Es geht gleich in den ersten Tagen um die richtigen Zeichen, Niko Kovac weiß das. Als er am Mittwoch um kurz vor halb fünf den Trainingsplatz des FC Bayern betritt, baumelt um seinen Hals eine Stoppuhr. Auf den Platz läuft ein Mann für die Details, ein Mann mit einem Plan, ein Mann, der keine Zeit vergeuden will. Kovac gibt die Stoppuhr nur zu Beginn kurz ab, stellt sich mit seinem Bruder und Assistenten Robert mitten auf den Platz, Lächeln für die Fotografen, dann hängt er sich die Stoppuhr sofort wieder um.
Es ist nicht viel passiert bei diesem ersten halböffentlichen Training unter Kovac (eingeladen waren nur Pressevertreter). Kovac hatte sich eine Kappe angezogen, wie sie früher Hermann Gerland getragen hat, was beruhigend war, weil ja seit dieser Saison kein Gerland mehr als Assistent zum Trainerstab gehört. Kingsley Coman betrat den Rasen als erster Profi. Sandro Wagner redete ausführlich mit Torwarttrainer Toni Tapalovic. Javier Martínez traf mit seinem ersten Schuss ins Tor, allerdings war das Tor leer, und eigentlich sollte er gerade Kovac zuhören bei dessen eineinhalbminütiger Ansprache. Danach traf Wagner die Latte. Bei den Aufwärmrunden um den Platz liefen Arjen Robben und Franck Ribéry ganz vorne, auch das war natürlich ein Zeichen. Die anderen, so sehen das zumindest die beiden Routiniers, haben sich nach wie vor hinter ihnen einzuordnen.
Kovac hat eine mittelschwere Einheit absolvieren lassen, am Vormittag wurden die Spieler noch Tests unterzogen, Laktat, Sehwerte, solche Dinge. Die harten Einheiten, da gleicht Kovac auch ohne Kappe Gerland, werden aber kommen, ganz sicher.
In seiner noch kurzen Karriere als Trainer hat sich Kovac, 46, einen Namen gemacht als gewissenhafter Trainer; bei seiner Präsentation am Montag betonte er, "Arbeitstalent" sei wichtiger als "Naturtalent", und das war nicht nur ein Hinweis darauf, dass Eintracht Frankfurt unter ihm stets körperlich topfit war. Es war auch ein Hinweis darauf, dass er als Trainer alles durchdenken will. Die Trainingspläne für die Vorbereitung dürfte er daher bereits mit seinem Bruder entworfen haben. Er dürfte sie daher auch in der Vorwoche zu Teilen wieder verworfen haben.
Auch beim FC Bayern hat ja kaum einer mit einem so frühen Aus der vereinseigenen Nationalspieler bei der WM gerechnet. Hätten zum Beispiel die Deutschen das Halbfinale erreicht, wären sie nach einem dreiwöchigen Urlaub erst Anfang August zum Rest der Mannschaft gestoßen. Für Kovac hat das frühe Aus nun den Vorteil, dass er bereits Ende Juli mit allen wichtigen Profis arbeiten darf. Den WM-Teilnehmern hat er vier Wochen Urlaub gegeben, bis 25. Juli. Dann werden die deutschen Nationalspieler und der polnische Kapitän, Robert Lewandowski, in München erwartet. Betreut werden sie zunächst von Peter Hermann, dem zweiten Assistenten. Der Rest des Kaders ist bis 30. Juli auf einer Promo-Tour durch die USA - anders als seine Vorgänger konnte Kovac die WM-Reisenden von diesen Strapazen befreien.
Elf Spieler schickte Bayern nach Russland - keiner schoss ein Tor
Ganz unproblematisch ist dieses frühe Aus allerdings auch nicht. Kovac, angeworben, um mit den altbekannten Kräften den Umbruch zu gestalten, ist von Ende Juli an erst einmal als Seelenstreichler all dieser altbekannten Kräfte gefordert.
Elf Spieler hat der FC Bayern für die WM abgestellt, kein Spieler des FC Bayern hat bisher ein Tor erzielt, nur noch ein Spieler des FC Bayern ist im Viertelfinale dabei, der Franzose Corentin Tolisso. Für keinen Spieler des Klubs war das Turnier bisher wirklich erfolgreich, nicht einmal für Tolisso, der beim müden Auftakt gegen Australien noch in der Startelf stand und zuletzt nur Einwechselspieler war. Thiago? Verlor sich wie alle Spanier in endlosen, ziellosen Pässen. James? War der wichtigste Spieler Kolumbiens, das schon, aber beim Aus gegen England saß er verletzt und weinend draußen. Lewandowski? Hatte vor dem Turnier mit seinen ganz selbstverständlich zu erwartenden Toren geprahlt - hatte dann aber die Ausbeute wie alle seine Vereinskollegen (s. o.). Und irritierte zudem die Anhänger in der Heimat mit einer harschen Kritik an seinen Mitspielern; er ist in Polen so umstritten wie nie zuvor.
Und dann sind da noch die sieben deutschen WM-Spieler. Am wenigsten vorwerfen muss sich Torwart Manuel Neuer, trotz seiner neunmonatigen Pause zuvor - er ist allerdings auch in den Geschichtsbüchern verewigt als der Kapitän der ersten deutschen Elf, die bei einer WM in der Vorrunde gescheitert ist. Alle anderen müssen sich mehr oder weniger etwas vorwerfen, sei es, dass ihre Kritik nicht aufgenommen wurde (Mats Hummels); sei es, dass sie mehr oder weniger eher weniger zu sehen waren (Thomas Müller). Sie alle werden von Kovac nun auch aufgebaut werden müssen. Er muss also erst prüfen, wozu seine altbekannten Kräfte in nächster Zeit fähig sind. Körperlich dürften sie bald topfit sein, aber ihre Körper waren auch in Russland nicht das Problem.
Drei Wochen lang hat Kovac Zeit, bis die Nationalspieler zurückkehren. Diese werden bis dahin vertreten durch einen Pool an Jugendspielern, immer zwölf sollen bei den Profis trainieren, in wechselnder Besetzung. Drei Wochen hat Kovac Zeit, um diese Spieler kennenzulernen, die ihm dann beim Umbruch helfen sollen, drei Wochen lang kann er so tun, als ob sich seine Aufgaben beim FC Bayern nicht wirklich geändert hätten.