigkeit zu erzielen. Buchtas Stellvertreter Peter Lange drückte es bildhaft aus: "Ich habe Kosicke gesagt, dass ich zu Fuß an den Nordpol laufen würde, um Ralf Rangnick zu verpflichten."

Im Gespräch mit dem Berater hatten die Schalker Verantwortlichen die finanzielle Perspektive des Vereins offengelegt, demnach stehen - unabhängig von den Ungewissheiten im Transfergeschäft - für die kommende Saison wenigstens rund 20 Millionen Euro zur Verfügung. Ein Etat, "der in der Spitzengruppe der zweiten Liga liegt", wie Finanzvorstand Christina Rühl-Hamers betonte. Damit wird nun wohl ein anderer Mann arbeiten müssen. "Ich bin überzeugt, dass wir in kurzer Zeit einen Nachfolger als Sportvorstand präsentieren können", versicherte Buchta.

Die Initiative, die Rangnick angesprochen und für die Gespräche mit dem Verein gewonnen hatte, will die Hoffnung noch nicht aufgeben. Formulierungen in der Pressemitteilung lassen sie hoffen, der Wunschkandidat habe eine Hintertür zur Umkehr von seinem Entschluss offengelassen, vielleicht auch erst im Sommer nach der Jahreshauptversammlung. "Zutiefst beeindruckt" hätten ihn die sehnsüchtigen Reaktionen der Fans, hatte Rangnick erklärt: "Ich hätte mich gerne eingebracht, um Schalke auf dem schwierigen Weg zurück zu alter Stärke zu helfen."

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