FC Bayern schlägt Neapel:Für einen hohen Preis

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Der Hattrick von Mario Gomez gegen den SSC Neapel deutet zunächst auf einen ruhigen Champions-League-Abend für den FC Bayern hin. Doch nach zwei Unachtsamkeiten müssen die Münchner zittern, am Ende wird die Partie hektisch. Die schwere Verletzung von Bastian Schweinsteiger überschattet den Erfolg.

Kunst. Das ist schon ein riskantes Etikett gewesen, das der Bayern-Präsident Uli Hoeneß seinen Fußballern da am Wochenende aufgepappt hat. Nicht nur, weil Kunst, wie man weiß, im Auge des Betrachters liegt, sondern auch, weil solche Klassifizierungen gerne auf ihre Urheber zurückfallen, wenn es mal nicht mehr so läuft. (Man erinnert sich an ein "Weißes Ballett", das Anfang des Jahrtausends dann doch nicht zu ganz großem Ruhm tanzte.)

Bastian Schweinsteiger zog sich im Spiel gegen den SSC Neapel eine Verletzung an der Schulter zu. Der Mittelfeld-Regisseur fällt für mehrere Wochen aus. (Foto: AP)

Und nun also: der SSC Neapel zu Gast, ein "gefährlicher Gegner", wie Jupp Heynckes gewarnt hatte, bisher ebenso ungeschlagen in dieser Gruppenphase wie die Bayern. Ein Gegner, dem zuzutrauen war, dem Rekordmeister aufzuzeigen, wo Kunst aufhört und Arbeit anfängt.

Zunächst gerierte sich der Abend allerdings wie einer dieser Ölschinken von Caspar David Friedrich, bei denen man hinter grauen Schlieren sehr, sehr schemenhaft die Silhouette eines Segels erahnt. Anders ausgedrückt: Man sah recht wenig. Der berüchtigte Fröttmaninger Abendnebel wurde dann allerdings doch nicht so dicht, um den Betrachtern ein Fußballspiel vorenthalten zu können - dafür ging es in der Hälfte der Gäste zunächst recht dicht zu.

Die Abwehrreihen der Italiener (bestehend aus ungefähr zehn Mann) schienen immer neue, unüberwindbare Gesteinsformationen zu bilden, man fürchtete eine Viertelstunde lang, dass es aus Sicht der Bayern so mühsam zugehen würde wie einst in der Bildhauer-Werkstatt von Ernst Barlach: ein stetiges Meißeln und Klopfen, ohne recht voranzukommen.

Dann schließlich, man schrieb die 17. Minute, griff der Bayern-Stürmer Mario Gomez ins Geschehen ein. Mit drei Toren innerhalb von 27 Minuten. Und vorübergehend war dann auch diese Champions-League-Partie wieder die ewige Reproduktion dessen, was die Bayern seit Wochen ihrem Publikum anbieten: fesselnde Zauberei, so routiniert heruntergespult, als stamme sie aus der Fälscherwerkstatt.

Dann allerdings wurde es ruppig, zerfahren, unkonzentriert, fahrlässig - und noch mal eng. "Aber auch solche Spiele muss man dann mal gewinnen", kommentierte der Trainer Heynckes hinterher. Und das gelang dann ja auch: 3:2 haben die Münchner diesen vermeintlichen Gegner auf Augenhöhe am Ende bezwungen. Nur, weil zeitgleich der Gruppen-Konkurrent Manchester City 3:0 bei Villareal gewann, bleibt der Achtelfinal-Einzug der Bayern rechnerisch weiter offen. Faktisch dürfte er nur noch Formsache sein.

Deutsche Torjäger in der Königsklasse
:Gomez besser als Ballack

Fünf Tore erzielte der Bayern-Stürmer bereits in dieser Champions-League-Saison, selbst Barcelonas Lionel Messi hat nicht häufiger getroffen. Nun ist Mario Gomez der erfolgreichste deutsche Schütze in der Königsklasse.

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Was die Stimmung allerdings massiv eintrübte bei diesem 200. Europapokal-Sieg der Bayern, war die 51. Minute, als Bastian Schweinsteiger mit dem Schweizer Nationalspieler Gökhan Inler zusammenprallte - und sich anschließend mit schmerzverzerrtem Gesicht die Schulter hielt. Alles wies auf eine ernsthafte Verletzung hin, Sanitäter trugen den Mittelfeldspieler vom Platz, der Bayern-Arzt begleitete ihn sofort ins Krankenhaus. Die Diagnose lautete schließlich: Schlüsselbeinbruch, mindestens vier Wochen Pause.

Einzelkritik FC Bayern
:Unnötige Foulspiele und filigrane Rennpferde

Jérôme Boateng schlägt Willy-Sagnol-Gedächtnisflanken, Toni Kroos wird immer mehr zum elegantesten Passspieler außerhalb Spaniens, Mario Gomez schafft einen Hattrick und trifft kurz vor Schluss beinahe aus 80 Metern. Die Spieler des FC Bayern beim Sieg gegen den SSC Neapel in der Einzelkritik.

Andreas Burkert, Fröttmaning

Das ist nun keine gute Nachricht für die kommenden Aufgaben, Schweinsteiger war es schließlich, der das Bayern- Ensemble bisher zusammengehalten hat mit seiner unnachahmlichen Bühnenpräsenz. "Das trifft uns", sagte Heynckes. "Bastian war der Taktgeber, er war in überragender Form." Andererseits habe man es zuletzt immer wieder "verstanden, Spieler, die verletzt waren, zu kompensieren".

Auch im Vergleich zum 4:0 am Samstag gegen den 1. FC Nürnberg hatte der Trainer zweimal gewechselt: Boateng ersetzte rechts in der Abwehr den Brasilianer Rafinha, Luiz Gustavo startete statt Timoschtschuk im Mittelfeld - neben Schweinsteiger. Die erste Gelegenheit für die Münchner hatte Gustavo, der den Ball aus knapp 20 Metern aus dem Stand ins linke Eck chippen wollte; Morgan de Sanctis konnte parieren.

Danach rückte Gomez in den Blickpunkt mit seinen Champions-League-Toren Nummer 15 bis 17 (womit er deutscher Rekordhalter ist vor Michael Ballack/16). Das 1:0 nach hübschem Schweinsteiger-Pass: den Ball mit rechts mitgenommen, mit links abgeschlossen (17.). Das 2:0 volley über die Linie gedrückt nach hübscher Kroos-Flanke (23.). Das 3:0 clever abgestaubt, nachdem de Sanctis einen Kroos-Schuss nur abprallen ließ. Doch auch Gomez sprach später vor allem über das, was nicht geklappt hatte: "Wir haben uns das Leben selbst schwer gemacht", haderte er.

Da war zunächst der Anschlusstreffer (45./Fernandez, per Kopfball), dann das Schweinsteiger-Drama - und alles geriet aus dem Takt. Vor allem bei den Italienern, wo Zuniga gelb-rot sah nach zwei Fouls an Ribéry innerhalb von 73 Sekunden. Aber auch bei den Bayern-Künstlern, denen keine zwingende Aktion mehr gelang. Boateng hatte Glück, dass er für eine Amok-Grätsche nur gelb sah, dann musste Holger Badstuber mit gelb-rot vom Platz, weil Cavani in seiner Nähe zu Fall kam und es aussah, als habe Badstuber nachgeholfen. Schließlich das 3:2 (79./Fernandez, per Kopfball).

Lustig wurde es erst wieder in der Nachspielzeit, als Gomez aus 70 Metern draufhielt, de Sanctis dem Ball hinterherjapste - und ihn noch von der Linie kratze. Auf der Tribüne musste Uli Hoeneß grinsen. Da hatte der Abend plötzlich etwas von Joseph Beuys: Irgendwie gaga. Und das für einen sehr hohen Preis.

© SZ vom 03.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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